Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 143

СКАЧАТЬ Sie öffnete weiter. Plötzlich schrie sie auf: »Harro! Nein, du bist nicht am Rande. Sieh da, lies! Was dir einer für die Kopie von deiner Lindenprinzessin anbietet.«

      Harro drehte sich nicht einmal um. »Kann er lang anbieten.«

      »Harro! da sieh dir die Summe an. Davon könnt ihr Jahre leben ... Harro! So ... Harro, du erschöpfst mich .... Ja gedenkst du denn als fürstlich Brauneckscher Pensionär zu vegetieren?« Tante Ulrike hatte ihren höchsten Trumpf ausgespielt. Aber an diesem wie aus Holz geschnitzten Rücken verfing nichts. Ein leichtes Zucken der Achseln. Tante Ulrike hatte für heute ihr Pulver verschossen und ging hinüber zu dem »Kind«.

      In dem großen Schlafzimmer standen die Fenster weit offen, und von Zeit zu Zeit, wie der stoßweise Wind hineinfuhr, flatterten die hellen Vorhänge auf und dann war's wieder schwül wie zuvor. Rosmarie lag auf ihrer Chaiselongue, die am Fußende des Bettes aufgestellt war, neben sich ein niedriges Tischchen mit allerhand Dingen beladen. Ein wundervoller großer Kornblumenstrauß stand in einer altsilbernen Vase. »Nun, Kind?« Aber das Kind hob kaum die großen müden Augen. Ihre schmalen Hände hatte sie unter ihr Haar vergraben, und das weiße zarte Spitzengewebe auf ihrer Brust war in leiser, zitternder Bewegung.

      »Was macht Harro?«

      »Er ist nicht in der glänzendsten Laune. Und er läßt dich um eine Unterschrift bitten. Hier. Die Thorsteiner sind wieder einmal arm wie Kirchenmäuse, das scheint ihnen von Zeit zu Zeit passieren zu müssen. Macht's dich nicht zu müde?«

      Sie schob ihr Tinte und Feder hin.

      Rosmarie hob ängstliche Augen: »Muh ich wirklich rechnen, Tante Uli? Heut bin ich zu müde.«

      »Nein, Schäfchen, nein, wenn du es nicht selbst willst. Ich will es gewiß nicht. Nur deinen Namen, daß das Thorsteiner Schiff wieder flott wird. Es ist zu stark geladen und liegt auf einem Riff.«

      Rosmarie sah sie verwundert an. Und nahm die Feder ... Tante Ulrike war rot bis in die Schläfen, als sie die Augen darauf fallen ließ. »Dieser faule Harro! Hier, ja hier.« Rosmarie schrieb ihren Namen, es war schon eine Arbeit für sie, obgleich die Tante ihr die Unterlage hielt.

      »Ist es nun recht?«

      »Gewiß, Schäfchen ... so schön hast du geschrieben. Nun ja, jetzt kann es wieder gehen. Ob es so gut für Harro ist, weiß ich freilich nicht.«

      »Was ist nicht gut für Harro?« fragte sie ängstlich. »Was meinst du mit dem Schiff?«

      »Ach, Herzchen, daß er sich so gar nicht zu rühren braucht und seine Tage so verdämmert und du ihm mit einem Federstrich verschaffst, was er sich eigentlich erringen müßte. Ob das so gut ist ...?«

      Rosmarie errötete ein wenig, sie hatte jetzt erst begriffen. »Es war sehr unnötig, daß Harro es beim Vater durchgesetzt hat, daß alles auf meine Unterschrift geht. Es ist doch seine Sache. So gut ich ihm gehöre, so doch alles, was ich habe oder hatte.«

      »Die Thorsteiner sind sonst nicht so gerne aus fremden Schüsseln satt geworden, und es wundert mich, daß sich Harro so schnell daran gewöhnt.«

      Rosmaries große graue Augen wurden naß. »Es sind doch keine fremden Schüsseln, und ich möchte Harro jetzt sehen. Vielleicht ist er traurig ...«

      »Aber Herzblatt, so mußt du es nicht nehmen ... Nein, es ist alles recht ... natürlich keine fremden Schüsseln, ein ganz dummes, altmodisches Wort von deiner altmodischen Tante, ich dachte nur, wie gut es wäre, wenn Harro wieder etwas täte. Seine Briefe liest er nicht einmal.«

      »Dann ist er sehr, sehr traurig, Tante. Ach, man läßt ihn gar nicht zu mir.«

      Die alte Dame nahm die ach so durchsichtig feine Hand in die ihre, auf der die bläulichen Schatten liefen, und sagte: »Kind, wenn das Schlänglein da an deinem Halse nicht wäre, das blaue Schlänglein, das so klopft ... Kind, sag doch selbst! Wenn du diesen langen Menschen jetzt bei dir hast, er ist wie lauter zähe, alte Buchenknorzen heute; so wirst du so schlimme Dinge anstellen ... du fühlst das Gewitter. Heinz schreit den ganzen Morgen. Das Kind spürt es auch, er weiß nicht, was er will. Unerträglich schwül ist's, Kind. Du mußt jetzt versuchen, ein wenig zu ruhen ... Du siehst selbst ein, daß du dich jetzt nicht mit widerhaarigen, schlechtgelaunten Männern abgeben kannst. Eine kurze Zeit Geduld noch, Kind!«

