Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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»Setzen Sie Ihren Koffer erst einmal hier ab, Sommer«, sagt der Oberpfleger zu mir. »Morgen früh gebe ich Ihnen Anstaltszeug, Zivil ist hier verboten. Und jetzt zeige ich Ihnen Ihr Bett, es ist Schlafenszeit, hier wird um halb acht Uhr abends ins Bett gegangen, morgens um dreiviertel sechs Uhr stehen wir aber auch schon wieder auf …«
»Darf ich vielleicht noch um etwas Abendessen bitten?«, frage ich. »Ich habe dort keines bekommen …« Ich habe erwartet, dass ich ein »Nein« höre, wie damals bei meiner ersten Einlieferung ins Gefängnis. Ich habe eigentlich gar nicht fragen wollen, ich habe es doch nun gelernt: Ein Gefangener darf nichts sagen, nichts fragen, nichts bitten.
Aber – o Wunder – der Oberpfleger nickt mit dem Kopf und sagt: »Das sollen Sie haben, Sommer. Setzen Sie sich solange in den Tagesraum.«
In den Tagesraum werde ich gesetzt, es ist ein langer, dreifenstriger Raum, der nichts enthält wie abgescheuerte, einmal weiß lackiert gewesene Holztische, primitive Holzbänke ohne Lehne und eine Art Küchenuhr an der Wand. Ich setze mich auf eine Bank – die Küchenuhr zeigt kurz nach halb acht Uhr.
Draußen ertönt der Ruf: »Schlafen gehen! Sachen raus!« Ein heftiges Geschlurfe beginnt (wie unglaublich viel Menschen auf dieser einen Station schon zu leben scheinen), Türen schlagen; in einem Nebenraum, in dem wohl die Aborte untergebracht sind, beginnt ununterbrochen Wasser zu rauschen. Halb acht Uhr und ins Bett, wie die Kinder, früher als die Kinder!
Wie werde ich diese Nacht hinbringen? Wie die sechsunddreißig Nächte der Beobachtungszeit? Und vielleicht viele, viele Nächte danach? Die unendliche Länge einer endlosen Zeit, in der nichts geschieht, legt sich wie ein Bleigewicht auf mich. Dieser kahle Raum, in dem nichts als das Allernotwendigste ist, erscheint mir wie ein Abbild meines künftigen Lebens. Nichts mehr zu erwarten, nichts mehr zu wünschen, nichts mehr zu hoffen … Leben und warten, ein Leben, das sich nur auf das Künftige richtet, in dem jede Stunde leer ist, und auch das Künftige wird leer sein …
Eine Aluminiumschüssel wird vor mich hingestellt, ein Löffel dazugelegt … Ein kleiner Mensch in schmutziger Leinenjacke ist es, der das tut. Sein Gesicht ist hässlich, und es wird besonders hässlich dadurch, dass ihm vorne im Oberkiefer alle Zähne fehlen, bis auf die beiden hauerartigen, gelbschwärzlich verfärbten Eckzähne. Der Mann sieht wie ein böses Tier aus. »Was bist denn du für einer?«, fragt er mit einer frechen, hohen Stimme. »Woher kommst du? Was hast du ausgefressen? Was ist mit deiner Nase passiert?«
Ich antworte ihm gar nicht, schweigend beginne ich, in der Aluminiumschüssel zu löffeln. Es ist nichts wie Wasser und Kohl, warmes gesalzenes Wasser mit wenig Kohl. »Ist das euer Abendessen?«, frage ich. »Gar kein Brot?«
Um mich schleichen, obwohl doch jetzt Schlafenszeit ist, schon mehrere Gestalten, in einer bräunlichen, verschlissenen Tracht, die bei manchen völlig zerlumpt ist …
Der Kleine mit den Hauerzähnen lacht schrill auf. »Ob das unser Abendessen ist?« lacht er böse. »Das fragt der? Der denkt wohl, für ihn wird besonders gekocht! Der denkt, er ist in ein Restaurant gekommen! Der ist so fein, der redet nicht mit unsereinem! Gar kein Brot, sagt der!« Er lacht noch einmal, und plötzlich ist alles still.
