Er zog einen Pack Photographien heraus. »Eine zierliche Villa im Grunewald oder bei Wannsee, wo du auch im Winter einmal sein könntest. Sieh dir die Photographien an!« »Fried, du bist ein Engel von einem Bruder. Meinst du, ich wisse nicht, daß mein Anrecht auf das Palais Brauneck nur von deiner Güte herstammt? Aber Fried, vielleicht hast du recht, die Berliner Luft ...«
»Deine Villa fällt ab, Helen, es ist nicht mehr als billig, daß ich dich bedenke, wenn ich ein so vorzügliches Geschäft mache.«
Die korpulente Dame stand auf, nahm ihren Bruder beim Kopfe und zauste ihn.
»Fried, du bist ein Anachronismus, du gehörst nicht in dies Säkulum. Ach Gott, und ich habe etwas auf dem Herzen. Es würgt mich, Fried, ich konnte es nur vergessen, wenn ich an das schöne Bild dachte. Als ich die Türe zur Sommerstube aufmachte, da habe ich gebebt, wie früher, wenn Vater mich rufen ließ. Du weißt ja, was das bedeutete.«
»Nun, die Vorbereitung ist schlimm, Helen; machen wir so schnell wie möglich.«
»Soll geschehen. Du kennst die Gräfin Trauteneck, sie lebt ganz zurückgezogen, seit sie ihren Neffen und Erben verloren hat. Ein Jagdunglück, sagte man. Sie schrieb mir. Charlotte und Arno Schwelm habe sie in einem einsamen Restaurant am Paulssee gesehen. Sie seien zwar von verschiedenen Seiten gekommen, auch wieder so davon geritten. Die Gräfin hat sich verborgen gehalten, Arno Schwelm kann sie nicht ins Gesicht sehen. Es ist ja damals kein Unglücksfall gewesen, was ihrem Neffen zustieß, es war ein Duell. Und weil noch so viele andere Leben damit zerstört gewesen wären, hatten sie, damit es nicht offenbar würde, irgendeinen ungewöhnlichen Duellort gewählt, es mußte einer auf dem Platze bleiben. Dieser Mensch ist ein Mörder, schrieb sie mir, seine Berührung kann nur Unglück bringen. Er befleckt die Frau, die ihm irgend welche Vertraulichkeit gestattet.«
Der Fürst hatte kein Wort gesprochen, nur eine graue Blässe zog über sein Gesicht.
»Fried, ich fleh dich an ... Ich weiß, du kannst deinen Zorn einkapseln und ihn wieder herausziehen, laß diesen Menschen seine schlimmen Wege gehen und ziehe Charlotte aus der Möglichkeit heraus, noch mehr anzustellen.«
»Mein Leben ist mir viel zu wertvoll, als daß ich es an die Kugel von diesem Elenden verwürfe. Ich brauche noch zwanzig Jahre Leben. Und es soll mich auch kein ehr- und pflichtvergessenes Weib aufhalten. Nein, da brauchst du nichts zu fürchten. Was du mir sagst, ist mir nicht ganz neu. Es ist mir schon einmal so etwas wie eine Warnung zugekommen. Es lag etwas in der Luft, was ich fühlte und nicht greifen konnte. Hierher traut sich der Arno Schwelm nicht, und Charlotte bleibt hier. Sie geht auch nicht nach Wiesbaden. Ich werde ein Höllenleben haben. Nun, ich habe ja meine Stunde Sonnenschein in Thorstein, meine holde Rosmarie, das Kind ... Dann werde ich auch Charlottens wahnsinnige Schneiderrechnungen beschneiden. Nötigenfalls wende ich mich an ihren Vater, es ist der einzige Mensch, vor dem sie irgend etwas wie Respekt oder Furcht hat. Vielleicht ist noch nichts geschehen. Wir wollen jedenfalls nicht nachforschen. Wenn sie die Mutter meiner Kinder wäre, das ertrüg ich nicht. So soll sie wenigstens meinen Namen nicht in den Kot ziehen. Und Helen, kein Wort mehr darüber, auch von dem Verkauf von Palais Brauneck noch nicht. Der Gräfin danke für ihre Mitteilung. Mit Charlotte werde ich mich nicht auseinandersetzen. Sie würde vermutlich alles ableugnen. Ihre Leidenschaft ist gewiß nicht groß genug, sie alles vergessen zu machen, was sie aufgäbe, wenn sie Brauneck verließe. Hier war's, als ich in Rosmaries Augen sah, daß sie nicht trauern konnte, daß mein Sohn nicht zum Leben kam. Ich dachte damals, ich könne das nie verzeihen. Und jetzt – – Sie hat etwas Ahnungsvolles – die Rosmarie.«
Der Fürst erhob sich und trat vor das Bild des Seelchens. Seiner Schwester Augen folgten ihm. Er erschien ihr so liebenswert und sollte so gar kein eigenes Glück kennen. Und ihr in langen Jahren mühsam beschworenes Herz fing wieder an zu flattern.
