Название: Kindheit, Jugend und Krieg
Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027225842
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Am Abend, wo wir ankamen, hatte ich einen wenig günstigen Eindruck von unserm Hause gehabt, es war mir recht häßlich und, als dann der Mond in die Fenster schien, auch sogar etwas unheimlich vorgekommen. Mit diesem Unheimlichen, wie sich bald herausstellte, hatte es denn auch seine Richtigkeit, wenigstens in dem Glauben der Dienstleute. Wenn es nachts auf dem Boden über uns unruhig wurde, hieß es: »De oll Geißler geiht wedder üm«, oder auch wohl: »He kuckt wedder in all sien Kisten und Kasten«, und wirklich, man hörte deutlich, wie die Deckel der großen Kräuterkisten auf- und wieder zugeschlagen wurden. »Das sind die Katzen«, erklärte später mein Vater, aber ich war mit dieser Auslegung nie recht zufrieden und hielt mit Vorliebe zu dem Satze: »De oll Geißler geiht wedder üm.« Von diesem allen hatte ich, um es zu wiederholen, gleich am ersten Abend ein unbestimmtes, mich eine Weile gruselig machendes Gefühl, das noch wuchs, als der vor meiner Schlafkammer stehende Kirschbaum leise die Scheiben streifte. Aber müde von der Reise, schlief ich trotzdem ein und erschien am andern Morgen wohlgemut in der noch leeren Wohnstube meines Vaters. Hier, auf Schemeln und Küchenstühlen sitzend (denn mit Ausnahme der Betten war noch nichts ausgepackt), nahmen wir gemeinschaftlich das Frühstück, mein Vater in bester Stimmung. Als wir, es währte nicht lange, damit fertig waren, nahm er mich bei der Hand und sagte: »Nu komm, mein Junge; die andern sind noch zu klein, aber du bist schon verständig, und da wollen wir uns denn die Sache mal ansehen. Als ich Weihnachten hier war, war es so kalt, du weißt, daß der Kognak einfror, und da war denn an Inspektion nicht zu denken. Ein bißchen habe ich die Katze im Sack gekauft. Aber das tut nichts, alles im Leben bleibt unsicher, und die Geschäftsbücher stimmten.« Er sagte das meiste davon mehr zu sich selbst als zu mir, wie er denn sein ganzes Leben lang seine Konversation immer mehr nach seinem persönlichen Bedürfnis als nach der Beschaffenheit seiner Hörer einrichtete. Meistens waren es Selbstgespräche. Seine letzten Jahre verlebte er mit einer ihm seine kleine Wirtschaft führenden, ganz beschränkten Person, aber das hinderte ihn nicht, mit ihr zu philosophieren, das heißt alles, was ihm einfiel, in sie hineinzureden.
Und nun zurück zu der beabsichtigten Hausinspizierung, die wir gleich nach dem Frühstück antraten. Ehm wurde gerufen, um uns auf unsrem Umgange, wenn nötig, Auskunft zu geben, was er sehr gut konnte. Denn er war schon viele Jahre lang »Kohlenprovisor« und wußte Bescheid in allem.
Unser nächstes Ziel waren die Böden, deren sich nicht weniger als fünf unter dem Riesendache befanden. Der erste Boden, zu dem eine knarrende Treppe mit abgelaufenen Stufen hinaufführte, war ein Prachtstück in seiner Art, hoch und frisch und zugleich mit einer Welt von Dingen ausgestattet, die mich sofort für sich einnahmen: Schornsteine von beinah lächerlich mächtigem Umfang, eingegitterte Verschläge mit Vorlegeschlössern, gezogene Leinen, daran Wäsche hing, und dazu, an diesem ersten Morgen wenigstens, Schwalben und Schmetterlinge, die durch die vielen Fenster und Gucklöcher beständig aus und ein flogen. In verhältnismäßiger Nähe des umfangreichsten Schornsteins aber stieg eine zweite Treppe, eigentlich bloß eine geradlinige Leiter, zunächst bis auf den zweiten Boden und von diesem in unmittelbarer Fortsetzung bis auf den dritten hinauf. Zur Seite hing ein geteertes Tau, daran man sich festhielt. Als wir bis an die Stelle gekommen waren, wo die Leiter, und zwar ohne einen Knick oder Absatz zu machen, einfach die Dielung des zweiten Bodens durchbrach, sah ich, daß ein schweres Rad, aber von nur geringem Durchmesser, hart neben dem Durchschlüpfeloche lag, ein Anblick, bei dem ich, ich weiß nicht warum, sofort fühlte, daß es damit was Besonderes auf sich haben müsse. Mein Vater empfand gerad ebenso, schob aber alles Fragen danach vorläufig hinaus, weil wir fortgesetzt im Steigen waren und das Klettern auf den immer schmaler werdenden Leitern die größte Vorsicht gebot. Erst als wir eine Weile danach und nach Musterung des dicht unter dem Dachfirst hinlaufenden Glas- und Krukenbodens wieder abwärts stiegen und auf diesem Abstieg die terra firma des ersten Bodens erreicht hatten, setzte sich mein Vater, um auszuruhen, auf eine der großen Kräuterkisten und sagte: »Das ist ja zum Halsbrechen, Ehm. Und dann das Rad da oben? Was ist es mit dem Rad? Wie kommt das dahin?«
Ehm erzählte nun in seinem Plattdeutsch, daß es das Rad sei, womit der Mörder Hannacher – aber das sei nun schon lange, das Jahr vorher, ehe die Franzosen ins Land kamen – vom Leben zum Tode gebracht worden sei. Hannacher habe dicht bei dem Dorfe Morgnitz einen Schäfer erschlagen und bloß einen Münzgroschen bei ihm gefunden, und als er den Münzgroschen im Morgnitzer Krug vertrunken habe, da sei's auch schon herausgekommen.
