Die alte Dame seufzte: »Laß mir noch ein wenig von dem Kind übrig bis morgen.« Dann ging sie hinaus.
Das Lächeln verschwand plötzlich von dem Gesicht der Rose. Sie sah mit bebender Spannung auf den Mann herab, der immer noch sein Gesicht verbarg. Aber sie schwieg und wartete. Dann hob er seine Augen, so seltsam glänzend und fremd und bat: »Darf ich die Haare vollends aufmachen?«
Sie nickte. Mit seinen geschickten Künstlerhänden löste er die Flechten vollends auf und schüttelte die Strähnen, daß die Pracht sich ausbreitete. Er legte ihr den Goldmantel um die Schultern und ließ die weichen Wellen zu beiden Seiten ihres Gesichts herabhängen, dann ordnete er ihre Kissen, so wie sich das schöne Haupt am lieblichsten darbot. In der Schale dort standen große blaßlila Klematisblüten, die nahm er und schlang sie in ihre Haare, daß sich die Blütensterne um ihr Antlitz bogen. Er öffnete ihr Battisthemd, daß sich die feine Linie des Halses ein wenig zeigte. Nun noch den Vogel Rock, der sich ja verschieben läßt, an die ganz richtige Stelle. Dann streift er an der seidenen Decke herunter, daß sie sich an die hingestreckte Gestalt anschmiegt und die Umrisse zart andeutet. Er tritt an den Spiegel und schiebt an seinen Wänden, bis sich ihm das Bild darin zeigt.
»O Gott, steh mir bei,« denkt die Rose, »er ist wieder krank, er ist sehr krank! Rufe ich Uli, so schickt sie ihn fort und er muß in der Dunkelheit stehen und weinen.«
»Nicht so schmerzlich den Mund, Rose, es war so unsäglich schön.«
Sie öffnete die Augen: »O Harro, wie darfst du mich so quälen und dich selbst! Und mit mir spielen wie mit einer Puppe, wenn ich dir doch gesagt habe, daß ich leide. Und ich darf Uli nicht rufen, daß sie das sieht. Ich habe den ganzen Tag auf dich gewartet und du bist nicht gekommen. Und nun soll ich dir dazu dienen, daß du ein schauerliches Spiel mit dir selbst treiben kannst! Wenn es dir helfen könnte, ich wehrte mich nicht, ich ließe dich. Aber es hilft dir nicht, es macht dich nur noch kränker. Und es ist ein Unrecht gegen mich, das du nicht begehen sollst. Morgen, wenn du daran denkst, wirst du dich darüber betrüben. Nimm die Blumen aus meinem Haar, es ist jetzt keine Zeit für Kränze.«
Harro stand vor ihr und rührte sie nicht an. Ihre blassen Hände hatte sie auf ihr stoßendes Herz gedrückt, zu den Blumen konnte sie nicht hinaufreichen. »Du weißt es ja nicht,« sagte er tonlos, »du bist so sanft, so ruhig, so himmlisch. Vielleicht freust du dich auf deine seligen Gärten! Du tust auch recht daran. Nur Pein hast du und mich auch noch zu ertragen. – Was kannst du von mir wissen... Du weißt ja nichts. – Du denkst an mich, wie ich deine Kindheit behütet habe. Sie war mir heilig. Und wie ich vor den Menschen dein Gatte war und als geduldiger Narr vor deiner Türe stand. Und wie du mein Weib wurdest und ich deine Lieblichkeit und Süßigkeit genoß als mein gutes Recht. Nie hast du dich vor mir verborgen und mich um dich kämpfen lassen. Von der wahnsinnigen Leidenschaft, die du in mir entzündet hast, nun du dich mir zum ersten Male entwindest, weißt du nichts. Wie solltest du auch! Jetzt wo ich um dich zittern muß, jetzt weiß ich erst, was du mir bist und sehe dich, wie du bist. Und je mehr ich mich an dich klammere, um so mehr entschlüpft mir deine Seele. Du hast all die Zeit ein Leben für dich gelebt – nun siehst du das Ziel von ferne. Dein Dämon ist wieder erschienen... Du brauchst mich nicht mehr. Ich verbrenne und erfriere neben dir. Ich sündige, mit jedem Wort sündige ich. Ich vermehre dein Leiden. Ich kann meine Hände nicht von dir lassen, ich kann dir den Kranz nicht vom Haupte nehmen, du wirst vielleicht in deinen seligen Gärten Kränze tragen und in deiner Seligkeit nicht so schön sein wie jetzt in deinem Leiden. Und ich sehe dich nicht mehr. Die Verdammten sehen nicht hinein, wo die seligen Füße schreiten...«
Ihre Augen hingen an seinen Lippen, ihre sanften, schmerzgeweihten Augen unter dem Blütenkranze. Dann schloß sie sie langsam, sie antwortete ihm nicht.
