Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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СКАЧАТЬ bodenloser Leichtsinn, der dir immer erst den Tag nachher gestattet, deine Taten zu bedenken, wird dich noch überall unmöglich machen!« Ganz niedergeschlagen wandert er im Park umher. Er geht in den Stall, sieht in die Boxen hinein und auf die klugen schönen Köpfe der Pferde, die sich nach ihm wenden. Da ist sein Goldbaby. Scheußlich, das würgende Gefühl, wie er das schöne Tier ansieht. Mit eingezogenen Schultern klopft er bei seiner Schwester. Sie sieht grau und übernächtig aus – der hübsche Alfred bedenkt schon, ob schleunige Flucht nicht das beste sei. Aber seine Börse ist schlapp, sehr schlapp. Zu Hause! Brrr...

      »Charlotte,« beginnt er, »die Truhe, es war eine Dummheit –« Sie wird noch einen Schein grauer.

      »Weiß er?«

      »Nein, er meint, er habe das Schloß verdreht. Charlotte, es war nicht übermäßig schön von dir. Er ist nett gegen mich gewesen, und nun habe ich ein direkt scheußliches Gefühl, wenn ich an seinem Tisch sitze.«

      Sie braust auf: »Es war mein Recht, das ich mir genommen habe.« Der Tunichtgut der Familie Brandenstein zuckt die Achseln. »Wird es jetzt große Szenen geben?«

      »Gar nichts wird es geben. Du irrst dich, mon ami!«

      »Aber gewiß nicht? Na, dann ist's gut.«

      Er schüttelt einen Druck ab, den er für seine Verhältnisse schon ungewöhnlich lange getragen hat. Aber er beschließt doch ein wenig Vorsicht gegen seine Schwester walten zu lassen. Sie kommt ihm, trotzdem sie ihn noch weiter zu beruhigen weiß, doch vor, als ob sie eine Warnungstafel umgehängt bekommen müßte:

      »Vorsicht! Leicht entzündlich!«

      Aber er ist nicht gewohnt, auf einem Gedankengange lang zu verweilen. Und der Morgen ist herrlich. Als er seine Schwester zurückbegleitet hat, haben weder er noch der Gaul genug.

      »Charlotte, ich muß mich noch ein wenig tummeln.«

      »Alfred, der Doktor hat dir keine zu langen Ritte erlaubt.«

      »Ach, nur noch ein wenig.« Und er trabt davon.

      Der Tunichtgut wirft seinen Kopf in die Luft wie ein junger Hund, der einen Knochen wittert. Die Lindenprinzessin! Die schöne Frau von Thorstein. Ist es nicht allmählich Zeit, daß er dort Besuche macht? – Aber merkwürdig, sein Abenteuer von gestern scheint einen weisen Mann aus ihm gemacht zu haben. Nein, er will Charlotte nicht reizen durch einen Besuch bei ihrer Feindin. Nein, er will den Wald nur umkreisen, und wenn er jemand von der Familie sehen sollte, so ist es nicht seine Schuld. Es ist schon mächtig warm, und er fühlt, daß seiner Schwester Warnung nicht so ganz unberechtigt ist. Er kann, einmal im Walde, nur noch Schritt reiten, und zuweilen überfällt ihn eine jämmerliche Schwäche. Und den Reitknecht hat er natürlich zurückgeschickt. Und nun schwimmt es ihm plötzlich vor den Augen. Ja, wenn er nur jetzt glücklich von dem Gaul herunter wäre! Da hält jemand das Pferd an.

      »Mann, kommen Sie herunter, Sie schwanken ja!«

      Er fühlt sich herabgleiten in jemandes kräftige Arme. Dann liegt sein schwimmender Kopf auf etwas Weichem, Duftendem, ja nach Rosen Duftendem. »O Gott, Harro, glaubst du, daß er stirbt?« Und eine feine Spitzenwolke fährt ihm über die Stirne. So himmlisch ist's, daß er muckstill hält. Endlich muß er doch die Augen öffnen. Und gleich sehr weit. Die schönste Frau beugt sich über ihn und sieht ihn mit mitleidigen, sanften Augen an.

      Sein Glück hat ihn direkt in die Arme der Schönen getragen. Er zieht es vor, noch einen Augenblick den toten Mann zu machen. Herzlich schlecht ist es ihm ja, aber sein Herz lacht wieder. Der andere hat mit dem unruhigen Pferd zu tun. Er hört ihn befehlen, daß man ihm den Kragen öffne. Und nun fühlt er die feinen Hände an seinem Halse. Sehr geschickt ist sie nicht, aber desto angenehmer für ihn. Und nun entschließt er sich, definitiv ins Leben zurückzukehren. Er schlägt die Augen auf, sehr hübsch und hellblau sind sie, und murmelt:

      »Innigsten Dank,... eine kleine Schwäche –«

      »Nun ist er wieder, Rose. Es ist Alfred Brandenstein. Das ist ja Goldbaby.«

      Und der das Pferd gesichert, kommt herbei.

