Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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»Davon weiß ich nichts. Aber ich weiß, dass Krieg war und dass mein Junge vielleicht sterben musste. In unsern Kreisen ist das so, wenn zwei verlobt sind oder so gut wie verlobt, und noch dazu Krieg ist, so sehen wir nicht so genau hin.«
»Aha, jetzt gestehen Sie also, Angeklagte! Sie haben von den unsittlichen Beziehungen gewusst, und Sie haben sie geduldet! Das nennen Sie dann: nicht so genau hinsehen. Aber das Strafgesetzbuch nennt es schwere Kuppelei, und eine Mutter ist schändlich und völlig verworfen, die so etwas duldet!«
»So, ist sie das? Na, dann möchte ich wohl wissen«, sagt Anna Quangel ganz ohne Angst und mit fester Stimme, »dann möchte ich wohl wissen, wie das Strafgesetzbuch das nennt, was der Bubi-drück-mich-Verein1 tut?«
Lebhaftes Lachen …
»Und was die SA ausfrisst mit ihren Mädchen …«
Das Lachen bricht ab.
»Und die SS – sie erzählen ja, die SS schändet die Judenmädchen erst und schießt sie hinterher tot …«
Einen Augenblick Totenstille …
Aber dann bricht der Tumult los. Sie schreien. Welche von den Zuhörern klettern über die Schranken und wollen auf die Angeklagte eindringen.
Otto Quangel ist aufgesprungen, bereit, seiner Frau zu Hilfe zu eilen …
Der Schutzpolizist, die fehlenden Hosenträger behindern ihn.
Der Präsident steht da und gebietet heftig, aber vergeblich Ruhe.
Die Beisitzer reden laut miteinander. Der Blöde mit dem stets offenen Mund schüttelt die Fäuste …
Der Ankläger Pinscher kläfft und kläfft, und niemand versteht ein Wort …
Die heiligsten Gefühle der Nation sind verletzt, die SS ist beleidigt, die Lieblingstruppe des Führers, die Elite germanischer Rasse!
Schließlich wird Anna Quangel aus dem Saal geschleppt, der Lärm beruhigt sich wieder, der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück …
In fünf Minuten erscheint er wieder:
»Die Angeklagte Anna Quangel ist von der Teilnahme an der Verhandlung gegen sie ausgeschlossen. Sie bleibt von jetzt an in Fesseln. Dunkelarrest bis auf Weiteres. Wasser und Brot nur jeden zweiten Tag.«
Die Verhandlung geht weiter.
1 BDM, Bund Deutscher Mädel <<<
64. Die Hauptverhandlung: Der Zeuge Ulrich Heffke
Der Zeuge Ulrich Heffke, dieser Qualitätsarbeiter, der bucklige Bruder Anna Quangels, hat schwere Monate hinter sich. Der tüchtige Kommissar Laub hatte ihn mit seiner Frau gleich nach der Festnahme der Quangels verhaftet, ohne jeden stichhaltigen Verdacht, einfach nur, weil er ein Verwandter der Quangels war.
Von da an hatte Ulrich Heffke in Angst gelebt. Dieser sanfte Mensch mit einem schlichten, einfachen Geist, der sein Lebtag allem Streit aus dem Wege gegangen war, war von dem Sadisten Laub verhaftet worden, gequält, angeschrien, geschlagen. Man hatte ihn hungern lassen, gedemütigt, kurz, er war mit allen teuflischen Künsten gemartert worden.
Darüber war der Geist des Buckels völlig verwirrt geworden. Er hatte nur ängstlich gelauscht, was seine Quäler hören wollten, und er hatte dann besinnungslos auch die ihn belastendsten Geständnisse abgelegt, deren Widersinn ihm doch sofort bewiesen wurde.
Und von Neuem hatte man ihn gemartert, in der Hoffnung, von dem kleinen Buckel doch noch ein neues, bisher ungekannt gebliebenes Verbrechen zu erfahren. Denn Kommissar Laub handelte nach dem Satz dieser Zeiten: Jeder hat was ausgefressen. Man muss nur lange genug suchen, so findet man auch was.
Laub wollte und wollte es nicht glauben, dass er auf einen Deutschen gestoßen war, der kein Parteimitglied war und der trotzdem nie einen ausländischen Sender abgehört, eine defätistische1 Flüsterpropaganda getrieben hatte, der nie eine Lebensmittelverordnung übertreten hatte. Laub sagte es dem Heffke auf den Kopf zu, dass er die Karten am Nollendorfplatz für seinen Schwager eingesteckt hatte.
Heffke gab es zu – und nach drei Tagen konnte es ihm Laub beweisen, dass er, Ulrich Heffke, die Karten unmöglich eingesteckt haben konnte.
Kommissar Laub beschuldigte den Heffke nun des Verrates von Betriebsgeheimnissen in der optischen Fabrik, in der er arbeitete. Heffke gestand, und nach einer Woche mühsamer Ermittlungen konnte Laub feststellen, dass es in dieser Fabrik gar keine Geheimnisse zu verraten gab; niemand wusste dort, für welche Waffe eigentlich die Einzelteile, die man dort herstellte, bestimmt waren.
Jedes falsche Geständnis musste Heffke teuer bezahlen, aber das machte ihn nur verschreckter, nicht klüger. Er gestand blindlings, nur um Ruhe zu haben, einem weiteren Verhör zu entrinnen, er unterschrieb jedes Protokoll. Er hätte sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Er war nichts wie Gallert, ein Häufchen Angst, das schon beim ersten Wort zu zittern anfing.
Kommissar Laub war schamlos genug, diesen Unglücksmenschen zusammen mit den Quangels in die Untersuchungshaft überführen zu lassen, obwohl nicht eines der Protokolle eine Beteiligung Heffkes an den »Verbrechen« der Quangels bewies. Sicher war sicher, mochte der Untersuchungsrichter sehen, ob er nicht doch etwas Belastendes aus dem Heffke herausbekam. Ulrich Heffke benutzte die etwas vielseitigeren Möglichkeiten der Untersuchungshaft dazu, dass er sich erst einmal aufhängte. Man fand ihn im allerletzten Augenblick, schnitt ihn ab und schenkte ihn einem Leben wieder, das ihm völlig unerträglich geworden war.
Von Stunde an musste der kleine Buckel unter noch viel schwereren Bedingungen leben: in seiner Zelle brannte die ganze Nacht Licht, ein Sonderposten sah in Abständen von wenigen Minuten durch die Tür, seine Hände waren gefesselt, СКАЧАТЬ