Er stand da und sah das blasse Antlitz mit den halbgeschlossenen Augen unter dem Blütenkranze daliegen, umflutet von dem blassen Gold ihres Haares. Er stand schon vor den Toren jener Gärten, nie würde er sie betreten, eine Weile sah er die schönste Blume daraus noch vor sich liegen, dann würden sie ihn verdrängen und er war in der einsamen Nacht allein.
Er war jetzt schon allein. Sie war schon ganz ferne von ihm. Und vielleicht erschien der Dämon wieder und hob sie aus der Qual und deckte den Schleier über sie, daß auch der Laut seiner Stimme nicht mehr zu ihr drang. Aber er irrte. Sie hatte nur ihre Seele gerüstet und gestärkt und hatte für ihn gefleht zu ihrem Vater im Himmel.
Und nun schlug sie die Augen wieder auf, in denen nur holde Liebe lag. So strahlend, so gütig, daß es ihn auf die Knie trieb.
»O du, du...«
Sie blieb unbeweglich liegen und faßte seine ausgestreckten Hände nicht.
»Verzeih, Lieber, aber mich zu rühren gestattet der Tyrann nicht, und du mußt dich auch von ihm tyrannisieren lassen und Rücksichten nehmen.«
»Welche Rücksicht nehme ich?«
»Du mußt aber, Harro. Denn er ist Herr, und ich lebe nur noch von seinen Gnaden. Und du wirst nicht wollen, daß er alle Tücken an mir ausläßt und sich für alles, was du tust, an mir schadlos hält.«
Seine Lippen bewegten sich, endlich brachte er heraus: »Soll ich die Blumen herausnehmen, soll ich Ulrike rufen?«
»Nein, Liebster, ich stoße dich nicht in die dunkle Einsamkeit, solange ich noch einen Atemzug für dich habe. Und Gott wird mir helfen. Du gehst nicht aus diesem Zimmer und von mir hinweg, bis du dich nicht ganz in Gottes Hände ausgeliefert hast. Sehr viel länger ertrage ich es nicht. Du weißt doch, oder hast du es ganz vergessen, wie sehr meine Seele an deine gekettet ist? Du bist ein schlimmes Roß, Harro, und jagst mit mir durch Gestrüpp und Dornen und Sümpfe und eiskalte Schauer und rote Höllenglut. Wir waren doch eben bei den Verdammten und sahen durch das Gitter in die seligen Gärten hinein. Nun jagen wir davon, und es wird wohl wieder eine kalte, finstere Einsamkeit werden, in die wir jetzt kommen.«
»Oh, was soll ich tun, Rose, wie soll ich...«
»Beugen sollst du dich, Harro, du mußt. Ich wollte ja noch weiter mit dir davon rasen, aber der Tyrann tut es nicht mehr. Und er hat ja die Macht, die hat er auch von Gott. Und dann mußt du dich doch beugen. Das Rad geht über dich hinweg. Das hält deine wilde Kraft nicht auf, dein Jammer und deine Leidenschaft nicht. Und wenn du doch mußt – sie haben dich doch nicht belogen, die Herren, ich habe es ihnen verboten, dich zu belügen – Wenn du dich beugen mußt, warum nicht jetzt, nicht gleich: ›Dein Wille geschehe!‹ – Jetzt bin ich noch bei dir, helfe dir, neige mich mit dir. Aber ich kann dir keine wilden Wege mehr versprechen. Damit ist es am Ende. Du mußt dich in Gottes Hände ausliefern.«
Seine gefalteten Hände verkrampften sich, er legte seinen Kopf auf ihre Bettkante... »Ich kann nicht, kann nicht, das ist über meine Kraft,« stöhnte er. »Das kann kein Mensch und kein Gott von mir verlangen. Ich werde es tragen, ich quäle dich nicht wieder, ich werde geduldig sein, ich verspreche es dir – ganz sanft und geduldig.«
»Als ob du es könntest, Harro, aus eigener Kraft, sanft und geduldig sein. Das hast du doch bisher auch versucht, du mein alter liebster Harro, du hast mich doch nicht peinigen wollen. Du hast es aber doch getan und weißt, daß du es getan hast, und wirst es wieder tun. Und so werde ich eben weiter gerissen mit dir. Jetzt wehre ich mich noch, jammere, flehe, dann werde ich verstummen. Und es müßte nicht so sein. Ein solches Gebet, wie käme es unerhört zurück! So hat Jesus gebetet in Gethsemane. Was ist dein Leiden gegen seines! Du öffnest den Himmel, Harro, daß die goldenen Ströme herabrauschen können auf dein armes Herz, ach, wie selig СКАЧАТЬ