Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 163

СКАЧАТЬ ist's jetzt, Rose, wollen wir uns ein wenig Vakanz gestatten? Ich muß alles noch einmal übergehen, ich komme jetzt an die Gestalten.« »Aber ich denke mir doch jetzt schon so lange alles aus, Harro, daß es schade ist, wenn wir nicht weiter machen. Die Septembertage sind so kurz.«

      Wunderschön, aber kurz, und morgens ist der dicke weiße Nebel da und steigt manchmal herauf bis zum Knauf des Bergfrieds. Das liebt Rosmarie nicht. Nur nichts Kaltes, Feuchtes; wenn dann die Sonne an dem seidig blauen Herbsthimmel kommt, das tut ihr wohl. Sie überlegen noch, als Ulrike, wie sie sich ausdrückt, mit einem lachenden und einem weinenden Auge hereinkommt, ihre Schwester Marga am Arm.

      »Da ist sie, Rose und Harro, sie lebt noch, aber seht sie euch an, seht sie euch nur ein einziges Mal an.«

      Die gute Marga sieht sehr mitgenommen aus, und von ihrer Pflege kann sie nur mit Vorsicht berichten, und dann verstummt sie plötzlich, sie hat in der Rose Augen gesehen.

      Als sie wieder fortgefahren ist, läßt es Ulrike keine Ruhe mehr. »Es ist unchristlich,« seufzt sie, »Herzblatt. Und du bist ja ebensogut mit Marga versorgt.«

      »Meine Mutter Uli, o meine böse, grimme, alte Uli! Sieh m den Spiegel, ob man sich nicht vor dir fürchten muß.«

      »Ich überlege mir eben, ob es Gerechtigkeit ist, Rose, daß ein kranker und schuldiger Mensch drei gesunde unschuldige Leute zu Tode reiten darf. Eine der Schwestern hat schon gewechselt werden müssen. Ich meine, ich sei da drüben nötig. Die Marga ist ein weiches Schäfchen, was man von mir nicht sagen kann. Es muß ihr der Ernst gezeigt werden.«

      »Uli, ist es nicht schon furchtbar genug, wie sie sich in ihre Lage finden muß: eingesperrt in den oberen Stock, immer Menschen, die einem nur ›Nein‹ sagen dürfen, um sich herum, nur diese Ausfahrten zwei Stunden lang?«

      »Liebes Herzblatt, fährst du etwa eine Stunde aus? Und sage ich etwa nicht auch ›Nein‹ zu dir?«

      »Ach, Uli, mit mir kannst du sie nicht vergleichen, denk an den Schleier der Gisela ... Und ich ließe dich gleich gehen, Uli, wenn ich dächte, du könntest sie ein wenig beruhigen. Aber ich fürchte, es gelingt dir nicht, denn du denkst zu viel an mich. Und ich bin ja auch froh, daß der Herr Hofrat Vater die Besuche oben untersagt hat. Das eine Mal am Tage hat ihn schon so mitgenommen. Die furchtbarsten Vorwürfe machte er sich, ob er nun wirklich an ihrem Leiden schuldig sei, wie sie sagt. Er zermartert sich damit, und sie hat es gefühlt und hat sich darauf gestürzt, daß ich ihn kaum noch habe wieder zurechtbringen können. Nein, es müßte jemand mit der Mama zu tun haben, der für sie Liebe hätte. Eine Liebe, die scharfsinnig, hart und weich zu gleicher Zeit macht. Eine Liebe aus dem Korintherbrief.«

      »Liebes Herz, wenn wir die irgendwo auftreiben können, so soll sie engagiert werden. Eine Liebe zu diesem Weibe! Eine der Pflegerinnen in der Schweiz, ein nettes, ein wenig ängstliches und beschränktes Mädchen soll um ihretwillen einen Selbstmordversuch gemacht haben und gerade noch von Alfred verhindert worden sein. Nun denk dir: ein solches Weib und eine Liebe zu ihr! Das gibt's auf der ganzen Welt nicht.«

      Nun versucht man, mit Rosmarie täglich eine kleine Fahrt zu machen, und Heinz hat eine große Freude, wenn Mamas Wagen vorfährt. Und Vater reitet daneben her. Heinz darf auch mitfahren, obgleich seine Gegenwart im Wagen für Mama etwas anstrengend ist. Seine kurzen Beine scheinen zu wachsen und überall zu sein und namentlich einen magnetischen Zug zu Mamas Knien zu verspüren. Wenn er das drittemal daran gestoßen hat, so angelt ein langer Arm nach ihm und faßt ihn an seinem roten Mäntelchen, und er wird auf Vaters Pferd gehoben. Zuerst fürchtet er sich ein wenig und schlingt krampfhaft seine Ärmchen um Vaters Arm, der Gaul hat von ihm aus gesehen so drohende Ohren, die immer in Bewegung sind, aber dann fürchtet er sich bald nicht mehr und sitzt mit einer ernsthaften Selbstverständlichkeit oben. Und sie fahren jeden Tag den gleichen Weg, bis dahin, wo man hinübersehen kann nach Brauneck. Dann wendet Märt sehr kunstvoll, und man kehrt zurück.