Sechs, sieben Gestalten sind es jetzt schon, die um mich schleichen, an den Wänden lehnen, stumm. Ich lege den Löffel in die Schüssel zurück – was hat es für Zweck, sich den Bauch mit warmem Wasser zu füllen? Ich stehe auf, mache einen Schritt nach der Tür hin. Im gleichen Augenblick entsteht in meinem Rücken Getümmel. Sie haben sich auf meine kaum halb geleerte Schüssel gestürzt, sie kämpfen um sie wie die Tiere. Unterdrückte Ausrufe werden laut … das klatschende Geräusch von Schlägen … O du mein lieber Gott, sie prügeln sich um einen halben Liter heißes Kohlwasser wie die Tiere!
Da, ein triumphierendes, hohes, gellendes Gewieher! Das ist der Kleine mit den Hauerzähnen – er ist Sieger geworden!
»Wollt ihr machen, dass ihr fortkommt! Ich melde euch beim Oberpfleger! Ich habe dem Neuen die Schüssel gebracht, mir gehört sie! Nicht wahr, Neuer, du gibst mir dein Essen?«
Ich mache, dass ich aus der Tür komme, ich stehe wieder auf dem Gang beim Glaskasten.
Der Oberpfleger kommt heraus. »Na, dann kommen Sie mal mit, Sommer. Ist Ihr Verband noch in Ordnung? Morgen früh sehe ich ihn nach.«
Auf dem langen Gang liegen jetzt vor jeder Zellentür Kleiderbündel. »Sie legen Ihre Kleider dann auch vor die Tür, nur Ihr Hemd dürfen Sie drin behalten.«
»Darf ich mir nicht einen Schlafanzug aus meinem Koffer holen?«
»Schlafanzug, Nachthemd – so etwas gibt es hier nicht. Sie bekommen ein anständiges Anstaltshemd, das reicht eine Woche.«
Wir treten in eine lange, schmale Zelle, die Luft ist schon jetzt erstickend, stinkend. Acht Betten stehen in dem engen Raum, vier unten, vier darüber gebaut. »Sie haben das Bett unten rechts am Fenster. Machen Sie es rasch zurecht und legen Sie Ihre Sachen vor die Tür. Es ist sofort Einschluss.«
Hinter mir schlägt die Tür zu, ich gehe zu meinem Bett hin. Ich fühle viele Augen musternd auf mich gerichtet, aber niemand sagt ein Wort. Das Bett ist besser als im Gefängnis. Es gibt hier keinen Strohsack, sondern richtige Matratzen, steinharte, aber es liegt sich besser darauf. Es gibt auch ein Laken und eine schöne, weiße Wolldecke, die ich ungeschickt genug in einen Bezug stecke. Auch ein Kopfkeil ist da. Die Bettwäsche ist blau gewürfelt. Ich fühle bei all meinem Tun die musternden Augen auf mir, aber kein Mensch sagt ein Wort. Eilig schlüpfe ich aus meinen Kleidern, bündele sie ungeschickt genug zusammen und laufe im Hemd wieder zu meinem Bett. Ich krieche hinein, dicht über mir ist der Bretterboden des oberen Bettes, ich kann nicht aufrecht sitzen. Das Bett über mir scheint leer. Ich wickle mich fest in meine Decken, strecke mich lang aus. In meinem Magen kullert unangenehm das warme Kohlwasser.
Eine Stimme sagt laut: »Sagt nicht einmal Guten Abend und stellt sich nicht vor. So ein Schleimscheißer!« Beistimmendes Gemurmel wird laut.
Ich fahre in meinem Bett hoch – ich darf es mit diesen Leuten nicht schon am ersten СКАЧАТЬ