Rosmarie läßt ihre langen Zöpfe herunterfallen, schwer liegen sie auf ihren Schultern, und ihr junges, blasses Gesicht ist eingerahmt von den weichen, goldenen Wellen. Sie geht nach dem Fenster und blickt in den schwarzen Park hinaus, kein Laut, kein Hauch regt sich draußen, da plötzlich flammt ein greller, blauweißer Blitz auf, der ihre ganze hohe, weiße Gestalt umloht wie ein Bild auf goldenem Grunde.
»Rosmarie,« ruft die Fürstin ängstlich, »nun kommt das Wetter doch!«
Einen Augenblick erfüllt ein Brausen und Heulen die Luft, die dunkeln Vorhänge schlagen in die Höhe wie Riesenflügel fremder Vögel, es klirrt und rauscht und dröhnt, als werde in dem ganzen Bau jedes Stück Holz lebendig und wollte noch einmal mittun im wilden Windestanz, dann wieder tiefe Stille. Ist das Gewitter schon vorüber? Nach dem wilden Lärm ist die Stille noch bedrückender. Und die Nacht lauert draußen wie ein gespenstiges Ungeheuer.
Der Fürst kommt herein, gute Nacht sagen.
»Ja, Rosmarie, bist du noch auf? Du siehst aus wie ein Marmorbild. Geh gleich zu Bett! – Charlotte, du kannst sie doch entbehren?«
»Einen Augenblick noch ... Gott, ich weiß gar nicht, warum sie noch so lange herumstand. Ihre Unterhaltungsgabe ist heute geringer als je. Gehst du zu Bett?«
»Ja, wir werden in der Nacht wohl eine Störung bekommen, da geh ich mir vorher noch ein wenig Schlaf holen. Rosmarie, in zehn Minuten bist du drüben.«
»Schrecklich, daß du das sagst, Fried. Nun werde ich kein Auge zutun können. O diese Braunecker Gewitter.«
»Zu ängsten brauchst du dich nicht, Charlotte, denke daran, wie lang der alte Kasten schon steht und wie viele Gewitter er schon ausgehalten hat. Wenn irgend etwas ist, so laßt mich rufen, bitte.«
Der Fürst geht und wendet sich an der Türe noch einmal um. Wie die Rosmarie heute aussieht, wie aus einem Bilde, und doch hat er nichts Ähnliches gesehen. Ein Lied kommt ihm in den Sinn.
»Da nahm die Königstochter
Vom Haupt ihre goldene Kron'.«
Warum ihm das nun gerade einfällt. Aus welchem Liede war das?
»Sie konnten zusammen nicht kommen –
Das Wasser war viel zu tief,« –
summt es in ihm weiter. Welch sonderbare Wege gehen die Gedanken. –
Rosmarie setzt sich wieder an der Fürstin Bett, zum Umfallen müd ist sie, aber so kann sie Mama nicht verlassen. Sie kennt nur zu gut das unruhige Flackern in den schönen braunen Augen. Sie versucht mit sanften Händen über Mamas Stirne zu streichen oder den Rücken hinabzuführen, aber heute ist's umsonst, die Gewitterangst hält die Fürstin lebendig ... oder ist's das Geheimnis hinter der Rosenwand. Ächzend und stöhnend wirft sie sich herum. Und nun ist's, als schössen an dem schwarzen Himmelsrand – man hat einen so weiten Horizont auf der Bergeshöhe – überall Lichtgarben empor. Totenstill ist's, und doch wallt und webt die Luft von zuckenden Lichtern, bald erscheint in der Ferne ein gelbes Weizenfeld und verschwindet wieder, ein Dorf, ein Kirchturm, dann ist's eine dunkle Waldkuppe, deren Rücken von blauen Flammen umspielt wird. Die Vorhänge kann man nicht schließen, die Schwüle wird immer bleierner. Hat Rosmarie geschlossen vor dem wilden Lichterspiel da draußen, so ruft die Fürstin: ich ersticke, – und sie muß wieder öffnen.
