Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 54

СКАЧАТЬ Bordighera, wo es immer noch verhältnismäßig am grünsten ist, findet Prinzessin Helen alles Wünschenswerte beisammen. Eine kleine Villa mit Marmorbalkon und Treppe in einem verlassenen, sehr großen Garten. Darin wird Rosmarie installiert. Tante Helen mietet eine mit den besten Zeugnissen versehene Köchin, die etwas Französisch versteht, und ein Hausmädchen, das nur Italienisch kann, das über Rosmaries Anblick so erstaunt ist, daß es den Finger in den Mund stecken und sie regungslos anstarren muß.

      Leider sind alle Stechmücken noch lebendig und haben eine unheimliche Freude an dem Braunecker Blut. Tante Helen steht wie tätowiert aus, und beinahe hätte sich ein schweres Unglück ereignet.

      Eines Abends stieg nämlich die rundliche Dame mit einer Kerze in der Hand zwischen den Musselinvorhängen ihres Bettes herum, um nach den dort verborgenen Untieren zu suchen. Dabei kam sie mit dem Licht den dünnen Vorhängen zu nahe, zwischen denen sie doch eingeschlossen war, und diese fingen hellauf zu brennen an. Die Dame schrie auf, Rosmarie kam herein und riß sofort die Vorhänge herunter, warf eine Reisedecke darauf, und im Nu war das Feuer erstickt.

      Prinzessin Helen schrieb einen langen Brief voll Lobens und Rühmens nach Brauneck. »Rosmaries Zustand hat sich entschieden gebessert, und, was mich besonders wunderte, als sie alles und jedes Recht gehabt hätte, in Ohnmacht zu fallen, tat sie dieses nicht, sondern rettete ihre Tante wie ein gelernter Feuerwehrmann!«

      Aber die Zanzaris nehmen keine Vernunft an und bezeigen immer die gleiche Vorliebe für das Braunecker Blut, so verläßt Tante Helen das ungastliche Gestade, einen wohlgeordneten kleinen Staat hinterlassend, in dem jedes Glied feierlich hat versprechen müssen, niemals mit Kerzen hinter Vorhänge zu steigen. Es ist ja das beste, daß Rosmarie nun den Winter hier bleibt und über diese traurige Geschichte Gras wächst. –

      Rosmarie und Charlotte müssen ja doch auseinander gehalten werden ... »Nur keine Katastrophen mehr!« rät Prinzessin Helen ihrem Bruder, dessen Zorn auch schon leise zu verrauchen beginnt.

      Tante Helen hat das Hauswesen gut geordnet. Die Köchin stiehlt nicht mehr, als ihr Stand und ihre Nationalität es ihr als anständig gestatten, Miß Granger hat beim englischen Pfarrer Besuch gemacht, und der deutsche Pfarrer bei Rosmarie. Miß Granger hat eine alte Freundin aus England wieder getroffen, und ihr farbloses Wesen hat darüber wieder etwas Leben bekommen. Jeden Tag gehen Rosmarie und Miß Granger zum Capo, wo die uralte kleine Kirche steht, und sitzen an einer windgeschützten Mauer und sehen den Wellen zu, wie sie an die Felsen herankommen. Und als Rosmarie zum ersten Male sieht, wie die Wellen vom gestrigen Sturme aufgewühlt daherkommen, sich donnernd in die Höhe heben, daß blaukristallene Wundergrotten sich auftun, und dann wieder herabsinken und klirrende weiße Schaumschleppen nach sich ziehen, bis wieder neue Berge kommen, – da hat sie sich überfreut, und Miß Granger hat die größte Not, mit ihr nach Hause zu kommen.

      Abends geht die Engländerin sehr früh zu Bett, eigentlich gleich nach dem gemeinsamen Diner, das die beiden Damen in einsamer Pracht und feierlichen Abendtoiletten miteinander einnehmen, – diese Gewohnheit hat sie bald nach Prinzessin Helens Abreise angenommen, und sie bleibt ihr treu. Auch mehren sich Miß Grangers englische Bekannte wie der Sand am Meer, und fast jeden Tag ist sie zu einem »afternoontea«, eingeladen, von dem sie erst kurz vor dem Diner zurückkommt. Rosmarie hat Zeit in Hülle und Fülle, zu grübeln und vor sich hinzustarren, es stört sie keine immer muntere und originelle Tante Helen darin.

      Sie sitzt da den langen Nachmittag und sieht auf die verstaubten, sonnenmüden, zerschlissenen Palmen hinaus und auf den blauen Streifen Meer, der durch sie sichtbar wird. Sie nimmt langsam eine der Rosen nach der andern aus den Vasen und dreht sie zwischen den Händen und zieht an den feinen weichen Blättern, bis sie herunterfallen und das gelbe Herz der Rose herausscheint. Sie ist immer ganz umgeben von hingestreuten Rosenblattern. Manchmal hält sie die Blätter in Häufchen in der Hand, dann läßt sie vom Balkon aus eins nach dem andern herunterfallen auf die Mandarinenbäume darunter, und sieht ihnen nach, wie sie fallen, gleiten, sich drehen und daliegen wie offene kleine Schalen. Ihre kleine Stickschere, die sie in Berlin gekauft, liegt neben ihr, und sie nimmt sie zuweilen in die Hand und freut sich daran, wie spitz und scharf sie ist.

