Auf der Römerwiese ist ein Blühen und Duften wie selten. Schmetterlinge in ganzen Wolken jagen sich darüber. Am Rain machen die jungen Hasen ihre drolligen Spiele, und Heinz winkt dem Reh mit seiner kleinen dicken Hand, daß es komme und mit ihm spiele. Im Kastanienschatten in ihrem weißen Batistkleide sitzt Rosmarie und hält ihrem Kinde die Hand hin, daß er einen Finger ergreifen und daran die weite Reise zu ihren Knien unternehmen kann.
Neben ihr liegt auf dem Boden das schwarze Schaf, der Brandensteiner, im Zustand höchster irdischer Glückseligkeit. Ein wenig verliebt, gerade so viel, daß alle Farben leuchtender dadurch geworden sind, die Luft würziger, der Himmel blauer, und doch nicht so viel, daß er schon Herzweh davon hätte. Rosmarie behandelt ihn immer noch als Kranken, sorgt für sein Behagen und hält ihm kleine Strafreden. Von seiner Schwester reden sie nie ein Wort. Harro malt ein Stück Sommerwiese mit der Schmetterlingswolke darauf, sehr behaglich... nur ist ihm der Besuch nicht ganz genehm. Sicher, denkt er, verrät der Schlingel nicht, wo er hingeht, sonst brächte er doch irgend welche Botschaft, was er aber nie tut. Und daß beide kein ganz ganz reines Gewissen haben, verrät sich auch dadurch, daß der Fürst bei seinen abendlichen Besuchen auch nichts davon erzählt bekommt. Rosmarie mag Alfred in der Stille die Erholung von Mamas Gesellschaft gönnen und Harro dem Fürsten seinen abendlichen Frieden nicht stören, der so wenig wie möglich bei seinen Kindern über Braunecker Dinge, insofern sie mit seiner Frau zusammenhängen, redet.
Und heute bringt Alfred eine Neuigkeit mit. Das neue Auto, mit dem die Fürstin überrascht werden soll, wird heute kommen, mit einem ausgezeichneten Chauffeur. Und sie kann schon morgen das Land durchrasen. Der Fürst zittere schon für das Leben jedes Getiers oder Menschenkindes auf der Straße. Auch werde er sich nie dieses Vehikels bedienen, in das man gänzlich ungestraft einsteige und aus dem man als mehrfacher Mörder wieder herauskomme. Er hat eine etwas frivole und leichtsinnige Art zu sprechen, die Rosmarie nicht sympathisch ist, aber vielleicht sprechen eben die jungen Offiziere unter ihren Wellblechdächern so. Und sie hat immer noch Mitleid mit der schlanken, etwas kraftlosen Gestalt und den dünnen Händen.
»Und zu deinem Mitleid hast du Grund, Rosmarie,« sagt ihr Harro einmal. »Er ist ein leichtsinniges Huhn, und seine Familie ist so ziemlich fertig mit ihm. Es bleibt ihm vermutlich doch nur U.S.A. und der Omnibuskutscher oder Bereiter bei Mrs. von Schmidt, wenn's gut geht. So laß ihn eben noch ein wenig an der Sonne liegen, es ist vermutlich seine letzte gute Zeit im Leben.«
Und heute schmeichelt Alfred um ein Mittagessen und will sogar mit Heinzens übrig gelassenem Brei vorlieb nehmen.
»Wird man Sie nicht vermissen?«
»Nein, heute nicht,« lächelt er. »Ich bin demütig zu Fuß abgezogen.«
»Was viel besser für Sie ist,« unterbricht ihn Harro, »Sie fallen dann nicht so hoch herunter.«
Ja, und er habe gesagt, er wolle sich des Fürsten landwirtschaftlichen Musterbetrieb auf der Domäne Bronnweiler ansehen. Weil er ja vielleicht einmal selbst zur Landwirtschaft übergehe.
