Die Rose hat entschieden, nach vielen und langen Beratungen mit Tante Ulrike und dem Herrn Hofrat, daß die Fürstin nach Brauneck zurückkommen solle. Und daß Alfred zwar nicht mehr die ganze Verantwortung für sie haben, aber dem Fürsten doch noch beistehen soll, und daß Tante Marga mit zwei Pflegerinnen sich in die Arbeit teilen wird. Die näheren Einrichtungen überraschen den Fürsten. Ganz genau wird ausgemacht, daß die Fürstin den oberen Stock bewohnen und nicht zu den Mahlzeiten herunterkommen soll. Das Auto soll in Thorstein untergebracht werden. Spaziergänge wird die Fürstin nicht machen, sondern nur jeden Tag mit Gräfin Marga spazieren fahren. –
Noch nie in ihrem Leben ist Rosmarie so energisch gewesen. Sie sagt: »Ich kann Mamas Zustand viel besser beurteilen als ihr alle. Ich habe Mama in jenem Sommer einmal gepflegt.«
Und die Fürstin will nach Brauneck. Dorthin will sie und quält ihre Umgebung von morgens bis nachts darum. Als sie erfährt, daß sie in Brauneck erwartet werde, ist ihr Verlangen ebenso plötzlich ausgewischt. Niemals hat sie nach Brauneck gewollt, von dem sie doch immer gesagt, wie sehr sie es hasse. Aber am Tage, als ihr gesagt wird, alles sei zu ihrem Empfang bereit, müssen augenblicklich die Koffer gepackt werden.
Nun sind sie angekommen, und jedermann hat sich entsetzt über ihr gänzlich verändertes Aussehen, ihre schreckliche Magerkeit und über des armen Alfred Aussehen, der einem Schwindsuchtskandidaten gleicht und von dem Herrn Hofrat sofort ins Bett gelegt wird. Und Marga ist drüben installiert mit zwei Krankenschwestern, das hat Alfred verlangt; denn, meint er, seine Schwester reite auch noch eine vierte Dame tot.
Da bekommt Tante Ulrike Gewissensbisse. »Liebe Rose, ich denke immerfort an Marga, und weißt du, ich bin von meinem Vater her sehr streng gewöhnt: es müßte christlich geteilt werden. Nun frage ich dich, Rose, ist das christlich geteilt? Daß ich dich pflege und Marga die Fürstin!«
»Doch, es ist christlich,« ruft die Rose triumphierend. »Du hast alle Last mit mir und Harro allein und wirst von uns beiden ausgenützt und geplagt. Marga teilt ihre Pflege mit drei andern: Alfred,« – sie weiß nicht, daß der ausgeschaltet ist, – »und den Schwestern, und Vater ist auch noch da.«
Und es ist sehr wunderbar, und sie können's kaum glauben, aber es ist jeden Tag deutlicher: der Rose geht es besser. Sie kommt auf ihre Füße und macht ein paar Schritte. Harro steht hinter ihr und streckt seinen Arm aus, auf den stützt sie sich, und wenn sie zurücksinkt, geschieht es ja in seine Arme, und Tante Ulrike geht daneben, Heinz trägt wichtig Mamas kleines grünes Kissen, und so kommen sie den ganzen Malvengang entlang.
Rosmarie hat es ihrem Vater sehr leicht gemacht, sie wieder zu sehen. Als sie ihn kommen hört, hat sie Heinz, den Fips und den Igel, der schon ganz zahm geworden ist, auf die Terrasse, wo sie liegt, bringen lassen und hat alle drei aufeinander losgelassen. Der Hund bellt und hüpft um den Igel und zieht die Schnauze hinauf, wenn er die Stacheln zu spüren bekommen hat, Heinz kreischt und wälzt sich vor Entzücken. Harro steht breitbeinig dazwischen, kommandiert und sorgt, daß keins dem andern zu viel tut. Und der Fürst sitzt plötzlich lachend neben seiner Tochter, er weiß nicht wie. »In Gegenwart eines Igels kann man nicht sentimental werden,« hat die Rose vorher ihrem Mann verraten, »und wozu auch? Es ist gemütlicher so.«
Alle Morgen sind Rosmarie und ihr Mann im Atelier, und die Tür wird geschlossen. Harro malt an seinem großen Bild, an dem schönsten Bild. Er hat die größte Leinwand genommen, die er noch je benützt hat, und malt auf einem kleinen Gerüste. Rosmarie liegt auf ihrer Chaiselongue an der offenen Glaswand, zu schön ist's da. Sie kann in den Garten sehen, aber niemand herein, und sie kann ihrem Mann zusehen bei seiner Arbeit: Das grauversponnene Stück Himmel, die Reiher, die klagenden Baume. Es ist eine Riesenarbeit, und sie paßt zu dem Mann, der davor steht. Wie ein Kämpfer muß er mit seinen großen Pinseln umgehen und seine Leinwand anfallen. Er trägt nur eine graue Leinenbluse, mit der er seiner Rose durchaus nicht zu nahe kommen darf. Sie glänzt und schillert in allen Farben. Er sieht sich auch nicht viel nach ihr um, er vermalt seine Wildheit, sein bitteres Weh, sein tägliches Opfer in die Bäume und ihre gegen den grauen Himmel gereckten Äste, in die dahinsegelnden Reiher.
