Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen - Marcel Proust страница 20

Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen

Автор: Marcel Proust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208821

isbn:

СКАЧАТЬ weil das krause G, das sich auf ein i ohne Punkt stützte, aussah wie ein A, während die letzte Silbe mittels eines gezackten Schnörkels endlos verlängert war, – wenn man durchaus eine vernünftige Erklärung des Umschwungs suchen will, den er zum Ausdruck brachte und der mich so froh machte, so könnte man vielleicht darauf kommen, ich habe zum Teil ihn einem Vorfall zu verdanken, von dem ich gerade angenommen hatte, er würde mir bei Swanns so schaden, daß sie mich aufgäben. Kurze Zeit vorher war Bloch mich besuchen gekommen, während Professor Cottard, den man, seit ich sein Regime befolgte, wiedergerufen hatte, sich in meinem Zimmer befand. Als die Untersuchung zu Ende war und Cottard als Besuch dablieb (meine Eltern behielten ihn zum Essen), ließ man Bloch eintreten. Im Laufe des Gesprächs erzählte Bloch, er habe von jemandem, mit dem er am Tage vorher gegessen und der selbst mit Frau Swann sehr befreundet sei, gehört, daß Frau Swann mich sehr gern habe. Da wollte ich ihm antworten, er täusche sich sicher, und aus denselben Bedenken, die meine Erklärung gegenüber Herrn von Norpois veranlaßten, und aus Furcht, Frau Swann könne mich für einen Lügner halten, ausdrücklich betonen, ich kenne sie nicht und ich habe nie mit ihr gesprochen. Aber ich hatte nicht den Mut, Blochs Irrtum richtigzustellen, ich merkte ja, er wich mit Absicht von der Wahrheit ab; wenn er etwas erfand, was Frau Swann tatsächlich nicht hatte sagen können, so geschah es, um glauben zu machen (was ihm schmeichelhaft schien und erlogen war), er habe neben einer Freundin dieser Dame diniert. Während also Herr von Norpois auf meine Mitteilung hin, ich kenne Frau Swann nicht und würde sie gern kennen lernen, sich wohl hütete, zu ihr von mir zu sprechen, kam Cottard, der ihr Arzt war, durch Blochs Behauptung, sie kenne mich gut und schätze mich, auf den Gedanken, es würde mir weiter nichts nützen, wenn er ihr sagte, ich sei ein reizender Bursche und eng mit ihm befreundet, für ihn aber sehr schmeichelhaft sein, zwei Gründe, die ihn bestimmten, zu Odette von mir zu sprechen, sobald sich Gelegenheit bot.

      So lernte ich die Räume kennen, aus denen bis auf die Treppe das Parfüm drang, dessen sich Frau Swann bediente, und das noch mehr Duft bekam durch den besondern schmerzlichen Reiz, der von Gilbertes Leben ausströmte. Der unerbittliche Portier verwandelte sich in eine wohlwollende Eumenide und nahm die Gewohnheit an, wenn ich ihn fragte, ob ich hinaufgehen dürfe, die Mütze mit gnädiger Hand zu lüften, mir anzuzeigen, daß er mein Gebet erhöre. Früher warfen, von außen gesehen, die hellen Fenster, die zwischen mir und den Schätzen lagen, die mir nicht bestimmt waren, einen fernen, oberflächlichen Blick auf mich, der mir der Blick der Swann selbst schien. Jetzt konnte es, wenn ich in der schönen Jahreszeit einen ganzen Nachmittag mit Gilberte auf ihrem Zimmer verbracht hatte, mir geschehen, daß ich selbst diese Fenster öffnete, um Luft hereinzulassen, und mich sogar neben Gilberte herausbeugte, wenn gerade der Empfangstag ihrer Mutter war, um die Besuche ankommen zu sehen, die dann oft beim Aussteigen aus den Wagen den Kopf hoben und mir mit der Hand guten Tag zuwinkten, da sie mich für irgend einen Neffen des Hauses hielten. In solchen Augenblicken streiften Gilbertes Zöpfe meine Backe. Sie schienen mir in ihrer grashaften Zartheit natürlich und übernatürlich zugleich und das gewaltige Kunstwerk ihres Geflechtes eine besondere Schöpfung, für die man den Rasen des Paradieses verwendet hatte. Für den winzigsten Abschnitt dieser Zöpfe hätte ich ein himmlisches Herbarium als Reliquienschrein gewollt. Hätte ich doch, da ich nicht hoffte, ein wirkliches Stück dieser Zöpfe je zu erhalten, wenigstens ihre Photographie besessen! Sie wäre mir viel köstlicher gewesen als die der Blumenstücke, die Lionardo da Vinci gezeichnet hat. Um eine zu bekommen, ließ ich mich bei Freunden der Swann und sogar bei Photographen auf niedrige Machenschaften ein, die mir nicht zu dem verhalfen, was ich wollte, mich aber für immer mit sehr lästigen Leuten verbanden.

