Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 139

СКАЧАТЬ Warum hielt sie denn die Arme so hoch? Ich wollte das Reh schießen. Den Finger hatte ich am Hahn. Da kamst du. Warum bist du auch zu ihr gegangen? Was ich liebte und was mein war, das kam immer alles zu ihr. Du warst das letzte. Sie hat meinen Ring. Sie hat den Braunecker Erben, sie hat meine Jugend. Da hielt sie die Arme hoch. Da schoß mir das Blut zu Kopfe und dann lag sie da. Da rannte ich zur Kreuzklinge... Ich wischte über meine Augen, aber das Bild verschwand nicht. Immer hält sie die Arme hoch, und die Blumen und der Abendhimmel. Und über die Wiese muß ich gehen, sonst verzweifle ich. Bin ich nun schuldig? Bin ich eine Mörderin? Ich bin hingegangen und habe sie gesehen, wie sie dalag in ihren weißen Binden. Ich weiß nicht mehr, wie sie aussah. Immer steht sie da und hält die Arme in die Höhe, und jetzt wird der Himmel rot. Steht sie nicht dort... dort. Ach, jetzt ist sie gefallen... Komm mit mir schnell, schnell. Sie merken nichts...«

      Die beiden Geschwister eilten dahin. Atemlos... über die grasigen Wege, bis zu der Stelle, wo der Wagen hielt. Mühsam hob Alfred seine Schwester hinein, und sie fuhren nach Brauneck.

      »Was wirst du tun?« flüsterte Charlotte. »Wirst du's den Thorsteinern sagen?«

      Sie gingen die Treppe hinauf.

      »Ich weiß nicht,« stöhnte er.

      Sie standen auf der zweiten Galerie, wo man die Sterne über sich hatte. Niemand konnte sie da hören.

      »Du mußt morgen wieder kommen und mit mir auf die Wiese gehen. Du mußt, denn du bist schuld. Hätte ich nicht dich auch mit ihr gesehen, so hätte ich es nicht getan. Du mußt mitgehen, die andern halten es alle nicht aus.«

      »Da will ich mir lieber heute nacht eine Kugel vor den Kopf schießen, Charlotte, und ich rate dir das gleiche. Wie kannst du das aushalten, Charl...«

      »Ich will leben. Sie wagen sich ja nicht an mich. Was hast du davon, wenn du mich verrätst? Du mußt dann auch sagen, was mich so wild gemacht... Auf dem Thorstein kannst du dann nicht mehr bleiben.« »Du machst mich zu deinem Mitschuldigen, Charlotte. Das tust du!« ächzte er.

      »Ich will nicht immer allein sein, du gehörst zu mir! Du kommst morgen wieder, hörst du! Du wirst kein solcher Narr sein und es dem Thorsteiner sagen. Und so vor ihm dastehen! Du kommst morgen.«

      Und damit ging sie hinein –

      Alfred fuhr auf den Thorstein und übergab Märt die Goldfüchse. Dann ging er in sein Zimmer und holte aus seinen Sachen ein kleines Kästchen heraus, das steckte er in seine Manteltasche. Dann setzte er sich hin und schrieb:

      »Lieber Harro! Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht zu sehr übel, daß ich mich nach so viel Freundschaft und Güte so unhöflich entferne. Bitte, der Frau von Thorstein doch nichts über die Art und Weise meines Verschwindens zu sagen. Ich schäme mich zu sehr vor ihr. Sie selbst werden ja am besten wissen, wie außerordentlich wenig die Welt an mir verliert. Ihr Alfred B.

      Tante Ulrike meine besten Empfehlungen, und sie möge doch auch darin einen Erfolg ihrer erzieherischen Tätigkeit sehen!«

      Er schloß den Brief und steckte ihn zwischen seine Sachen, dann ging er hinaus und glitt die Treppen hinunter. Unten waren die Türen der Hitze wegen weit offen, auch zum Schmollwinkel, in dem Rosmarie lag. Er konnte sie gerade sehen. Einen Augenblick stand er wie angewurzelt. So hold war sie... man sah es ihr ja kaum an, ihr Leiden. Ein grimmer Schmerz zerriß ihn und er eilte hinaus.

      Rosmarie hob ihren Kopf in die Höhe. »War das nicht Alfred?«

      »Doch,« sagte Harro.

      »Warum kam er nicht herein? Was hatte er denn?«

      Tante Ulrike erhob sich und ging hinaus. Sie erwischte ihn gerade noch, wie er zum Schloßhof hinaus wollte.