      Sie nickte ihr zu und ging mit ihrem braunen Buch hinaus. Nein, es war doch nicht drückend, von Rosmarie etwas zu empfangen, ihr ganzes Wesen war so von demütiger Liebe erfüllt, daß ihr der Gedanke, daß sie noch ein Verfügungsrecht über ihr Eigentum hatte, nur schmerzlich war.

      Harro stand immer noch am Fenster. Sie sagte: »Harro, du hast eine gute Frau ..., die muß der Himmel für dich herausgesucht haben, gerade weil sie so weich ist. Hart trifft bei dir immer wieder auf hart...«

      Aber er gab darauf keine Antwort, sondern schlenderte langsam in den Garten, wo der Rasen voll abgewehter Rosenblätter lag. Düster hing der späte Nachmittag über dem Thorstein, ein leises fernes Murren ließ sich hören, und zuweilen vergoldete ein ferner Blitz das graue Wolkengeschiebe.

      Rosmarie hatte selbst nicht mehr nach ihrem Manne verlangt. Nur Tante Ulrike saß wieder bei ihr, als der frische Abend einbrach. Nun wehte kein Lüftchen mehr, kein Baumrauschen, nur der Brunnen erklang im Hofe. Das Licht glühte auf im Vogel Rock, alle Fenster standen weit offen, und doch war nirgends nur das leiseste Bewegen in den Vorhänge. Und nun kam das Knurren näher und näher, wie wenn die Burg auf dem Berge umlagert wäre von drohenden Ungeheuern, und überall an den Horizontlinien liefen glühende Fäden hin und her, zerrissen dort die Finsternis auf eine Sekunde und grenzten hier eine dunkle Hügelwelle, dort einen Waldrücken gegen den Himmel ab.

      Tante Ulrike saß ängstlich neben dem Kinde. Der Herr Hofrat war schon dagewesen, hatte Rosmaries matte Erregtheit auf die schwüle Luft geschoben, und es war ihr doch ein gewisser Ernst des Mannes nicht entgangen. Rosmarie hat seit jener Nacht nie mehr ein Wort über ihre Krankheit gesprochen, als wären jene Worte nie gefallen, so war es zwischen ihnen. Nein, nein, das Kind würde eine lange schlimme Zeit haben, aber es ist ja zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt. Nein, das alte Herz, das sich noch einmal einer so innigen Liebe geöffnet hat, hält ihn fest, den köstlichen Besitz, das Wunderkleinod. Rosmarie hat ja nie eine Mutter gehabt und dieses selbstverständliche Verlangen und Hinnehmen gekannt, denn das köstlichste Teil der Liebe zur Mutter ist, daß man immer gibt, wenn man nimmt. Rosmarie ruhte. Jede Berührung ihrer Hand war wie eine süße Wohltat für Tante Uli, die für jedes Lächeln dankbar war. Und wenn sie litt, so brauchte sie es vor der alten Dame nicht zu verbergen. Die wußte es ja doch und sie stand so tapfer dabei. Sie ließ nie merken, daß es ihr selbst das Herz zerschnitt. Und doch konnte Rosmarie sie keine Sekunde für gefühllos halten. Und sie war immer ein wenig heiter mit ihren trockenen kleinen Redensarten, und ihre Hände waren weich und stark, und jede Berührung tat wohl. Sie war eine Mutter. In ihren alten Tagen war sie es geworden. Sie war eine große Menschenkennerin, die Tante Uli, und pflegte mit Stolz von sich zu sagen, sie habe sich noch nie im Leben in einem Menschen getäuscht, sondern jedem sofort an der Nase angesehen, was er wert sei. Und Rosmarie hatte ihr vom allerersten Anblick bei ihrer Hochzeit das Herz abgewonnen. Freilich hatte sie damals nur an mehr oberflächliche Beziehungen gedacht und gemeint, die junge Prinzessin werde wohl kein so ausgeprägtes Bedürfnis nach alten Tanten haben. Und nun war es doch so gekommen.

      Ach, und heute litt ihr Mutterherz... Es war, als gäbe es ihr jede Sekunde neben dem weißen Bett deutlicher ein: wir haben umsonst gehofft... So unruhig und so matt ist das Kind. Ihr weißes Gesicht ist ganz umflutet von den goldenen Haarwellen, so wirft sie sich hin und her, und ihre Hände auf der dünnen blauseidenen Steppdecke halten keinen Augenblick still.

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