      »Ein wenig besser sehen Sie schon aus. Können Sie gehen? Unser Waldhaus ist ganz in der Nähe, und Sie können sich dort erholen.«

      Und Alfred geht noch kreideweiß mit zusammengebissenen Zähnen über die Waldwiese. Die Schöne, – was ist sie nun?... Nichte, Stief- zwar, – geht an seiner Seite. Bald liegt er behaglich in einem Stuhl verpackt auf der Veranda. Rosmarie bereitet ihm Brötchen, und der Hausherr bringt einen Kirschbranntwein herbei und schilt ihn freundlich aus.

      »Wenn Sie uns nicht gefunden hätten, so wäre Ihnen niemand beigestanden, Sie hingen ja nur noch in Ihren Gräten.«

      »Es kam so plötzlich. Ich habe eine schwere Malaria gehabt. Und nun habe ich Sie erschreckt, Cousine.« – Nichte – dabei kommt er sich zu onkelhaft vor. Rosmarie ist glücklich, daß sich ihr Patient wieder erholt. Sie hat einen großen Schrecken gehabt, und sie versichert ihm: »Wenn Harro nicht gewesen wäre!«

      Der junge Herr erlebt eine wundervolle Stunde unter dem blühenden Kastanienbaum. Sie könnte noch länger ausgedehnt werden, aber er darf nicht zu lange wegbleiben, und seiner Schwester gedenkt er sein Abenteuer nicht zu erzählen. Und die junge Frau ladet ihn zum Wiederkommen ein. Nur der Hausherr redet keinen Ton darüber, begleitet ihn aber bis zum Waldeingang und führt sein Pferd. Dann fühlt er ihm noch einmal den Puls, erklärt sich befriedigt und hilft ihm auf Goldbaby hinauf. Eine Stunde später ist er wieder in Brauneck, wo seine Schwester sein langes Fortbleiben gar nicht bemerkt zu haben scheint. Um so besser. Wie ein köstliches Nest voll süßer Ostereier hütet er sein Geheimnis. Und lacht über sein Spitzbubenglück, das ihn so sicher in die Arme der schönsten Frau gelandet.

      Und seine Schwester wird immer seltsamer. Einmal spricht der Fürst davon, daß Alfred auf dem Thorstein Besuch machen könnte. Da fährt die Fürstin sofort auf. Alfred sei zu seiner Erholung hier, und bekanntlich sei nichts der Erholung abträglicher als Besuche machen. Der Fürst zuckt die Achseln; wenn seine Frau heftig wird, pflegt er zu verstummen. Der Tunichtgut von Brandenstein duckt wieder seinen hellen Kopf und schweigt. Sehr klug, daß er nichts verraten. Aber die Luft in Brauneck wird wieder schwer, und seine Schwester klagt:

      »Wenn die amüsantesten Leute nach Brauneck kommen, so währt es nicht lange, bis sie so trübselig werden wie alles andere.« Und Alfred bestätigt, daß die Luft in Brauneck etwas Schweres und Dichtes habe. Ja, es sei nicht ganz unmöglich, daß es spuke. Sehr stilvoll natürlich. Aber es seufzte nachts etwas an seiner Türe, und der finstere Krafft Brauneck im großen Saale habe ihm deutlich nachgesehen.

      »Mach keine schlechten Scherze, Alfred! Du glaubst ja selbst nicht daran.«

      Und Alfred verstummt, läßt sich aber am andern Morgen ein anderes Zimmer geben und reitet wieder allein fort, obgleich ihn das Reiten eigentlich noch recht anstrengt.

      Seine Schwester geht mit flackernden Augen in ihren Gemächern auf und ab bis spät in die Nacht. Nun weiß sie, warum Rosmarie den Ring trägt und warum ihr Bild in den Saal gehängt werden soll. Und immer noch rollt das Rad über ihr Herz, aber das Feuer brennt doch wieder ganz hell in der Eishöhle. Nein, Alfred soll nicht hinüber und sie sehen, der törichte Junge wird sich von dem Blondhaar fangen lassen. Er ist der einzige, bei dem sie noch ein wenig die alte Charlotte ist. Ihr letztes Stück Unschuld und Jugend.

      Sechsunddreißigstes Kapitel.

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