Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Eine Stimme aus einem Oberbett ruft: »Das ist der Ziese, der ist taubstumm, der hört doch nichts!«
Ich fahre eifrig fort: »Ich bin all das hier noch nicht gewohnt. Ich war nur gut vierzehn Tage in Untersuchungshaft. Wegen Mordversuchs an meiner Frau …«
Beistimmendes, sehr viel wohlwollenderes Gemurmel. Ich habe richtig getippt: Mordversuch macht hier besseren Eindruck als Bedrohung.
»Ich heiße Erwin Sommer, habe ein Produktengeschäft und bin hier nur sechs Wochen zur Beobachtung …«
»Dann pass man gut auf, dass keine sechs Jahre daraus werden!«, ruft eine lachende Stimme. »Der Medizinalrat hat uns alle so lieb, der will keinen von uns entbehren.« Wieder Lachen, aber das Eis ist gebrochen, der schlechte Eindruck wiedergutgemacht.
Ich gehe von Bett zu Bett und höre die Namen: Bull, Meierhold, Brachowiak, Marquardt, Heine und Dräger. Ich werde sie nie behalten, besonders, weil es unterdes fast dunkel geworden ist und ich die Gesichter der einzelnen in ihren Bettkisten nicht mehr erkennen kann. Dann krieche ich in mein Bett zurück.
Eine Stimme ruft: »Du, Neuer, erzähl mal, wie du zu dem Ding mit deiner Frau gekommen bist.«
Eine andere ruft hitzig: »Halt deinen Sabbel, Dräger! Musst du immer so neugierig sein? Überlass doch dem Mann, was er erzählen will! Du möchtest dich ja doch nur morgen im Glaskasten beim Ober beliebt machen!«
Ein hitziger Streit beginnt, wer der »Ohrwurm« des Oberpflegers ist. Andere Bettinsassen greifen ein, ein wüstes Geschimpfe wird laut. Ich bin froh, dass sie mich wenigstens zufriedenlassen. Ich bin müde, meine Nase schmerzt sehr. Gerade fängt der Streit wegen Mangels an Stoff an abzuflauen, da wird draußen auf dem Gang Geschimpfe laut, klatschendes Geräusch wird laut, Gejammer. Unsere Zellentür fliegt auf, eine Gestalt fliegt hinein.
Eine kräftige Stimme ruft: »Wirst du machen, dass du in dein Bett kommst, dich nicht in fremden Zellen herumtreiben, du warmer Sack, du!«
Und eine jammernde, gelle Stimme – ich erkenne sie sofort, es ist der Hauerzähnige: »Herr Wachtmeister, Sie haben mich ja so gehauen! Herr Wachtmeister, ich kann morgen nicht arbeiten!«
»Warmer Sack, du«, klingt draußen die Stimme noch einmal grollend, »mach, dass du schnellstens in deine Falle rollst! Sonst gibt’s noch mal was!«
Der Hauerzähnige fährt mit seinem Gesicht in mein Bett. »Na, Neuer, liegste unter mir? Das sage ich dir aber, wenn du nachts nicht stille liegst und wackelst, ich komme runter und verwackele dich!«
»Ich liege schon still«, versichere ich und denke besorgt an mein Röcheln und Schnarchen.
Der Kleine zieht sich mit unglaublicher Schnelligkeit aus und »feuert seine Lumpen« vor die Tür. Dann benutzt er mit einer schamlosen Ungeniertheit den Kübel an der Tür.
»Hätt’ste auch draußen erledigen können, Lexer!« ruft eine unwillige Stimme.
»Biste zu fein, meinen Gestank aufzuriechen?«, schreit sofort die gelle, freche Stimme. »Jetzt wird’s wohl fein hier bei uns, wo der Neue gekommen ist? So blau, jetzt scheiße ich erst recht hier!« Und er lässt donnernd einen fahren.
