Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 53

СКАЧАТЬ einen Mann!? ...«

      »Ich habe sicher die Welt mehr gesehen als Sie, Madame ... Wenn man so herumgestoßen wird, sieht man die Wahrheit ...«

      »Gott weiß, wo die andern schon sind ... Hallo! ... Sie könnten auch Antwort geben ...«

      »Wir kommen zurecht ...«

      Als der Weg wieder steil und struppig wurde, blieb Juliette neuerdings stehn:

      »Ich bin solche Klettereien nicht gewöhnt ... Mich schmerzen die Beine ... Bleiben wir einen Augenblick! ...«

      »Hier kann man sich nirgendwo hinsetzen ...«

      »Ich sage Ihnen, Gonzague, schauen Sie, daß Sie von Yoghonoluk fortkommen! ... Was kann Ihnen geschehen? ... Sie sind amerikanischer Staatsbürger ... Auch sehen Sie gar nicht armenisch aus ...«

      »Sondern? ... Französisch? ...«

      »Das brauchen Sie sich wieder auch nicht einzubilden ...«

      Der kleine Bach, der die Steineichenschlucht durchfloß, kreuzte den Weg. Nicht einmal ein Baumstamm lag zum Übergang da. Gonzague hob Juliette, so groß sie war, mit leichtem Schwung hinüber. Seinen schmalen Schultern hätte man diese Kraft nicht zugetraut. Sie fühlte die Finger des Mannes wie unverliebte Kühle um ihre Hüften. Der Pfad wurde nun sanfter und sie beschleunigten ihren Schritt. Gonzague berührte die wesentlichste Frage:

      »Und Gabriel Bagradian? Warum bleibt denn er? Hat er gar keine Möglichkeiten, die Türkei zu verlassen?«

      »Im Krieg? ... Wohin? ... Wir sind türkische Untertanen ... Gabriel ist dienstpflichtig ... Man hat uns die Pässe abgenommen ... Wer versteht diese Wilden? ...«

      »Sie sehen aber doch wahrhaftig genug französisch aus, Juliette ... Nein, eigentlich sehen Sie wie eine Engländerin aus ...«

      »Französin? ... Engländerin? ... Was heißt das? ...«

      »Mit ein wenig Mut kommen Sie, gerade Sie, überall hin ...«

      »Ich bin Frau und Mutter!«

      Juliette schritt jetzt so schnell aus, daß Gonzague ein Stück hinter ihr gehn mußte. Sie vermeinte, den Hauch seiner Worte zu spüren: »Das Leben ist das Leben.« Sie drehte sich kurz um:

      »Wenn das Ihre Absicht ist, warum bleiben Sie dann in Asien?«

      »Ich? Es ist jetzt Krieg für alle Männer der Welt.«

      Juliettens Eile beschwichtigte sich wieder:

      »Sie haben es so leicht, Gonzague! Wenn wir Ihren amerikanischen Paß hätten! Sie könnten ganz gut Ihrer Gesellschaft nach Damaskus oder Beirût nachreisen. Warum versteifen Sie sich gerade auf diesen gottverlassenen Erdenfleck?«

      »Warum?« Gonzague konnte jetzt ganz dicht neben Juliette gehn. »Warum? Wenn ich das ganz genau wüßte, könnte ich es Ihnen, Juliette, vielleicht am allerwenigsten sagen.«

      An der nächsten Biegung wartete Oskanian. Er hatte sich selbst überwunden und gesellte sich nun zu dem Paar, Juliette dann und wann mit finster gebieterischem Blick verzehrend. Bis zum Gartentor der Villa wurde kaum ein Wort mehr gesprochen.

