Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 52

СКАЧАТЬ der Abend Beklommenheit gebracht, so enttäuschte der Morgen. Die Welt war dunstig. Unruhe erfüllte die Gemüter. Der Sonnenaufgang vollzog sich unsichtbar. Dennoch erstieg man eine der nackten Kuppen, von der aus, langsam aus dem Nebel wachsend, Meer und Land den Blicken sich darboten. Bagradian drehte sich um seine Achse:

      »Ein paar Wochen könnte man es hier aushalten.«

      Er sagte das so, als wolle er die Schönheit des Musa Dagh gegen ungerechte Schmähungen verteidigen. Krikor, voll ausgeglichener Ruhe, äugte auf das recht bewegte Meer hinaus:

      »Früher, zu meiner Zeit, konnte man hier an schönen Tagen bis nach Zypern sehn.«

      Keiner lachte über diese Redewendung und fragte, ob etwa die Insel Zypern dort im Südwesten, seitdem die Engländer sie zu ihrem Flottenstützpunkt gemacht hatten, weiter ins Mittelmeer hinausgeschwommen sei. Auch Gabriel Bagradian sann nach Zypern hinüber:

      »Das Kap Andreas liegt keine vierzig Seemeilen weit von der Orontesmündung. Und doch ist, seitdem ich hier bin, noch kein einziges englisches oder französisches Kriegsschiff von der Küste gesehen worden.«

      »Immerhin, sie sitzen in Zypern.«

      Mit diesen Worten unerschütterlicher Beruhigung wandte Krikor Zypern den Rücken, um das endlose Land im Süden und Osten, das er seit Jahrzehnten nicht mehr zur Kenntnis genommen hatte, gleichmütig zu betrachten. Die Bogen der römischen Wasserleitung von Seleucia traten scharf aus dem zerrinnenden Dunst. Über den mageren Bergen östlich des Damlajiks hing eine vollgesogene rostfarbige Sonne. Die Hügel verwellten grau und braun gegen Antakje zu. Unbegreiflich, daß in diesen leeren Falten, auf diesen unerweckten Flächen Hunderttausende von Menschen leben sollten. Das friedlich-öde Bild bewog den Apotheker, auf Dinge hinzuweisen, die er sonst absichtsvoll unerwähnt ließ. Sein greisenhafter Zeigefinger schwebte im Leeren:

      »Da seht! Alles wie immer! Unter Abdul Hamid, da brannte oft der ganze Horizont. Und wir sind dennoch alt geworden.«

      Gonzague Maris hatte von allen Teilnehmern dieser Partie zweifellos am besten geschlafen, so frisch und straff sah er aus. Er deutete auf die große Spiritusfabrik bei Suedja, deren Schlot schon zu qualmen begann. Die Fabrik gehöre einer ausländischen Gesellschaft, erzählte er, und der Direktor sei ein Grieche, den er aus Alexandrette kenne. Er habe ihn erst vor zwei Tagen gesprochen und nicht unwichtige Neuigkeiten erfahren. Die erste: Ein gemeinsamer Friedensversuch des amerikanischen Präsidenten und des römischen Papstes sei im besten Zuge. Die zweite: Was die armenische Umsiedlung betreffe, so gelte sie nur für die anatolischen Vilajets, nicht aber für Syrien. Er, Gonzague, könne die Stichhaltigkeit dieser Nachrichten nicht prüfen, doch jener Fabrikdirektor sei ein angesehener Mann, der allmonatlich mit dem Wali von Aleppo persönlich über Staatslieferungen verhandle. In diesem Augenblick erfüllte Gabriel ein aufflutender Glaube, alle Gefahr sei überwunden und das Nahende entferne sich ins Unsichtbare. Ihm war, als habe er selbst das Schicksal in die Flucht geschlagen. Dankbar strömte es aus ihm:

      »Sagt selbst! Ist es nicht schön hier!?«

      Juliette drängte zur Heimkehr. Sie haßte es, frühmorgens in Gesellschaft zu sein und noch dazu in männlicher. Am Morgen sehen nur häßliche Frauen gut aus, meinte sie, und um sechs Uhr früh gebe es keine Damen. Auch wollte sie sich vor der Messe noch wenigstens eine halbe Stunde lang ausruhen. Als Katholikin hatte sie Gabriel zuliebe vor ihrer Trauung das gregorianische Bekenntnis angenommen. Dies war eines ihrer Opfer, auf welches sie bei den gewissen Zwistigkeiten hinzuweisen pflegte. Nach ihrer Art mäkelte sie auch an der armenischen Kirche herum. Sie war ihr zu glanz- und schmucklos. Den Vorhalt, daß die Volkskirche alles überflüssige Geld für das Schulwerk verwende, lehnte sie als vernünftlerisch ab. In der Hauptsache tadelte es Juliette, daß die gregorianischen Priester Barte trugen und meist noch sehr lange. Bärtige Männer aber konnte sie nicht leiden. – Der Rückweg erfolgte über den kürzeren Saumpfad, der durch die Steineichenschlucht bis nach Yoghonoluk führt. In einer Stunde konnte man zu Hause sein. Krikor, Gabriel und Schatakhian gingen voraus. Stephan folgte mit Iskuhi. Dann kam Hrand Oskanian allein. Der schwarze Lehrer gab durch seine unnahbare Miene zu verstehen, daß er sich mit der Welt zerfallen fühlte. Hie und da brachte er mit heimlich wütenden Stößen die Steine auf dem Wege ins Rollen, als plane er rachsüchtige Anschläge gegen die Vorangehenden. Die letzte war Juliette, an die sich Gonzague Maris hielt. Awakian wollte erst eine Weile später nachkommen. Er benützte die Gelegenheit, noch ein paar Verbesserungen an seiner Karte anzubringen. Bagradian hatte den Befehl gegeben, die Zelte vorläufig nicht abzubrechen. Irgend jemand von den Stalleuten sollte immer zu ihrem Schutz auf dem Damlajik bleiben. Vielleicht würde in nächster Zeit neuerdings eine Partie unternommen werden. Ein Grund dieses Befehls war Bagradians Aberglaube, daß durch derartige Vorbereitungen sich die Kraft des Schicksals brechen lasse. Der elende Maultierweg verschwand stellenweise in Gestrüpp und Geröll. Juliettens leichtbeschuhte und verwöhnte Füße zagten erschrocken vor diesen Hindernissen. Gonzague reichte ihr dann mit festem Griff die Hand. Dabei kam es zwischen beiden zu einem abgerissenen und ungenauen Gespräch:

      »Es geht mir nicht aus dem Kopf, daß wir hier die einzigen Fremden sind, Madame.«

      Juliette prüfte ängstlich den Boden unter ihren Sohlen:

      »Sie sind doch wenigstens Grieche ... Das ist ja gar nicht so fremd ...«

      Gonzague ließ sie die Schwierigkeit ohne seine Hilfe überwinden:

      »Wie ...? Ich bin in Amerika erzogen ... Sie aber sind schon sehr lange Zeit mit einem Armenier verheiratet.«

      »Ja, ich habe einen Grund, hier zu leben ... Aber Sie?«

      »Bei mir kommen im Leben die Gründe immer erst nachher.«

      Man war auf einem abschüssigen Stück ins Laufen gekommen. Juliette blieb aufatmend stehen:

      »Ich habe nie verstanden, was Sie hier suchen ... Sie sind ja nicht sehr offenherzig in diesen Dingen ... Was hat ein Amerikaner, der nicht gerade mit Lammfellen, Baumwolle oder Galläpfeln handelt, in Alexandrette zu suchen?«

      »Wenn ich auch nicht offenherzig bin, ... bitte hier aufzupassen, ... kann ich Ihnen das gerne verraten ... Ich war als Klavierbegleiter einer reisenden Music Hall angestellt ... Armselige Geschichte ... Obgleich mein Herbergsvater Krikor eine große Meinung davon hat ...«

      »So? ... Und dann haben Sie Ihre Künstlerinnen schnöde verlassen ... Wo ist die Truppe jetzt? ...«

      »Sie hat Verträge für Aleppo, Damaskus und Beirut ...«

      »Und da haben Sie sich davongemacht? ...«

      »Sehr richtig! ... Es war eine ausgesprochene Flucht ... Das ist eine meiner Krankheiten ...«

      »Flucht? ... Ein blutjunger Mensch wie Sie!? ... Nun, Sie werden schon einen triftigen Grund gehabt haben ...«

      »Ich bin gar nicht so blutjung, wie Sie meinen ...«

      »Mein Gott, dieser Weg! ... Ich habe die Schuhe voll von Steinen ... Bitte geben Sie mir Ihre Hand! ... So! ...«

      Sie klammerte sich mit der linken Hand an Gonzague fest. Mit der Rechten schüttelte sie ihre Halbschuhe aus. Er aber blieb bei seiner Frage:

      »Wie alt bin ich nach Ihrer Meinung? ... Raten Sie! ...«

      »Dazu bin ich wirklich nicht in der Stimmung ...«

      Gonzague, ernst und wie mit Gewissensbissen:

      »Zweiunddreißig!«

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