»Das alte Brauneck – es macht einen wehmütig,« flüsterte sie.
Vierunddreißigstes Kapitel.
Heinz Friedrich
Der Mai ist gekommen, und Rosmarie hat ihn genossen, wie keinen Mai ihres Lebens. Er wird auch jedes Jahr schöner, der Frühling, behauptet sie.
Harro hat eines Tages in Brauneck nicht geringes Aufsehen erregt. Es ist die Kunde hinüber gedrungen, daß er auf einen Tag den ganzen neu eingezogenen weiblichen Hofstaat des jungen Thorsteiners verabschiedet hat. Die Amme, die mit ihrem Kinde immer noch dagewesen war, im Falle man sie doch brauche, das elegante Kinderfräulein und das Kindermädchen.
Als die Fürstin hörte, daß des Kindes Bettchen im Schlafzimmer der Eltern stehe, erquickt sie diese Nachricht einen ganzen Tag lang. Wie kleinbürgerlich! Also würde Rosmarie selbst bei Nacht aufstehen und das Kind besorgen! Nun, da konnte sie dünn und häßlich dabei werden. Hellblonde Frauen verwelken am schnellsten. Die Fürstin erwärmt sich einen ganzen Tag an der Botschaft, und Harro wird von seinem Schwiegervater sehr ungnädig empfangen.
Harro hört alles mit demütig gesenktem Haupte an.
Ja, es sei wahr. Aber auf dem Thorstein sei ein so großes weibliches Übergewicht entstanden, acht gegen ihn und Märt, da Heinz doch noch nicht zu rechnen sei, – daß er das Schlimmste befürchtet habe. Übrigens habe Rosmarie noch nie Nachtdienst gehabt. Das mache er. Er interessiere sich für die Psyche ganz kleiner Kinder und gedenke sie zu studieren. Das könne man ja nur am lebenden Objekt. Das Gebiet sei auch noch fast unbebaut.
Der Fürst sieht etwas unsicher zu ihm auf.
»Das ist mir neu, Harro, dies Interesse. Versuchst du dich nicht schon auf fast zu viel Gebieten?«
»Mir ist es auch neu, Vater. Aber wie kann die Seele besser studiert werden, als bei ihrem Erwachen und durch genaue Beobachtung? Ich kann mir auch in meine Erziehungsmaximen nicht hineinreden lassen von noch gänzlich unerzogenen sogenannten Fräulein, vulgo Gänschen. Ja, ich weiß, was du sagen willst, Vater, aber ich bin der Ansicht, daß Erziehung gar nicht früh genug begonnen werden kann. Und – ein halbes Pfund hat er wieder zugenommen! Übrigens habe ich eine große Bitte an dich. Rosmarie ist für die Ansprüche, die an sie gemacht werden, doch noch sehr jung. Ich möchte nicht, daß sie Nachteile hätte von dem beständigen Hergeben...«
»Gewiß, Harro, und gerade darum...« »Möchte ich Rosmarie in die für sie denkbar günstigsten Bedingungen bringen, und ich habe mir etwas ausgedacht, wobei ich zugleich recht ungestört meinem Studium« – hier lächelte der Fürst etwas spitzig – »leben kann. Ich möchte dich um das Jagdhäuschen auf der Römerwiese bitten. Dort können wir den ganzen Tag mitten im Walde zubringen. Rosmarie ist selig über den Plan. Sie könnte morgens hinfahren und abends zurück. Aber das Häuschen muß etwas hergerichtet werden. Dürfte ich dich darum bitten? Unser Berg ist noch zu windig und der Wald zu weit, wenigstens die intimeren Teile, und man will doch ungestört sein.«
Natürlich hat Harro den Tag gewonnen. Der Fürst fährt mit ihm auf die Römerwiese, und sie beschließen, noch eine glasgeschützte Veranda anzubauen. Oben enthält das alte Jagdhaus ein Sälchen mit alter Stuckdecke und sieben winzigen Fenstern und eine geräumige Schlafstube. Unten eine kleine Küche mit uraltem Steinherd und ein Dienergelaß, Stallung für sechs Pferde und große Heuvorräte, denn von hier aus wird das Wild im Winter gefüttert. Der Fürst ist ja immer glücklich, wenn er seiner Tochter eine Freude СКАЧАТЬ