      Wahrlich, vom Geiste getrieben, hatte Gabriel Bagradian seine Generalprobe in letzter Stunde angesetzt. Im Haustor erwartete ihn Ali Nassif, der Pockennarbige:

      »Herr, ich komme mir meine Medjidjehs holen, auf die du mir eine kleine Anzahlung gegeben hast.«

      Gabriel entnahm seiner Brieftasche ein Papierpfund und reichte es Ali mit ruhiger Hand, als sei alles in Ordnung und der mündlichen Gegenleistung könne ohne Ungeduld entgegengesehen werden. Der alte Saptieh nahm das Geld vorsichtig:

      »Ich vergehe mich schwer gegen meinen Befehl. Du aber wirst mich nicht verraten, Effendi!«

      »Das Geld hast du genommen. Berichte!«

      Ali Nassif begann schmerzlich umherzuzwinkern:

      »In drei Tagen werden der Müdir und der Hauptmann von der Polizei in die Dörfer kommen.«

      Bagradian stellte seinen Stock in einen Winkel und befreite sich von dem Feldstecher, der ihm über die Schulter hing:

      »So? Und was werden sie uns Gutes in die Dörfer bringen, der Polizeihauptmann und der Müdir?«

      Der Gendarm begann sein Stoppelkinn zu reiben:

      »Ihr müßt fort von hier, Effendi, ihr alle! Der Wali und der Kaimakam befehlen es so. Die Saptiehs werden euch und eure Leute von Suedja und Antakje sammeln und nach Osten führen. Doch in Aleppo, das kann ich dir auch sagen, werdet ihr nicht lagern dürfen. Wegen der Konsuln geschieht das.«

      »Und du, wirst du unter diesen Saptiehs sein, Ali Nassif?«

      Der Pockennarbige entsetzte sich mit großem Aufwand:

      »Inschallah! Ich danke Gott. Nein! Habe ich nicht zwölf Jahre unter euch gelebt? Als Kommandant des ganzen Bezirks? Und es hat keinen Anstand gegeben. Denn ich habe Ordnung gehalten Tag und Nacht. Und nun verliere ich euretwegen meine schöne Stellung. O Undank! Unser Posten wird ganz und gar abgelöst.«

      Um den Ärmsten in seinem Schmerze zu trösten, drückte ihm Bagradian ein paar Zigaretten in die Hand:

      »Nun sage mir, Ali Nassif, wann wird man deinen Posten ablösen?«

      »Ich habe den Befehl, noch heute nach Antakje abzumarschieren. Der Müdir kommt dann mit einer ganzen Kompanie hierher.«

      Indessen waren Juliette, Iskuhi und Stephan ins Haus getreten. Der Anblick Ali Nassifs erregte in ihnen keinen Verdacht. Gabriel schob den Saptieh aus dem Torgang auf den kiesbestreuten Vorplatz des Hauses:

      »Nach dem, was du mir berichtest, Ali Nassif, werden die Dörfer drei Tage lang ohne Bewachung sein.«

      Gabriel schien das bedenklich zu finden. Der Gendarm senkte angstvoll seine Stimme:

      »O Effendi, wenn du mich anzeigst, werde ich gehenkt und bekomme dazu noch eine Tafel mit der Aufschrift ›Hochverräter‹ über die Brust. Dennoch sage ich dir alles. Drei Tage lang wird kein Saptieh in den Dörfern sein, weil die Posten in Antakje neu eingeteilt werden. Dann aber wird man euch noch einige Tage Zeit geben, um eure Sachen in Ordnung zu bringen.«

      Gabriel Bagradian sah aufmerksam zu den Fenstern seines Hauses hinauf. Als habe er Angst, daß Juliette ihn beobachten könnte:

      »Habt ihr Listen der Einwohner abliefern müssen, Ali Nassif?«

      Der Pockennarbige blinzelte Gabriel mit treuherziger Tücke ins Gesicht:

      »Hoffe nichts für dich, Effendi! Auf die Reichen und Gebildeten haben sie es besonders scharf. Sie sagen, was nützt es uns, wenn die armen und fleißigen Armenier krepieren, die Effendis aber, die Geldsäcke und Advokaten, bleiben weiter im Land? Du bist besonders schlecht angeschrieben. Dein Name steht obenan, Effendi. Sie haben immer wieder von dir gesprochen. Denke auch ja nicht, daß sie deine Familie schonen werden. Das haben sie sehr genau verabredet. Bis Antakje bleibt ihr zusammen. Dann aber wird man euch trennen.«

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