      Gilbertes Eltern, die mich so lange verhindert hatten, sie zu sehen –, wenn ich jetzt in das dunkle Vorzimmer trat, wo beständig, beängstigender und ersehnter als einst in Versailles das Erscheinen des Königs, die Möglichkeit, ihnen zu begegnen, in der Luft lag, und wo ich an einen riesigen Kleiderständer – siebenarmig wie der Leuchter der heiligen Schrift – anzurennen pflegte, und mich in Verbeugungen vor einem Lakaien erging, der dort in langem, grauem Rock auf der Holztruhe saß (in der Dunkelheit hielt ich ihn für Frau Swann) –, wenn jetzt Gilbertes Vater oder Mutter gerade im Augenblick meiner Ankunft vorbeikam, sahen sie mich durchaus nicht verdrossen an, sondern drückten mir lächelnd die Hand und sagten:

      »Wie geht es Ihnen? Comment allez-vous?« (was sie beide commen allez-vous aussprachen, ohne das t hinüberzuziehen, und man kann sich denken, daß ich mich dann zu Hause unablässig und mit Wollust darin übte, dies t ebenfalls zu unterdrücken.) »Weiß Gilberte, daß Sie da sind? Nun, dann auf Wiedersehen.«

      Mehr noch: die Teegesellschaften, zu denen Gilberte ihre Freundinnen einlud und die bisher zwischen ihr und mir scheinbar die unüberwindlichsten Schranken aufgebaut hatten, wurden jetzt zu einer Gelegenheit, uns zu vereinigen, von der sie mich durch ein Billett unterrichtete, weil ich noch ziemlich neu als Bekanntschaft war. Das war jedesmal auf eine andere Art Briefpapier geschrieben. Einmal war es mit einem blauen Pudel geziert, der sich im Profil über einer humoristischen englischen Unterschrift mit einem Ausrufungszeichen erhob, ein anderes Mal war es mit einem Anker gestempelt oder mit den Chiffern G. S., die in übermäßiger Länge die ganze Höhe des Blattes einnahmen, oder der Name »Gilberte« stand schräg in einer Ecke in Goldbuchstaben, die die Unterschrift meiner Freundin nachbildeten und unter einem offenen, schwarz gedruckten Regenschirm in einen Schnörkel endeten, oder er war in ein Monogramm in Form eines chinesischen Hutes eingeschlossen, alle Buchstaben großgeschrieben, man konnte keinen einzigen erkennen. Schließlich, da der Posten Briefpapier, den Gilberte besaß, so erheblich er war, nicht unerschöpflich blieb, bekam ich nach einer Reihe Wochen wieder das zu sehen, auf dem sie mir das erstemal geschrieben, mit der Devise Per viam rectam über dem behelmten Ritterin einer Medaille von braungebeiztem Silber. Und jedes Papier kam eher an diesem als an jenem Tage dran, kraft bestimmter Riten, so meinte ich damals, jetzt glaube ich eher, daß Gilberte sich zu erinnern versuchte, was für Papier sie die früheren Male benutzt hatte, um ihren Korrespondenten, wenigstens denen, für die sie sich Mühe gab, nur in möglichst großen Abständen dasselbe Papier zu schicken. Da ihre Unterrichtsstunden zeitlich verschieden lagen, mußten die Freundinnen, die Gilberte einlud, zum Teil gehen, wenn andere kamen, und so hörte ich schon auf der Treppe ein Stimmengewirr aus dem Vorzimmer, das bei meiner Erregung über die imposante Feierlichkeit, der ich beiwohnen sollte, jählings, schon ehe ich den Vorplatz betrat, alle Bande zerriß, die an ein früheres Leben mich knüpften; ich vergaß sogar, daß ich mein Halstuch, sobald ich ins Warme kam, abnehmen und nach der Uhr sehen sollte, um nicht zu spät nach Hause zu kommen. Die Treppe war übrigens aus Holz, wie man sie damals in gewissen Mietshäusern im Stil Henri II baute (der war lange Odettes Ideal gewesen, aber bald sollte sie ihn sattbekommen), und an der Wand stand die Vorschrift: ›Es ist untersagt, sich zum Abstieg des Fahrstuhls zu bedienen.‹ Etwas Derartiges gab es bei uns nicht. Mir schien diese Treppe etwas so Köstliches, daß ich zu meinen Eltern sagte, es sei eine antike Treppe, die Herr Swann von weither mitgebracht habe. Meine Wahrheitsliebe war so groß, daß ich ihnen diese Mitteilung auch dann ohne Bedenken gemacht haben würde, wenn ich gewußt hätte, sie war falsch; denn nur auf diese Weise konnte ich ihnen ermöglichen, vor der Würde von Swanns Treppe denselben Respekt zu haben wie ich. So möchte man vor einem Unwissenden, der nicht begreifen kann, worin das Genie eines großen Arztes besteht, lieber nicht zugeben, daß er keinen Schnupfen heilen kann. Da ich aber keine Beobachtungsgabe besaß, im allgemeinen weder Namen noch Art der Dinge kannte, die mir vor Augen waren, und nur begriff, wenn sie sich in der Nähe der Swann befanden, mußte es etwas Besonderes um sie sein, so war ich nicht einmal sicher, ob ich mit meinen Angaben über den künstlerischen Wert dieser Treppe, die Gott weiß woher stammte, meine Eltern belog. Sicher war ich dessen nicht, aber es mußte mir doch wohl wahrscheinlich vorkommen, denn ich fühlte, daß ich sehr rot wurde, als mein Vater mich unterbrach: »Ich kenne diese Häuser, eins habe ich angesehen, sie sind alle gleich; Swann bewohnt einfach mehrere Stockwerke; Berlier hat sie gebaut.« Er fügte hinzu, er habe in einem solchen Hause eine Wohnung mieten wollen, aber davon Abstand genommen, weil er sie nicht bequem und den Eingang zu dunkel fand; das sagte er, ich aber fühlte instinktiv, Swanns Ehre und mein Glück forderten von mir das Opfer des Verstandes: wie ein Frommer das Leben Jesu von Renan, verwarf ich auf Grund einer Entscheidung höherer Autorität auf immer den ketzerischen Gedanken, die Wohnung der Swann sei irgend eine СКАЧАТЬ