      Eines Morgens hat man Harro nicht geholt, er hat vor seinem Bild gestanden und die Umrisse der beiden Gestalten angestarrt. »Mit der zweiten Gestalt werde ich alles verderben,« denkt er. »Wie soll ich sie denn herausbekommen? Es wird natürlich zweimal die Rose werden, einmal mit grauen, einmal mit blauen Augen.« Er hebt seinen Pinsel auf, um die zweite Gestalt zu überdecken, da kommt seine Tante herein.

      »Die Rose möchte nach Brauneck fahren.« »Nach Brauneck, das ist zu weit, du mußt es ihr ausreden.«

      »Es wird nicht möglich sein, Harro ... Du kennst sie ja. Geh selbst hinüber.«

      Er ließ seinen Pinsel sinken und ging hinüber. »Rose, du willst nach Brauneck?«

      »Ja, Harro, den Vater überraschen. Und es ist auch nur ein Versuch, wir fahren bis zur Klinge. Du weißt dort, wo die Bergeschen stehen und die alte Totensteige heruntergeht, dort halten wir, und bin ich zu müde, dann drehen wir wieder um.«

      Er hält ihren Kopf zwischen den Händen und sieht ihr in die Augen. Die haben so etwas Flehendes, Herzbezwingendes und zugleich Trauriges, daß er ihr nicht widerstehen kann.

      »Nun, wir können es ja versuchen. Umkehren können wir jederzeit, aber wir müssen uns wohl auf eine Braunecker Nacht einrichten, denn am gleichen Tag zurück, das ist sicher zu viel.«

      »Das können wir. Vater hat ja alles richten lassen.«

      Sie liegt in ihrem Garten, aber der Himmel hat sich umzogen, und auf der Terrasse liegen gelbe Blätter. Es ist ihnen recht, daß sie so schweigsam ist, denn sie wird heute noch Kraft brauchen.

      Gegen zwölf Uhr sagt sie plötzlich: »Es wäre mir sehr lieb, wenn Märt jetzt einspannen wollte. Wenn er sich etwas beeilen könnte, so wäre es mir lieb.«

      Harro runzelt die Stirn. »Ich dachte, wir führen heut nachmittag.«

      »Bis dahin werd' ich müde sein. Darf ich dich bitten, Harro? Und Harro, wir kehren um, natürlich kehren wir um, wenn ich zu müde werde.«

      »Liebe Rose, werde auch gewiß zur rechten Zeit müde, denn wenn wir im Tal sind, können wir nicht mehr zurück, dann müssen wir hinauf.«

      »Ich werde schon, Harro ... es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß wir hinüber kommen.«

      Dann fährt der Wagen vor. Heinz hat man in den hintersten Gartenteil verbannt, daß er es nicht merkt, wenn der Wagen vorfährt und man nicht sein Klagegeschrei zu genießen hat. Harro hüllt die Rose in ihren schönen Wagenmantel. Einen Hut trägt sie nicht, nur einen weißen Gazeschleier um Haar und Hals gewunden. Vielen Menschen begegnet man ja nicht. Dann besteigt Harro seinen Braunen und reitet voraus.

      Es ist gut, daß er die Rose nicht sieht, denn wie die Pferde anziehen, wird sie schneeblaß und flüstert mit versagender Stimme: »Wir kehren zurück, natürlich kehren wir zurück...«

      Erst wenn sie auf der Landstraße find, kann Harro nebenher reiten, mit einem Blick auf die Rose meint er aber: »Nun, die Aussichten sind gering, Rose.« Und es erleichtert ihn etwas.

      Ulrike hat die schmale kalte Hand in dem feinen Handschuh in der ihrigen und flüstert: »Kind, du marterst dich... laß es jetzt genug sein.«

      Die Rose antwortet: »Wir fahren bis zur Klinge.«

      Das ist der einzige Ort in der Gegend, wo man sowohl Brauneck als auch den Thorstein sehen kann. Dort senkt sich die Straße zum Tal in schönen Kehren und ersteigt auf der andern Seite den Schloßberg von Brauneck. Verschiedene alte vergraste Wege begegnen sich da, die nur Kinder und Ackerleute noch benutzen. СКАЧАТЬ