›Die Hölle‹, denke ich. ›Ich bin in die Hölle geraten. Wie soll ich hier je leben können? Und schlafen? Das sind ja keine Menschen mehr, das sind Tiere! Und hier soll ich sechs Wochen leben, vielleicht länger? Vielleicht lange? In dieser Hölle? Der Lexer, oder wie er heißt, ist ein wahrer Teufel!‹
Sie versuchen, mich noch auszufragen. Aber ich mag von ihnen nichts mehr hören noch sehen. Ich stelle mich schlafend. Und allmählich werden auch sie ruhig, die verhasste gelle Stimme verstummt. Es wird immer dunkler, die meisten schlafen wohl schon. Ich höre eine Uhr schlagen, dreimal. Was wird es sein? Dreiviertel neun? Dreiviertel zehn? Hoffentlich zeigt der Glockenschlag auch die vollen Stunden an. Das verkürzt die Nacht. Über mir der Lexer wälzt sich unruhig hin und her, jedes Mal kommt dann mein Bett ins Schwanken. Und ich soll mich nicht rühren! Ich liege ganz still, mein Gesicht im Arm verborgen.
Ich bin völlig allein mit mir. Ich bin mir klar: Ich werde von nun an immer völlig allein mit mir sein. Ich bin dort, wohin weder Liebe noch Freundschaft reichen. Ich bin in der Hölle … Ich habe eine kurze Zeit gesündigt, und ich werde dafür eine lange Zeit unglaublich hart bestraft! Aber man hätte es wissen müssen, bevor man sündigte, wie hart die Strafe ausfällt. Es hätte einem vorher gesagt werden müssen, dann hätte man nicht gesündigt … Gott, das bisschen Schnapstrinken, ist das nun wirklich so schlimm? Diese Kabbelei mit Magda – nun gut, juristisch haben sie eine Bedrohung daraus gemacht, aber muss ich darum bei lebendigem Leibe in der Hölle sein? Wenn Magda wüsste, wie ich leide – sie würde wenigstens Mitleid mit mir haben, aus Mitleid würde sie mir helfen, wenn sie mich auch nicht mehr liebt.
Es gibt noch eine einzige Hoffnung, das ist der Arzt. Dieser Medizinalrat Stiebing, er hatte keinen so schlechten Eindruck auf mich gemacht, damals bei jener Autofahrt. Er hatte mit Dr. Mansfeld gescherzt und gelacht, wie ein richtiger Mensch. Vielleicht war er ein richtiger Mensch, nicht bloß ein Maschinenteil. Ich werde wie mit einem Menschen mit ihm reden, um meine Seele werde ich mit ihm kämpfen, meine Seele werde ich aus dieser Hölle erretten.
›Herr Medizinalrat‹, werde ich zu ihm sprechen, ›ich trage die volle Verantwortung für alles, was ich getan habe. Ich war nie so berauscht, dass ich nicht wusste, was ich tat. Ich will hart bestraft werden, ein Jahr, zwei Jahre will ich gerne ins Gefängnis gehen, gerne will ich das tun. Aber lassen Sie mich nicht in diesem Haus, in dieser Hölle, in die man hineingebracht wird, und nicht weiß, wann man wieder hinausgeht; vielleicht wird man erst auf dem Rücken hinausgetragen.‹
›Herr Medizinalrat‹, werde ich noch sprechen, ›Sie kennen unseren Hausarzt, den Herrn Dr. Mansfeld, ich habe es gesehen. Sie haben mit ihm gescherzt und geplaudert im Auto. Fragen Sie Herrn Dr. Mansfeld, er kennt mich seit vielen Jahren; er wird Ihnen bestätigen, dass ich ein anständiger, solider, nüchterner Mensch bin. Das jetzt war nur ein Anfall, ich weiß selbst nicht, wie ich dazu gekommen bin. – Nein‹, unterbrach ich mich, ›das darf ich dem Medizinalrat nicht sagen, sonst erklärt er mich für geisteskrank. СКАЧАТЬ