      Es wohnen schlimme Gedanken hinter deiner weißen Stirn, Rosmarie!

      Sie schreibt nun jede Woche ihrem Vater, sie erzählt vom Capo, von Palmen und Blumen, von Miß Granger, von dem italienischen Dienstmädchen, der Angelina, von allem, nur nie ein Wort von einer Rosmarie Brauneck.

      An dem Fürsten nagt das Heimweh, je mehr sein Zorn verraucht. Seine Tochter fehlt ihm überall. Niemand kennt wie sie seine Hoffnungen und Pläne, und versteht sie, kann so angenehme Morgenstunden bereiten, hat eine so feine, reine Luft um sich, als käme sie aus einem anderen Lande, wo die Menschen zarter und reiner fühlen und woraus das Gemeine auf ewig verbannt ist. Alles ist so schal ohne sie. Wenn sie nur ein Wort schriebe, ein einziges, noch so armes Wort: vergib mir, ich bin gereizt, gekränkt worden, ich wußte nicht, was ich tat, – irgend einen Grund angäbe, den fadenscheinigsten, – nur nicht dieses trotzige Schweigen.

      Die Zanzari sind endgültig verschwunden unter Strömen von Regen, die die staubigen Palmen so schön reingewaschen haben. Dem Nordlandskind gehen die Augen auf für die Schönheit der Palmen, nun sie die im Regen sieht. Wie die Dattelpalme dort ausgerüstet ist, den köstlichen Regen zu empfangen. Die großen, mächtig breiten, gefalteten Blätter, die jeden Tropfen sorgsam in tiefen Rinnen entlang leiten, dann die Blattstiele, die die Wasseradern sammeln und an den Stamm leiten und dort in kleinen Bechern festhalten. An den Blättern die zarten braunen Fangschnüre, an denen jede Perle hängen bleibt. Dann die andern Palmen, die so verdrossen dastehen, wie müde Ballschönheiten, und doch nur auf ihren Freund, den Mond, warten. Wie gleitet das Mondlicht an ihnen herunter und zeigt ihren herrlichen Bau und das wundervolle Gegeneinander ihrer Fahnen! Da hat jede Form ihr eigenes Funkellicht, gegen den Himmel gesehen lösen sich die Massen in lauter unendlich schöne Formen auf. Da schießt der Stamm, der am Tage so überschlank aussieht, majestätisch in die Höhe und trägt stolz die feingefiederte Krone.

      Ach, wenn man nur jemand hätte, mit dem man die Schönheit genießen könnte, all das allein, ach, das bedrückt noch das arme, so schwer beladene Herz. Und immer wieder wendet Rosmarie ihrer Tante Worte in ihrem Herzen, und eines tritt grell aus den andern heraus.

      Im Angesicht des Todes lügt man nicht! – Das galt von ihrer Mutter, sollte das nicht auch von ihr gelten? Und eines Tages geht sie an ihre Truhe, die alle ihre geheimsten Schätze enthält. Seit sie zum zweiten Weihnachten – ihre Weihnachten zählen von der Waldweihnacht an – Harro einen Stuhl gestickt hat mit den Federnelken und bräunlichen Gräsern der lichten Eichen daran, hat sie diese Kunst immer betrieben. Seit sie nun von Harro getrennt ist und nicht mehr in seinen Farben herrschen kann, hat ihre leidenschaftliche Schönheitsliebe und ihr feines Kunstverständnis in diesen Stickereien seinen Ausdruck gefunden. Ganz ohne jede Anweisung, nur ihrem eigenen Formen- und Farbensinn folgend, hat sie gelernt, einen Natureindruck mit Nadel und Seidenfaden wiederzugeben. Niemand störte sie darin; wenn sie an ihrem Stickrahmen saß, so galt sie als geborgen und versorgt. Eine Zeitlang war das eiserne Verbotsystem auch daran gekommen; sie sollte nicht so viel über die Arbeit gebückt sitzen, dekretierte ihre Mutter, das verderbe die Haltung.

      Sie hatte sich aber die einzige Freude nicht nehmen lassen und hatte es gelernt, die Arbeit nur lose in der Hand haltend, doch die feinsten Stiche zu ziehen; sie hatte wahre Feenhände.

      Und nun holt sie sich ein weißes Atlasstück von zart bläulicher Tönung heraus und bedeckt das mit ihren Zeichen und Punkten. Als sie nun zu sticken anfängt, wird Miß Grangers Leben noch behaglicher.

      Und Rosmarie ist sehr fleißig, auf ihren blassen Wangen steigen rote Flecken auf, und sie stickt, als gälte es ihr Leben.

      Achtzehntes Kapitel.

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