»Ein wahres Glück«, sagte mein Vater, »je eher so was rauskommt, desto besser. Aber das Rad! Was soll das da? Wie kommt das dahin?!«
»Dat hett de oll Geißler an sich bracht, ick weet nich mehr för wieveel. Un he wull ja woll, dat et em Glück in't Huus bringen sall.«
Mein Vater, der dabei seiner eigenen, am Tage vorher zugunsten des Scharfrichterkarrens gehaltenen Rede gedenken mochte, war von dem, was Ehm jetzt sagte, wenig angenehm berührt und meinte, zuviel Glück sei auch nicht gut. »Aber nun wollen wir uns den Schimmel ansehn, Ehm, um auf andre Gedanken zu kommen ... Is denn hier öfter so was los, wie das mit dem Hannacher?«
»Nu so ab un an. Toletzt hedden wi joa dat mit Muhrn un sine Fru.«
Ehm wollte sichtlich in diesem Thema fortfahren, aber mein Vater hörte nicht mehr recht hin und vergaß bald sowohl Hannacher wie »Muhrn un sine Fru«, als er, unten im Stall angekommen, der vorzüglichen Einrichtung, die da herrschte, gewahr wurde. »Ei, Ehm, da sind ja zwei Krippen und zwei Raufen. Also Platz für zwei Pferde. Was er sich nur dabei gedacht haben mag. Ich meine den alten Geißler, der ja doch ein Geizkragen gewesen sein soll. Na, mir kanns gleich sein. Is ja wahrhaftig, als ob er alles für seinen Nachfolger eingerichtet hätte. Und das ist das Wahre. Für die Nachkommen muß man sorgen.«
Das Riesendach mit seinen fünf Böden hatte seines Eindrucks auf mich nicht verfehlt, das Haus selbst aber, das geduckt unter diesem Dache lag und von dem ich in Nachstehende meine Schilderung versuche, ließ, wie äußerlich, so auch in seinem Innern viel zu wünschen übrig. An den mit Ziegelsteinen gepflasterten Flur lehnte sich, gerade die Mitte desselben treffend, von links her eine mächtige Küche, von rechts her ein gewölbtes Laboratorium, als Grundform des ganzen Hauses ein Kreuz herstellend, in dessen vier Ecken sich vier Quadrate mit sehr primitiven Geschäfts- und Wohnräumen einschoben. In dem ersten Quadrate befand sich außer der Apotheke noch die Gehilfenstube, während das zweite Quadrat nur ein einziges Zimmer umschloß, einen mehrfenstrigen Saal, den Stolz des Hauses. Apotheke wie Saalzimmer sahen auf die Straße. Die die Rückfront bildenden Quadrate drei und vier hatten dagegen den Blick auf den Garten und bestanden einerseits aus einem Wohnzimmer für meinen Vater, andererseits aus einer Stube für uns Kinder. Wo es irgend ging, waren verbleibende kleine Raumreste zu Schlafkammern hergerichtet; nur der Saal blieb von so niederer Umgebung verschont. Im übrigen war alles klein und eng. Von gefälliger Ausschmückung an Wand oder Decke zeigte sich nirgends eine Spur, Öfen und Dielen waren schlecht, ganz besonders unschön aber war die schüttgelbe Farbe, womit, wie der Flur, so auch alle Zimmer des Hauses gleichmäßig gestrichen waren. Nur die Gehilfenstube – vielleicht in Huldigung gegen die daneben liegende Apotheke – zeigte statt des Schüttgelb einen Anstrich von Schweinfurter Grün, bekanntlich arsenikhaltig. Um aber die gesundheitswidrige Wirkung dieser Farbe nach Möglichkeit auszugleichen, war in eine der obersten Fensterscheiben eine blecherne Rose eingesetzt, die unter beständigem Sichdrehen für frische Luft zu sorgen hatte, dabei aber einen unerträglichen Lärm machte. Ja, häßlich, eng und vernachlässigt war alles, am vernachlässigtsten aber war die Kinderstube, drin, grad in der Mitte, ein großes Stück Diele fehlte, so daß der Dünensand, darauf das Haus ohne Untermaurung stand, zum Vorschein kam. Später söhnte ich mich mit diesem Dielenloch freilich aus, denn gerade diese Sandstelle wurde, wenn wir bei schlechtem Wetter nicht hinaus konnten, zum bevorzugten Spielplatz für uns Kinder, wo wir mit vier würfelförmigen Steinen unser Lieblingsspiel spielten. Dies Lieblingsspiel hieß »Knut«, war also vielleicht dänischen Ursprungs und lief darauf hinaus, daß man, den vierten Stein hoch in die Luft werfend, ihn im Niederfallen СКАЧАТЬ