»Richtig,« sagt Harro, »und so sehen Sie sich den Musterbetrieb an. Nun, vielleicht ist's ebensogut, Sie räkeln sich. Ich glaube nicht recht an Ihre landwirtschaftliche Begabung.«
»Was kann es Schöneres auf der Welt geben,« seufzte er. »Räkeln! Die Poesie der Faulheit! Wie wenig Menschen können sie so recht würdigen.«
»Aber heute abend wollen wir doch einen Gang machen,« sagt Rosmarie, »wenn das Kind schläft: es wird ja jetzt so früh müde. Und ich will einen großen, großen Strauß haben für das Sälchen. Vergißmeinnicht und Weißdorn und Dotterblumen und Buchenzweige, und am Sonntag ist Pfingsten, und das muß doch gefeiert werden.«
»Ich höre so oft von Festen bei Ihnen, Cousine, und ich würde darauf brennen, ein Fest mitzumachen. Feste sind mir bis jetzt der Inbegriff des Tristen gewesen. Seine kleinen Freuden schafft man sich eher allein.«
»Zu zweien, wollen Sie sagen.« warf Harro ein. »Ich möchte übrigens ein Fest geben, Rose, zur Einweihung des Saales. Aber etwas Neues in Festen! Eine Menge Menschen. Musik und Rosenkränze. Und kein männliches Wesen im schwarzen Knechtskleid und Röhrensystem wird zugelassen. Auch keines mit Zuchthäuslerfrisur wie Sie, Alfred.«
»O Himmel, was fange ich an, ich kann mir doch keine weißgelben Stoppeln wachsen lassen.«
»Ach, Sie tun mir leid,« neckt Harro, »haben Sie das von jeher an sich gehabt, – also nur Stoppeln wachsen Ihnen.« –
»Harro, du bist schlimm,« tadelt die Rose. »Sie müssen wissen, Alfred, daß mein Mann die geschorenen Köpfe nicht leiden kann.«
»Ich bin todunglücklich, ich will sehen, was ich auf diesem allerdings mißhandelten Boden noch heranzüchten kann. Wann soll das Fest sein?«
»Die letzte Wand muß fertig sein. Und die Rose hat leider zu viel Ideen. Gerade weil es die letzte ist, scheinen die sich ihr in beängstigender Zahl aufzudrängen. Im Sommer ist ein Fest zwischen vier Wänden stillos.«
»Wo bekommen wir nur all die Menschen her,« wundert sich die Rose.
»Menschen genug, wenn der Gothaische nicht gebraucht wird. – Also Sie haben noch Zeit, sich zu bessern, Alfred. Rose, deinen Vater möchte ich in der Tracht des Philipp Brauneck sehen. Da würdest du erst erkennen, wie er eigentlich aussieht.«
»Ein Kostümfest also?«
»Ein Schönheitsfest. Warum sollten wir unsern Augen nicht einmal ein Menschenfest geben, wo jeder sich so herausmacht wie unsere Römerwiese heute, die doch auch ein Werktagskleid kennt. Alfred, Ihre Schwester werde ich mit dem Kostüm einer venetianischen Edeldame zu versöhnen trachten. Ich werde es ihr zeichnen. Und die Herren der Schöpfung, bei denen erlebt man die sonderbarsten Dinge. Wie froh fast jeder ist, daß er aus seiner Haut schlüpfen kann. Sie haben, wenigstens die Klügeren, eine Ahnung davon, daß sie, wenn sie festlich sein wollen, ins Lächerliche geraten.« Der Brandensteiner dachte an die verschiedenen Uniformen, die er schon an- und ausgezogen hatte, und seufzte.
»Was dekretieren Sie mir, gestrenger Herr Vetter, vorausgesetzt, daß die Stoppelkultur gelänge ....«
»Sie geben einen famosen dünnen Sankt Jürg nach Tilman Riemenschneider, fahren Sie nach Rothenburg und sehen Sie sich den Patron an.«
»Ein Heiliger, Herr Vetter, ich bin entzückt. – Ist der Heinz übrigens immer ein solcher Musterknabe?«
»Haben Sie nicht bemerkt, daß er eine Schnecke gefunden hat? Das ist sein höchstes Entzücken. Alles andere Getier verschwindet zu schnell aus seinem Gesichtskreis. Die Rehe wollen nicht mit ihm spielen, die Hasen laufen davon, die Vögel gehen wieder in die Luft, die Pferde sind zu groß. Aber der liebe, gute Schneck!«
»Neck,« ruft der Kleine entzückt. Er hatte die Zeit auf dem Bauche gelegen und einer großen gelben Weinbergschnecke zugesehen. Zuweilen tippte er mit seinem Fingerchen auf das Haus, dann verschwand der gelbe Kopf und quoll dann langsam wieder heraus. Und darüber mußte er hell auflachen und ein leiser Respekt vor den Hörnern war doch unverkennbar. Harro ergriff sein Skizzenbuch und strichelte emsig, aber wie wenn er es bemerkt hätte, so erhob der Kleine den Kopf und tat einen Riß an der Mutter Kleid.
»Mama. Neck wesen.«
»Sehen Sie, nun will er den Schneck in dichterischer Verklärung genießen. Erzähle. Rose!«
Das Bübchen stand СКАЧАТЬ