Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
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СКАЧАТЬ Joli mischte sich hier ins Gespräch, indem sie rief: »Lassen Sie sie, meine Herren, Sie hören, sie spricht töricht. Man muß auf Kindesworte nicht achten.«

      »Ich spreche nicht töricht, ich rede die Wahrheit!« rief das Kind entrüstet. »Wenn die Herren mich hören wollen, so laß sie doch! Mußt du denn immer dazwischenfahren?« –

      Die Herren und die Gouvernante lachten über das zornrote Kind, das beschämt darüber sich in den schwarzen Schleier wickelte und hinter der alten Dame sich versteckte. Indem kamen noch ein paar Herren hinauf, die die ersteren zu suchen schienen. Sobald sie sie entdeckten, entblößten sie ihre Häupter und blieben ehrfurchtsvoll stehen.

      »Sind die Wagen in Bereitschaft?« fragte der ältliche Herr.

      »Sie sind's, gnädiger Herr!« erwiderte einer der Männer.

      »So laßt uns gehn.« Er wandte sich an die Erzieherin. »Haben Sie Dank, meine Dame,« sagte er, »für Ihre Güte, mit der Sie uns hier aufgenommen. Melden Sie Ihrem Herrn, daß wir als Reisende unsere Straße ziehen, sonst würden wir uns die Ehre geben, ihm auszuwarten. Und Sie, mein Prinzeßchen, geben Sie uns die Hand zum Abschiede.«

      Das Kind war durchaus nicht erstaunt, als sie erfuhr, mit wem sie sprach. Sie hielt ein kleines, goldenes Bildchen in ihren Händen, das der junge Mann an einer Kette trug. »Wen stellt das vor?« fragte sie den Prinzen.

      »Einen Heiligen, wie Sie hier mehrere sehen!« erwiderte der junge Mann.

      »Gebt es mir!« rief die Kleine; »ich liebe Bilder, ich möchte es haben.«

      Ohne ein Wort zu erwidern nestelte der junge Mann das Bild los und gab es der Prinzessin. »Dafür sollst du einen Kuß haben,« sagte das mutwillige Mädchen. »Da du ein Marquis bist, kann ich dich küssen.«

      Der Kuß wurde gegeben, unter herzlichem Gelächter der beiden Herrn, und die Gesellschaft trennte sich. Der Graf und der Marquis gingen voran, die Herren aus ihrem Gefolge begleiteten sie. Madame Joli stand noch lange mit der Kleinen auf dem Arme und sah die fremden Herren über die Brücke gehen und drüben sich auf der Landstraße verlieren.

      2.

       Der Schlag ins Gesicht

       Inhaltsverzeichnis

      Der Pfalzgraf Karl Ludwig empfing bei seiner Zurückkunft die Nachricht von den zwei Fremden; er tadelte seine Tochter über das erbetene Geschenk und befahl der Gouvernante, daß sie künftig dergleichen nicht dulden solle; denn er, wie sein Haus, begehre von niemand etwas.

      Die Stimmung des Herrn war schwer und bedrückt. Er setzte sich an einen Tisch in der Halle und stützte das Haupt in die Hand. Wenn man das Antlitz ansah, wie es sich jetzt, halb beschattet von der Hand, zeigte, so war es das eines noch schönen Mannes, obgleich die Jahre merklich darüber hingezogen waren. Das Auge war groß und dunkel, aber zugleich geheimnisvoll und düster; die Brauen hingen tief hinein, und sie sowohl als die Barthaare hatten einen Anflug von Grau, obgleich der Herr noch nicht volle vierzig Jahre zählte. Seine Gestalt war voll und stark; der einfache Jagdrock zeigte die Schönheit und das Ebenmaß der Glieder. In der Jugend war Karl Ludwig schwächlich gewesen, und der mindest schöne von den schönen Kindern des unglücklichen Böhmenkönigs und der lieblichen Prinzessin von England; später aber hatten Kriegsübungen seinen Körper gestählt, und die trüben Erfahrungen seiner Jugend waren ihm Lehren der Weisheit und Vorsicht geworden.

