Die bedeutendsten Maler der Alten Zeit. Norbert Wolf
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СКАЧАТЬ Maler hat die Kunstgeschichte aufgrund der Qualität eines umfangreichen Gesamtwerkes in ihre Ruhmeshallen aufgenommen, andere wiederum wegen eines einzigen Geniestreiches. Zu letzteren zählt Ambrogio Lorenzetti.

      Sicher, es existiert eine ganze Reihe von Werken aus seiner Hand, die Ambrogio einen führenden Part im Orchester der Trecentomaler zuweisen. Bereits sein erstes bekanntes Werk, die 1319 datierte Tafel einer Madonna mit Kind (Florenz, Museo Arcivescovile di Castello), die er für die Pfarrkirche S. Angelo in Vico l’Abate bei Florenz gemalt hat, erweist sein sensibles und gleichzeitig gelöstes malerisches Temperament. Seine um 1332 geschaffenen Szenen mit Legenden aus dem Leben und Wirken des heiligen Nikolaus von Bari, einst bestimmt für ein Altarretabel der Kirche San Procolo in Florenz, heute in den Uffizien, arrangieren geschickt die einzelnen Episoden zu einer Sequenz, die, angefüllt mit eindringlichen Naturbeobachtungen, narrativ und festlich zugleich erscheinen.

      Die relativ große Anzahl der Werke, die Ambrogio für Auftraggeber aus Florenz oder des zugehörigen Umlandes anfertigte, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich der Künstler mindestens zweimal, das heißt 1327 und 1332, in der Stadt am Arno aufgehalten hat. Dort muss ihm auch die überwältigende Kunst Giottos auf Schritt und Tritt vor Augen gestanden haben – jedenfalls verarbeitete er etliches aus dem Repertoire dieses genialen Meisters ausgiebig und souverän in seinen eigenen Arbeiten. Insbesondere dessen Erschließung räumlicher Projektionen muss ihm imponiert haben. Auf der Basis derartiger Studien avancierte Ambrogio Lorenzetti zum sicherlich modernsten Könner des 14. Jahrhunderts auf dem Gebiet tiefenräumlicher Illusion.

      Dennoch ist es verfehlt, wie gelegentlich geschehen, die Gestaltung des Bildraumes in den Temperabildern der Verkündigung, 1342 (Florenz, Galleria degli Uffizi) sowie der rund zwei Jahre später vollendeten Geburt Mariens (Siena, Museo dell’ Opera del Duomo) als mathematisch fundierte Perspektive zu beschreiben. Denn die Fluchtlinien treffen sich keineswegs in einem einzigen Punkt, und ebenso wenig sind die Tiefenabstände der Transversalen exakt verkürzt. Dennoch handelt es sich bei beiden Beispielen um eine auf empirischem Wege gefundene erstaunliche Annäherung an das Raumsystem der Frührenaissance.

      Allerdings hätten all diese Demonstrationen überdurchschnittlichen Könnens in der Fortuna critica der Kunstwissenschaft nicht ausgereicht, ihn zu einer Zelebrität zu machen. Selbstverständlich gehört er in die erste Garde der auf Giotto folgenden Trecentomalerei, aber darin unterscheidet er sich nicht von seinem Bruder Pietro Lorenzetti, nicht von Simone Martini, nicht von dem bedeutenden Giotto-Schüler Taddeo Gaddi oder so manchem sonstigen Kollegen seiner Generation.

      Es hat einen ganz anderen Grund, warum Ambrogio zur absoluten Berühmtheit in der Kunstgeschichte aufstieg, und der liegt in seiner inaugurativen Leistung für die Gattung der Landschaftsmalerei!

      Um dies besser zu verstehen, ist ein kleiner historischer Exkurs notwendig.

      Siena konkurrierte im 13. und 14. Jahrhundert vor allem mit Florenz und wollte diesen Machtanspruch in repräsentativen Bildern dokumentieren. Die geplanten Malereien im Palazzo Pubblico sollten in ihrer Summe ein Bild des sienesischen Herrschaftsgebietes abgeben. Zu diesem Zweck wurden mehrere zu Beginn des 14. Jahrhunderts von Siena eroberte Kastelle an den Wänden des großen Ratssaales dargestellt.

      Von Simone Martini stammt beispielsweise das Fresko von 1328 mit der Eroberung des Kastells von Montemassi durch den Feldherrn Guido Riccio da Folignano. Simones im Ansatz bereits vorhandenen Neuerungen bei der Ausformung eines zu einem naturalistisch einheitlichen Seheindruck zusammengeschweißten Landschaftshintergrund hat dann Ambrogio Lorenzetti in seiner 1338/40 entstandenen monumentalen Freskenfolge aufgegriffen und dramatisch weitergeführt. In einem Raum neben dem großen Ratssaal des Palazzo Pubblico sollte die Gute Regierung der Republik Siena verherrlicht werden – in Form einer universalen Allegorie13.

