Der Tunichtgut
In Brauneck ist die Luft so schwer geworden, daß der respektlose Harro sich durch ein Festmahl dort an das Mahl von Bannokburn erinnert fühlt.
Der Fürst hat ja zum Glück sehr viel zu tun. Es sitzt ein junger, sommersprossiger Herr, Doktor Felsing, im Bibliothekturm unter einer Last alter Papiere und mit Siegeln behängter Pergamente. Zuweilen tauchen beim Diner ältere befrackte Herren auf, Geheimräte, wirkliche und unwirkliche. »Was wollen die eigentlich?« fragt die Fürstin mit mattem Interesse.
»Sie beraten mich in einer Rechtssache.« Und das Interesse der Fürstin erlischt wieder. Und eines Tages verwundert sich Harro, was Vater wohl für einen Prozeß habe. Darüber wird Rosmarie rot, und nun weiß die Fürstin: Sie weiß darum. Nun ist die Fürstin sicher, daß sie es erkunden muß. Und die Sache ist ja eigentlich einfach herauszubringen. Sie darf nur einmal bei Nacht in die Sommerstube gehen, die Truhe öffnen auf dem Schreibtisch, worin der Fürst die Briefe verwahrt, die tagsüber eingelaufen sind, die er selbst beantwortet. Und findet sich nicht an einem Tage etwas, doch am andern.
Aber das ist auch nur ein müßiger Gedanke. Sie wird ja nie den Mut haben, durch alle die Gänge zu gehen, in denen immer ein Wind seufzt, und die Truhe ist ja verschlossen. Aber sie denkt doch hie und da daran, wie man Truhen öffnet....
Die Luft in Brauneck wird nicht leichter, und dem Fürsten wird immer klarer, daß etwas geschehen muß. Nur weiß er nicht, was.
Da bringt ein unerwarteter Brief eine freudige Aufregung für die Fürstin.
Ihr Bruder schreibt, ihr jüngster Bruder. Ihr Tunichtgut von einem Bruder, der alle Karrieren, die er glänzend begonnen, eben so schnell wieder beendet hat. Zuletzt war er in den Kolonien und ist krank gewesen und nicht nur zur Erholung, sondern für dauernd nach Hause geschickt worden. Zu Hause empfangen ihn ein väterliches Donnerwetter und mütterliche Tränenströme. Die arme Reichsgräfin Brandenstein hat zu viele Kinder. Zwei oder drei Kindern wäre sie eine gute Mutter gewesen, sie hat aber deren sieben. Und immer die Lebensnöte des einen Kindes löschen die des andern wieder aus. Nur für diesen Zweitjüngsten hat sie noch einmal zu einer Liebe Mut gefaßt, und gerade dieser muß ihr den meisten Kummer bereiten. Charlotte ist glänzend versorgt, und wenn sie nicht zufrieden ist, so ist das ihre eigene Sache. Die Stieftochter, von der sie so entsetzlich gequält wurde, ist verheiratet. Und daß sie keine Kinder hat, ist schmerzlich, aber sieben Kinder sind auch eine Qual, besonders wenn man mit einem Male so gar nichts mit ihnen anzufangen weiß wie mit dem armen Alfred. Sein Vater benennt ihn mit etwas anderen Namen und droht ihm täglich mit einem Billett zweiter Klasse Norddeutscher Lloyd Bremen-Baltimore.
Der Aufenthalt für den jungen Herrn unter dem väterlichen Dache wird dadurch sehr ungemütlich, »Feuer bei Papa, Wasser bei Mama,« schreibt er und fleht seine Schwester Charlotte um eine dauerhafte Einladung an. »Bis sich etwas gefunden hat.« Daß das geschehen wird, ist ja dem schönen Alfred todsicher. Eine Lebensangst hat ihn nur einmal angewandelt, als er unter dem Wellblechdache an Malaria erkrankte. Jetzt ist er noch etwas blaß, abgemagert, braun und nicht ganz so elegant wie in früheren Zeiten, auf dem Weg nach Brauneck.
Über seinen Briefen ist die Fürstin wieder geworden, was sie früher war. Alfi wird kommen, eine andere Luft mitbringen, zusammen werden sie sich über die Braunecker Familiengötzen lustig machen. Sie wird reiten mit ihm, sie wird mit ihm auf die Jagd gehen, er wird seine Schnurren erzählen, und sie wird wieder lachen lernen. Gott: sie ist so jung, sie hat sich ja nur einsargen lassen, sie darf ja nur den Deckel sprengen, um wieder zu leben.