»Darf ich zu Bett gehen, Mama, und dir Fräulein Bergmann schicken?«
»O Gott, kannst du denn schlafen in einer solchen schauerlichen Nacht, Rosmarie! Andere Mädchen tanzen die ganze Nacht und sind um zwei Uhr morgens noch höchst vergnügt, und wie läßt du jetzt schon den Kopf hängen! Du bist ja gewiß unendlich salzlos und langweilig, und deine Zöpfe gehen auf, aber Fräulein Bergmann ist noch schrecklicher. Sie schnüffelt ja gleich, wenn man ihr einmal ein schnelles Wort sagt. Aber was hilft's, wenn man sie fortschickt, irgend eine ferne, fixe Person, die ein wenig Schick hat, bliebe doch nicht in diesem Waldwinkel. Wer bleibt denn hier, wen haben wir hier denn? Mit dem einzigen vernünftigen Menschen im Umkreis, bei dem man nicht vor Langeweile starb, wenn er den Mund auftat, hat man sich um deinetwillen überwerfen müssen ... das heißt, er kommt nicht mehr, aus guten Gründen.«
»Mama, sprich lieber von etwas anderem, von mir, wenn du willst!«
»Gott, ich weiß ja, du hast immer noch dein altes tendre ihn. Er lachte dich aus mit deinen kindischen Ideen ... die letzte Szene. Wie unangenehm du ihm warst! Gott, ich muß lachen, wenn ich daran denke, und es ist ein Glück, daß es noch etwas zum Lachen gibt in einem Hause, wo hinter Kleiderschränken Skelette und Särge stecken. – Wie er dich abschüttelte, wie einen Käfer, und sein Gesicht! – Starr vor Schrecken über das verrückte Gänschen.«
Rosmarie steht da wie ein Bild aus Gold und Marmor. Sie ist ja wehrlos. Es ist ihr, als stünde sie an einem Schandpfahl, und man risse ihr die Kleider vom Leibe, daß die unbarmherzigen Augen all ihre geheimen Wunden sähen. Und ihre Augen werden langsam dunkel ... es sind keine grauen Augen mehr, sie sind samtdunkel, und das Blondhaar umgibt ihr Antlitz, als bewege es ein leichter Luftzug, und ist doch keiner zu fühlen. Die Fürstin sieht sie an, und ihr Lachen, mit dem sie die Szene vollends ausgedeutet hat, erlischt.
»Du siehst so sonderbar aus, Rosmarie.«
»Ich weiß nicht, Mama, vielleicht, weil ich leide, ich habe heute einen Druck an meinem Herzen.« »Den habe ich wahrhaftig auch und mache keine solchen Gespenstergesichter. Rosmarie, du paßt zu dem alten Schrank und dem Gang dahinter! Gott, wie siehst du aus, als hättest du schon im Grabe gelegen. Wie eine gräßliche, geisternde Ahnfrau siehst du aus! Oh, wie ich dieses Brauneck hasse! Das ist nun mein Leben, hier liegen und auf die Gnade warten. Hätt' ich euch doch nie gesehen. Ich werde sterben daran, und ihr werdet euch freuen. – Nein, das habe ich nicht gesagt. – Leben will ich, hört ihr, leben! Die gräßliche Last abschütteln und wieder ein Mensch sein! Ihr habt euch zu bald gefreut, wenn ihr glaubt, ihr habt mich zu eurer Sklavin gemacht!«
»Mama, ich bitte dich, – fasse dich, ich muß gehen, glaube mir's, ich kann doch niemand deine Worte hören lassen.«
Ein blendender, züngelnder Blitz, ein Donnerschlag, als ob die Erde erbebte, wie eine Riesenwolke fährt der Sturm wieder über das Land, die dunkeln Vorhänge schlagen an die Decke. An die festen Türme wirft sich der Wind mit Riesenarmen, als wollt er sie umfassen und in die Tiefe stürzen, sie, die ihm so lange getrotzt. Um die Galerien jauchzt und tobt und klatscht und rast der Troß der Winde; in die Kamine stürzen sich die Windbuben und heulen, wenn sie nicht gleich wieder heraus finden. Blaue Flächen reißt Blitz auf Blitz aus dunkeln Wolkenbergen. Jedes von den hundert Fenstern klirrt und hat seine eigene Stimme in dem Chaos. Die Fürstin hat sich schreiend in die Kissen geworfen: »Rosmarie, die Fenster ...« Rosmarie tastet nach der elektrischen Klingel, da schlagen aus ihr blaue Flammen heraus und einen Ton gibt es nicht. Das Fenster kann sie nicht schließen, dagegen liegt ein breiter Windbub, lacht und bläst seinen feuchten Atem herein, – was können Rosmaries zarte Arme dagegen. Der Windbub faßt ihr langes Haar, daß es in die Lüfte fährt wie ein goldenes Sturmsegel, und wirft es ihr lachend wieder um den Kopf und wickelt sie darin ein und reißt es wieder auseinander. Gellend ruft die Fürstin: »Was machst du, Rosmarie, schließe zu, rufe die Leute, ich will dich nicht sehen. Du bist gräßlicher als alles, ein Gespenst bist du mit deinen lebendigen Haaren ... O wie ich dich hasse, wie ich euch alle hasse, wie ich das Schloß hasse, das mich noch töten wird. Geh doch, geh ... Ich fürchte mich vor nichts mehr, wenn ich nur dich nicht sehen muß. Du bist's! Du steckst hinter allem, du bist der Geist dieses verfluchten Schlosses СКАЧАТЬ