      »Halt, junger Herr! Es donnert schon zum drittenmal, und Sie dürfen nicht naß werden, mein Zuckerpüppchen!«

      »Lassen Sie mich, Tante Ulrike,« er beugte sich plötzlich über Tante Ulrikes Hand und küßte sie. »Ich gehe nur auf die Post, habe etwas zu besorgen.«

      Tante Ulrike hielt immer noch seinen Mantel, und nun griff sie blitzschnell mit der einen Hand in die Tasche und zog einen Revolver heraus, den sie ihm vor das Gesicht hielt. »Ha! Knallen wollen Sie wohl und das Kind da oben erschrecken! Weil noch nicht genug geknallt ist!«

      Er biß sich auf die Lippen und sagte: »Lassen Sie mich gehen, Gräfin, und machen Sie keine Geschichten. Ich kann nicht mehr da hinauf, ich kann nicht.«

      Aber Tante Ulrike hing mit eiserner Kraft an ihm, es sah aus, als ob sie ihn aufs innigste umarme.

      »Gehen Sie freiwillig, mein Zuckerpüppchen,« raunte sie ihm zu, »oder soll ich Alarm schlagen, Harro rufen und ihm das Spielzeug da zeigen? Dann regt sich die Rose auf.«

      »Ich komme, Gräfin, ich komme.«

      Tante Ulrike marschierte mit ihrem Gefangenen in sein Zimmer hinauf. Dort schloß sie die Türe, warf im weiten Bogen den Revolver zum Fenster hinaus. »Nun, mein junger Herr ..., bedanken Sie sich für Lebensrettung.«

      Der blasse Alfred, dem jetzt noch hilflose Wut auf dem Gesicht stand, starrte sie mit wilden Augen an: »Lassen Sie mich, ich kann's nicht aushalten unter diesem Dach!«

      »Ha, und warum nicht?«

      »Wenn Sie es wüßten, Sie holten mir selbst das Ding wieder herauf und drückten es mir in die Hand.«

      »So,« sagte Tante Ulrike. »Beichten Sie, was haben Sie angestellt?«

      »Ich kann es nicht. Ich bin verflucht. Verflucht bin ich,« und er fing an, im Kreise herumzurennen und sich auf Stühle zu werfen und wieder aufzuspringen.

      Tante Ulrikes Augen wurden wie blinkende Stahlspitzen. Sie legte ihm wieder eine harte Hand auf die Schulter und sagte: »Beichten Sie lieber. Mit der Geschichte, die Sie auf dem Herzen haben, werden Sie doch nicht allein fertig. Es zerreißt Sie ja. Ich darf Sie auch nicht im Stich lassen. Das Kind hat mich nach Ihnen geschickt und wird Rechenschaft haben wollen. Erschießen können Sie sich immer noch.«

      »Glauben Sie denn, daß ich gern sterbe, Gräfin? Ich mit meinen sieben Leben? Aber es bleibt mir ja sonst nichts übrig.«

      »Vetter Alfred, ich habe Sie für ein leichtsinniges Huhn gehalten. Aber es ist mir in der letzten Zeit vorgekommen, als ob Sie zur Raison kämen. Unser Herrgott hat allerhand Kostgänger. Ein Musterknabe werden Sie nie, aber ich gäbe Sie nicht auf, wenn ich Ihre Mutter wäre, noch lange nicht. Und ich traue Ihnen nicht zu, daß Sie, in der letzten Zeit, eine wirkliche Schlechtigkeit begangen haben. Das Kind vertraut Ihnen. Es hat ein so festes Herz!«

      Da warf sich der Brandensteiner auf die Knie vor der alten Dame und umschlang sie mit seinen dünnen Jünglingsarmen.

      »O Gräfin, Gräfin. So gute Worte! Und ich habe eine Hölle in mir, eine wahre Hölle. Ich kann's nicht mehr aushalten in der Welt.«

      »Alfred, Sie beichten mir jetzt. Sie tun's ja doch in fünf Minuten. Ich kann das Kind nicht so lange warten lassen, sonst ängstigt es sich.«

      »Gräfin, Sie müssen schweigen. Versprechen Sie es mir!«

      »Wo werd' ich. Fällt mir gar nicht ein. Ich verspreche nichts, was ich nicht weiß.«

      »Ich bin verflucht. Auf diese СКАЧАТЬ