Und der Fürst merkt, daß ihre Laune sich wendet, und ist sehr erfreut darüber und empfängt seinen Schwager mit der größten Liebenswürdigkeit. Bietet ihm gleich ein Reitpferd zu seinem ausschließlichen Gebrauche an und bespricht mit ihm die Anschaffung eines Autos, mit dem er seine Frau zu überraschen gedenke. Der junge Herr ist ganz erstaunt über so viel Entgegenkommen, das hat er nach Charlottes Klagebriefen nicht erwartet. Und er findet, daß es sich in Brauneck leben läßt. Etwas ermüdend zwar ist Charlottes beständige Gesellschaft, aber im ganzen fühlt er sich doch im Hafen und für den Augenblick aller Sorge ledig. Und seine Schwester lebt auf. Sie lacht über seine Witze, sie reitet mit ihm, sie schießen, und Alfred bewundert ihre Treffsicherheit, die von Arno Schwelm herstammt, und sie errötet über sein Lob.
Die Thorsteiner erscheinen nicht. Der kleine Heinz ist geimpft worden und hat es sehr ungnädig aufgenommen. Sie sind wieder in das Waldhaus übergesiedelt, denn Harro sieht sich zu seinem großen Ärger wieder genötigt, Ferien zu machen. Die Fürstin hat das Gefühl, nur so lange ihr Bruder nicht bei den Thorsteinern gewesen sei, gehöre er ihr ganz. Er soll nicht hinüberreiten und bei ihrer Feindin Besuche machen. Mit der Zeit werden sie schon herüberkommen, dann ist ein Zusammentreffen unvermeidlich, aber so lange sie nicht täglich mit diesen Thorsteinern geärgert werden muß, ist es doch schöner, teilt sie ihm eines Abends in heftiger Erregung mit.
Und die Thorsteiner interessieren den jungen Herren ja nicht gar so brennend. Verwandtenbesuche! Bei Leuten, die ganz rousseauhaft leben, und bei denen jeder Raum zur Kinderstube wird, das kann er sich verkneifen. Nur eines wäre pikant, die zwei Damen miteinander zu sehen, die sich so recht von Herzen hassen. Den Streit der Königinnen als gesicherter Zuschauer mitgenießen, – daß es höchst unangenehm sein kann, wenn man unglücklicherweise Objekt ist, weiß der hübsche Alfred Brandenstein. Aber hier hat er ja einen gesicherten Tribünenplatz.
Eines Abends hält ihn seine Schwester sehr spät auf. Er gähnt verstohlen, zündet sich die zehnte Zigarette an und erklärt endlich, er fürchte morgen Temperatur zu haben, wenn er sich jetzt nicht zurückziehe. Seine Schwester, welche fast eben solche Zigarettendämpfe entsendet wie er, entläßt ihn endlich. An der Tür ruft sie ihn noch einmal zurück. Es fällt ihr etwas ein, was sie notwendig haben muß. Er kann es ihr holen. Von der Dienerschaft ist niemand mehr auf, das elektrische Licht in den Gängen muß er selbst ausdrehen. Sie braucht die graue Truhe aus der Sommerstube. Von des Fürsten Schreibtisch, sie hat etwas hineingelegt, was sie morgen in aller Frühe fortbesorgen muß. Ach, er wird sie leicht finden. Halb schon eingeschlafen, geht er hinüber, dreht das Licht auf und sieht sich das schöne Bild über dem Schreibtisch an.
Nettes kleines Mädel, gähnt er, und richtig, da ist die Truhe. Augen hat sie! So ein famos gemaltes Bild ist doch reichlich lebendig. Wie wenn sie das Köpfchen nach ihm wendet, als er das Zimmer verläßt. Seine Schwester steht vor ihrer Türe und nimmt ihm nachlässig die Truhe ab. Und dann geht er gähnend in sein Zimmer.
Nettes, seines, weißes Mädel. Kann sich hübsch herausgewachsen haben, die Feindin. Die Feindin, das Wort kitzelt ihn. Gott, die Charlotte wird eifersüchtig sein! Und ein Wort verfolgt ihn, bis er sich glücklich zwischen seine Laken gestreckt hat in dem Braunecker Gastbett aus dem roten Turm. Die Lindenprinzessin... Am andern Morgen weiß er ganz genau, daß er von dem berühmten Bild gehört hat. Aber er ist nicht so töricht und grün, daß er etwa seine Schwester danach fragte. Doch bei dem gemeinsamen Frühstück erzählt ihm der Fürst sehr bereitwillig und stolz von dem Bilde. Und heitert sich sichtlich dabei auf. Seine anfänglich trübe Laune entschuldigt er und sagt, daß er sich mit leerem Magen geärgert habe, weil er das Schloß an seiner Truhe verdreht habe.
Dem Herrn Schwager läuft plötzlich eine Röte über seinen kurzgeschorenen, weißglänzenden Kopf. Himmel! Wenn die Charlotte ihn zu einem Fischzug in verbotenen Gewässern benutzt hätte. Und ein sehr bedrücktes Gefühl dem Manne gegenüber, der ihn mit so viel Freundlichkeit überschüttet hat, würgt ihn. Selbstverständlich ist der Inhalt des eheherrlichen Schreibtisches nicht immer eine für die Gattin geeignete Lektüre! Gestern hatte er nur Kulidienste zu verrichten СКАЧАТЬ