      Das Bild auf der Ostwand mit den Auswirkungen der besagten guten Regierung auf Stadt und Land (als Kontrastprogramm zum gleichfalls visualisierten schlechten Regiment) zeigt links im Rahmen einer beeindruckenden Vedute und mit vielen genrehaften Elementen angereichert das Innenleben der Stadt Siena und leitet nach rechts hin das Auge über das abwechslungsreiche und durchaus schon malerisch gesehene Umland. Ambrogios Ziel, den Stadtstaat Siena auf einer riesigen Wandfläche von vierzehn Metern Länge wiederzugeben, bedient sich einer panoramaartigen Überschau, ungefähr vom Turm des Palazzo Pubblico aus aufgenommen in einem Blickwinkel von fast 300 Grad – eine wahrhaft zukunftsweisende Leistung landschaftlicher Über- und Zusammenschau.

      Ambrogio Lorenzetti hat noch eine große Weltkarte gemalt (seit dem 18. Jahrhundert verschwunden): Eine drehbare Scheibe, auf der offenbar alle damals bekannten Erdregionen abgebildet und zugleich Italien und der sienesische Stadtstaat hervorgehoben waren. Mit der Anbringung einer solchen Weltkarte eignete sich die bürgerliche Kommune ein königliches oder päpstliches Privileg an, worin ihr erst ein halbes Jahrhundert später die Venezianer in ihrem Dogenpalast folgen sollten. Als wesentlich folgenreicher aber erwies sich, dass Ambrogio mit seinem Blick vor die Tore Sienas das erste echte Landschaftsbild der westlichen Kunst gelungen war.

      13 Feldges, Uta: Landschaft als topographisches Porträt. Der Wiederbeginn der europäischen Landschaftsmalerei in Siena. Bern 1980; Kempers, Bram: Gesetz und Kunst. Ambrogio Lorenzettis Fresken im Palazzo Pubblico in Siena. In: Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Hrsg. von Hans Belting und Dieter Blume. München 1989, S. 71–84

      JEAN PUCELLE

      (tätig ab 1319 in Paris, † 1334 [?])

      Zum weitaus bedeutendsten Zentrum der abendländischen Buchmalerei des 14. Jahrhunderts avancierte Paris. Noch das bescheidendste Atelier dort quoll über von Talenten, die die Wünsche einer anspruchsvollen Klientel zu erfüllen imstande waren. Insbesondere der Hof verlangte nach höchsten Qualitätsstandards. Er wurde zum Magneten für die herausragenden künstlerischen Kräfte.

      Der mit Abstand wichtigste Buchmaler jener Zeit (fraglich, ob er auch noch als Goldschmied, Tafelmaler, Elfenbeinschnitzer tätig war) hieß Jean Pucelle. Von diesem Genie stammten unter anderem das Belleville-Brevier (1323–1326; Paris, Bibliothèque Nationale, ms. lat. 10483–84) und, zumindest nach Ansicht der maßgeblichen Forscher, das 1324–1328 illuminierte Stundenbuch der Jeanne d’Evreux (New York, The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters, Acc. No. 54.1.2).14

      Während Giotto als Erfinder der Grisailletechnik (einer Grau-in-Grau-Malerei, meist unter Einbeziehung einiger bunter Partien) gilt, hat sie Pucelle als erster auf die Pergamentseiten der Bücher übertragen – sofern das Evreux-Stundenbuch wirklich von ihm stammt, ein Codex, der mit Hilfe eben jenes weitgehend monochromen Verfahrens illuminiert ist.

      »Enluminure« – die Kunst, die die Seiten eines Buches zum Strahlen, zum Glänzen bringt: Pucelle beweist im Stundenbuch der Jeanne d’Evreux, dass einem großen Künstler zu wahrhaft staunenswerten Effekten der Illumination nicht immer Gold und bunte Farben nötig waren, dass er auch mit Hilfe der durch sparsame, aber überlegte Farbakzente bereicherten Grisaille imstande war, einen faszinierenden Bilderkosmos zu kreieren; und er demonstrierte das sogar auf kleinstem Format (9 × 6 cm!), in Mikrostrukturen, die das Gezeigte über seine sonstige Bedeutung hinaus in den Rang eines Bravourstücks erheben.

      Neben dieser maltechnischen Leistung trägt noch ein zweites Moment dazu bei, besagte Handschrift zu einem Chef d’Œuvre ihres Jahrhunderts zu erheben: nämlich der Erfindungsreichtum, die »fantasy« des figürlich-phantastischen Randschmucks, der sogenannten Drolerien.

      Bei der Mehrzahl der menschlichen und skurrilen Wesen, der Zwittergestalten und extravaganten Monstrositäten hat der Künstler die Physiognomie besonders betont und sich weiterhin der Wiedergabe komplexer Draperiemotive gewidmet. Ein deutlicher Anhaltspunkt, dass Pucelle СКАЧАТЬ