Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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СКАЧАТЬ an, den er roch.

      Der Igel benahm sich höchst manierlich und lief auf dem schönen Teppich herum. Klein Heinz bewunderte ihn bäuchlings und machte kühne Streichelversuche, um allemal erschrocken wieder die Hand zurückzuziehen. Das mußte ihm sehr witzig vorkommen, denn er lachte jedesmal hell auf und bildete in seiner Freude den ersten Satz seines Lebens: »Dute Alo Igel bacht,« und mußte das seiner blassen Mama wiederholen, was er auch mit Stolz tat. Endlich schlug unwiderruflich seine Stunde, und er wurde, unter lebhaftem Protest zwar, mit samt dem Igel und dem Fips von dem Vater fortgebracht.

      Später kam Harro noch einmal herein, wie er versicherte, gänzlich gewaschen und gesäubert, und setzte sich einen Augenblick an Rosmaries Bett. Rosmarie war noch voll von Heinz' Sprechkünsten und seiner Freude. Da ertönte schon der Gong.

      Tante Ulrike nahm das einsame Mahl mit ihm ein. Der Fürst war heute nicht gekommen. Er hatte eine Schale herrlicher Pfirsiche geschickt, mit Marschal-Niel-Rosen zugedeckt. Ulrike wählte den schönsten aus, um ihn hinüber zu bringen und sagte: »Es ist heute das erstemal, daß der Herr nicht gekommen ist.«

      Harro stand auf und reckte seine Arme: »Nun, so viel Mut kann man schließlich kaum von ihm verlangen nach dem Besuche von heute morgen, er hat auch vielleicht nicht gleich einen Igel gefunden, den er hätte vor sich hinhalten können. Tante Ulrike, ich werde meine Farben für morgen herrichten, und du sitzest jetzt bei der Rose, bis sie einschläft.« Und damit ging er zur Türe. Die alte Dame rief ihm nach: »Harro, sie wartet nun den ganzen Tag auf dich. Was soll ich ihr nur sagen?«

      »Was dir einfällt, Ulrike.«

      »Das ist unverantwortlich, wie du mit ihr umgehst. Sie fühlt nichts, sie ängstigt sich nicht, sie hat heute nichts von den Ärzten ausgestanden! Wenn nur du deinen Weltengrimm austoben kannst!«

      »Tobe ich etwa? Ich benehme mich sehr gesittet. Ich bekomplimentiere Herren hinaus, ich finde Igel, ich gehe jetzt meine Farben herrichten... Das verstehst du nur nicht, die Feinheit. Sieh, wie die Rose darauf eingeht, wenn sie es hört. Sie ist dreiviertel getröstet.«

      Und sie hörte ihn hinübergehen und das Atelier abschließen.

      Ulrike versuchte ohne jeden Glauben an die tröstende Wirkung die Farbengeschichte vorzubringen. Aber Rosmarie glänzte sofort auf.

      »Ach, das ist gut, Mutter Uli! Und wenn man alles überlegt, haben wir doch allen Grund, froh zu sein, daß das Auto wieder fort ist und sie nicht noch mehr Unheil angerichtet haben.«

      Im Atelier saß Harro an seinem Zeichentisch und zeichnete auf einem großen weißen Bogen die beiden Herren, den von Königsberg und den von Berlin. Als ob er sie seit Jahren gekannt hätte, so standen sie da. Er gab ihnen aber weiße Tellerkragen und Talare, und ihre feinen Köpfe sahen noch besser darauf aus. Sie saßen um einen Tisch und hatten Papiere vor sich. Auf dem obersten Blatt stand ein Name, ein geliebter Name, und der Berliner zeichnete mit seinen nervösen Doktorhänden ein Kreuz daneben. Der andere sah ihm dabei zu, ruhig unbewegt, eisig.

      Dann fixierte er das Blatt sorgfältig, rollte es zusammen und adressierte es an den Berliner Herren.

      »Ein kostbares Blatt und ganz umsonst,« murmelte er.

      Drüben war das Licht im Vogel Rock erloschen. Rosmarie schlief also schon und erwartete ihn nicht mehr. Dann streckte er sich auf sein altes Lager, das er in der letzten Zeit wieder benützt hatte.