      Das Kind, das noch immer mit seinem goldenen Bildchen spielte, drückte sich zwischen die Knie des Vaters, und indem es die klaren Augen nicht von der kummergedrückten Miene desselben wegwandte, liebkoste es schüchtern den trauernden Mann, indem es mit seinen Händchen über die breite und nervige Hand des Vaters fuhr. Madame Joli hatte sich entfernt.

      »Was haben dir die Herren gesagt?« fragte der Vater seine Tochter, indem er sie mit mißtrauischen Blicken ansah.

      »Nichts, Papa, gar nichts. Die waren ja selbst fremd!« erwiderte das Mädchen.

      »Vielleicht waren es Späher,« murmelte der Fürst vor sich hin. »Ich habe überall Feinde.«

      »Die hatten so offene, gute Gesichter,« sagte die Kleine. »Wenn sie alle in Frankreich so aussehn, möchte ich wohl hin.«

      »So?« sagte Karl Ludwig, und seine Miene verzog sich etwas zum Lächeln. »In zehn Jahren wollen wir weiter davon sprechen. Ich werde dich aus dem Hause geben, Mädchen!«

      Das Kind sah den Vater an. »Fortgeben willst du mich?« fragte es unwillig und überrascht. »Wohin denn? Gehör' ich nicht hierher? Bin ich nicht dein Kind?«

      »Du sollst zu deiner Tante, der guten Kurfürstin von Hannover.«

      »Zu der? Zu der Tante, die mir zu Weihnachten die schöne Puppe geschickt hat? Ja, zu der will ich.«

      Die Kleine sah zufrieden und stolz ans, indem sie dies sagte. Der Vater fragte: »Also du gehst gern?«

      »O – Vater!« rief sie und hing sich an seinen Hals, »wie kannst du nur so sprechen! Ich denke, du kommst mit!« sagte das Mädchen.

      »Wie kann ich?« rief der Vater finster. »Weißt du denn nicht, daß ich hierbleiben muß?«

      »Wegen Fräulein Luise?« fragte das Kind.

      »Still!« rief der erschreckte Mann und hielt die Hand dem Kinde vor den Mund. »Du darfst nicht von ihr sprechen. Hörst du? Nie ihren Namen nennen. Die Arme hat es so schon schwer genug hier im Hause!« –

      »Die liebe Tante Sophie!« rief das Kind, plötzlich wieder heiter. »Wird sie mich aber auch wollen, wenn ich ohne dich komme?« –

      »Mama Joli wird dich hinbringen; dort wirst du eine andere Gouvernante erhalten, die dir die Tante ausgesucht hat.«

      »Wo bleibt Joli?« fragte die Kleine.

      »Sie geht nach Frankreich zurück, wo sie ihre Verwandten hat,« entgegnete der Vater und strich mit der Hand über das Lockenhaupt des Kindes. Er hielt plötzlich inne und lauschte nach einer Seite hin. »War es nicht, als ginge die Türe an der Kammer der Mutter?« fragte er, sich umsehend.

      »Nein, nein!« entgegnete die Kleine, »hier ist alles still und tot. Es ist wie im Grabe. Seitdem die Mutter böse ist, hört man keinen Laut hier. Zum Essen kommt aber Vetter Ernst; er hat es sagen lassen.«

      »Hat man es der Mutter gemeldet?«

      »Mama Joli ist drin gewesen,« erwiderte das Kind, »sie hat mit dem Kopf genickt, gesagt hat sie nichts.«

      Der Fürst war in Nachdenken versunken. Er sah auf das Antlitz seines Kindes, und ihm die Haare aus dem Gesicht streichend, versenkte er sich tief und forschend in die hellen Augen. »Wirst du auch einmal die Qual und die Marter eines Mannes werden?« flüsterte er. »Ruht auch in dir der giftige Lindwurm, der unsere Tage verzehrt und uns vor der Zeit reif zum Grabe macht? Es wäre besser, du wärest nie geboren! Hier, mit dieser Hand könnte ich dich erwürgen! Dich von der Erde hinwegreißen, giftiges, kleines Unglücksgeschöpf!«

      Seine Augen nahmen den Charakter einer ungezähmten Wildheit an, und das Kind, das sonst nicht furchtsam war, senkte seinen Blick und suchte zwischen den Knien СКАЧАТЬ