Ach, sie wollen nicht kommen, die goldenen Ströme, von denen die Rose sprach. Wie viel sein Herz schon gelernt hat, wie viel von neuer Weichheit schon in ihm ist, das weiß er ja auch gar nicht... Nur das eine fühlt er im tiefsten Herzen. Er nennt es den Schleier der Gisela. Darin eingehüllt trägt er auf seinen starken Armen seine geliebte Rose ihren letzten Weg.
Die Besserung täuscht ihn keinen Augenblick. Und Tante Ulrike weiß schon gar nicht mehr, wie sie eine Nacht oder die frühen traurigen Morgenstunden ohne seine Hilfe verbringen soll. Wie die Rose auf seine Schritte horcht, wenn sie endlich gestattet, daß man ihn holt. Er kommt und er bringt den Schleier der Gisela mit. Er hat ja so feste Arme, er wird nicht müde. Er kann sie in ihren Kissen halten, so wie es ihr am wohlsten tut. Manchmal streiften seine Lippen ihre Stirne, ihr Goldhaar, und sie können ihr Dinge zuflüstern, über die sie in aller Pein ein wenig lächeln muß. Er kann auch schweigen und seine herrlichen Augen auf ihr ruhen lassen mit einem seltsam ruhigen Blick, den früher niemand an ihm gekannt hat. O wie herrlich ist der Schleier der Gisela... Er hat an einem endlosen Morgen sogar einmal ein Lied gesagt, von dem niemand wußte, woher er es kannte, wenn er es nicht aus dem alten silberbeschlagenen Buch von Märts Mutter hatte, das zu der Rose hinübergewandert war. Märt sah es auf ihrem Tisch liegen, als er sie mit seinem Herrn zusammen auf der Chaiselongue hinaustrug, und wurde allemal rot über die Ehre. Und Harro mußte hineingesehen haben, denn wie das Morgenlicht über den Bergfried herüberkam und der Rose große sehnsüchtige Augen an dem jungen Lichte hingen, lag ihr Haupt so todmüde auf seiner Schulter da, und er war ihrem Blick gefolgt und hatte gesagt:
Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht vom unerschöpften Lichte,
Schick uns diese Morgenzeit
Deine Strahlen zu Gesichte
Und vertreib durch deine Macht Unsre Nacht.
Deiner Güte Morgentau ...
Fall auf unser matt Gewissen,
Laß die dürre Lebensau
Lauter süßen Trost genießen – – –
Oh, wie ist der Schleier der Gisela sanft.
Manchmal sieht sie zu ihm auf wie das Seelchen, das ja noch an seine halbe Allmacht glaubte, so daß es von ihm Flügel verlangt hatte.
Hans Friedrich ist in Stuttgart und in Dresden und wer weiß wo und probt. Er entwickelt eine sanfte Energie und Hartnäckigkeit, die ihm überall die Wege öffnet, und er schont den Braunecker Geldbeutel nicht. Und nun wird er nach Brauneck kommen, und Rosmarie freut sich sehr auf ihn.
Sie geht ja schon den ganzen Malvengang hinunter und bis zur Terrasse. Klein Heinz, der so klug ist, begreift, daß Mama etwas nicht kann, was er auf verschiedene Weise kann. Bäuchlings und auf allen vieren und nach vorn und hinten. Das letzte auf schreckhafte Art und mit großem Geschrei. Aber sogar seine Mutter hat sich an sein Geschrei gewöhnt, er trompetet so gesund, so herrenmäßig zornig, und man ist, wenn ihm sein Geheul selbst zu dumm wird, ein so plötzliches Verstummen gewöhnt, daß man sein Unglück nicht tragisch zu nehmen braucht.
Nun ist Harro mit dem Hintergrund fertig, und nur die mit Kreideumrissen angedeuteten, fast dreiviertel lebensgroßen Gestalten stehen immer noch weiß auf dem Grunde der Wasserfläche, die СКАЧАТЬ