      Er war todmüde und schlief sofort ein. Und sein Geist ging steile und mühselige Pfade zwischen Geklüft und rasenden, tobenden Gebirgswassern. Vor ihm flog ein großes, schwerfälliges Tier, ein Reiher vielleicht, mit langsamen Flügelschlägen, und es war sein Elend, daß er es immerfort vor sich haben mußte. Und eine Masse kleiner Kinder drängten sich zwischen den Steinen hindurch. Jede Art von Unglück konnte ihnen passieren, ins Wasser mußten sie rollen, jämmerlich im Geklüft stecken bleiben. Und das schlimmste wäre, wenn der Vogel sich umdrehte.

      Er nahm ein paar der Unglücksgeschöpfe auf, aber er konnte doch nur eins auf jeden Arm nehmen, und da rollte schon das erste über die glitschig glatten Steine in das tobende Wasser. – Und der finstere Vogel wandte sich... Sein Schnabel verwandelte sich in eine schön geschwungene Nase. »Eventuell,« krächzt er, »eventuell«, und schlug seine schwarzen Flügel über dem Kinderjammerhäufchen.

      Im hellen Entsetzen wachte Harro auf. Ein graues Mondlicht erfüllte seine Zelle, und auf der geweißten Wand geisteten die Schatten der Aristolochienblätter. Er fuhr in die Höhe, jemand mußte ihm gerufen haben. Sein Herz schlug noch wild, es war aber totenstill, nur der Wald rauschte ferne.

      Er sah nach den sich leise verschiebenden Blätterschatten, matt und abgespannt und dennoch froh, daß er dem Traumelend entronnen war. Aber lange duldete es ihn nicht. Aus den sanften Blättern dort an der Wand wuchs eine Hand heraus, eine feine Doktorshand, die schrieb ein Wort und noch eins, er mußte nachlesen... »eine plötzliche Änderung«. Da schlug er mit der Faust an die Wand, daß die dröhnte und der Verputz abrieselte...

      Da stand er auf und floh in sein Atelier und kleidete sich an. Drüben war's dunkel.

      Es war ein unsinniger Gedanke, aber er machte ihn erbeben ins tiefste Mark. Er wollte wenigstens horchen. Da eben glühte das Licht im Vogel Rock auf. Er stürzte hinüber und klopfte. Die Tante in ihrem Morgenrock und weißem Spitzentuch über dem vollen grauen Haar stand vor ihm:

      »Was tust du da, Harro!«

      »Ich erschrak,« stammelte er. »Warum habt ihr Licht?«

      »Nun, die Rose schläft doch nicht die ganze Nacht.«

      »Kann ich sie sehen?« »Kannst du wirklich sanft genug mit ihr umgehen?«

      Er nickte und schob die alte Dame beiseite.

      Die Rose hatte sehr rote Lippen und die schönsten Augen. Sie saß aufrecht in ihren Kissen und lächelte ihn an.

      »Ist das wunderschön, daß du kommst, so mitten in der Nacht.«

      »Ich habe dir keinen Gutenachtkuß gegeben,« sagte er, und beugte sich über sie und küßte sie, und ein leiser Rosenduft wehte ihm entgegen.

      Und plötzlich lag sie ganz in seinen Armen, und seine Küsse schauerten auf ihr Haar, ihre Stirn, ihren holden Mund.

      Die alte Dame legte ihm die Hand auf die Schulter: »Harro, ich bitte dich, Harro, kann man sie gar nicht mehr vor dir bewahren! Immer verbrennt man oder erfriert man bei dir.«

      Harro wandte sich und erschrak so bitterlich, daß er ihr im tiefsten Herzen leid tat.

      »Du mußt nicht böse mit ihm sein,« bat die süße Stimme der Rose. »Sieh, du hast ihn erschreckt. Wenn mir nichts Schlimmeres geschieht als seine Küsse!«

      »O Kind, wenn du daliegst und er dir ein Messer hineinstieße, so würdest du auch sagen, es tut wohl.«

      Sie sah mit ihren großen sanften Augen zu ihr auf: »Das würd' ich wohl, Uli. Und es schmerzte gewiß nicht, wie das schreckliche Ding da innen. Nun mußt du ganz still und gut sein, Harro, und dich mit Uli vertragen, wenn du bleiben willst. Diese Herren haben zu sehr auf mir herumgehämmert.«

      Harro setzte sich und sah zu der alten Dame auf: »Uli, laß mich da, du kannst mich nicht in die Nacht hinausjagen, sonst stehe ich unter dem Fenster und weine.«

      »Uli,« rief die Rose, »gib mir mein Taschentuch, СКАЧАТЬ