Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Nach einer Weile hob sie den Kopf wieder und sah Otto fest an. Noch zitterten ihre Lippen, aber sie sagte: »Es ist besser, wie es gekommen ist. Wenn sie hier neben uns säßen, es wäre so schrecklich. Nun haben sie ihren Frieden.« Und ganz leise: »Otto, Otto, wir könnten es auch so machen.«
Er sah sie fest an. Und sie sah in den harten, scharfen Augen ein Licht, wie sie es nie gesehen, ein spöttisches Licht, als sei alles nur ein Spiel, das, was sie jetzt sagte, und das, was kommen würde, und das unvermeidliche Ende. Als sei es nicht wert, so ernst genommen zu werden.
Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein, Anna, wir tun das nicht. Wir stehlen uns nicht weg, als seien wir überführte Verbrecher. Wir nehmen ihnen das Urteil nicht ab. Wir nicht!« Und in einem ganz anderen Ton: »Für all so was ist es zu spät. Wirst du nicht gefesselt?«
»Doch«, sagte sie. »Aber als der Schupo mich bis an die Tür hier geführt hatte, hat er mir das Kettchen abgenommen.«
»Du siehst!«, sagte er. »Es würde misslingen.«
Er verschwieg ihr, dass er, seit man ihn aus dem Untersuchungsgefängnis fortgeführt hatte, gefesselt war, mit Handschellen und einer Kette, mit Fußschellen und einer Eisenstange. Wie bei Anna hatte der Schupo ihm erst an der Tür des Verhandlungssaals diesen Schmuck abgenommen: der Staat sollte nicht um sein Schlachtopfer betrogen werden.
»Nun gut«, fand sie sich darein. »Aber du glaubst doch, Otto, dass wir zusammen hingerichtet werden?«
»Ich weiß nicht«, sagte er ausweichend. Er wollte sie nicht belügen und wusste doch, jedes würde allein sterben müssen.
»Aber man wird uns doch zur gleichen Stunde hinrichten?«
»Sicher, Anna, bestimmt wird man das!«
Aber er war nicht so sicher. Er fuhr fort: »Aber denke jetzt nicht daran. Denke nur daran, dass wir jetzt stark sein müssen. Wenn wir uns schuldig bekennen, wird alles sehr schnell gehen. Wenn wir keine Ausflüchte machen und nicht lügen, haben wir vielleicht schon in einer halben Stunde unser Urteil.«
»Ja, so wollen wir es machen. Aber, Otto, wenn es so schnell geht, werden wir auch schnell wieder getrennt, und vielleicht sehen wir uns nie wieder.«
»Bestimmt sehen wir uns – vorher noch wieder, Anna. Das hat man mir gesagt, wir dürfen noch Abschied nehmen voneinander. Bestimmt, Anna!«
»Dann ist es gut, Otto, dann habe ich doch was, auf das ich mich jede Stunde freuen kann. Und jetzt sitzen wir beisammen.«
Sie saßen nur noch eine Minute beisammen, dann wurde der Fehler entdeckt, und die beiden wurden weit auseinander gesetzt. Sie mussten den Kopf wenden, um einander zu sehen. Gottlob war es der Anwalt von Frau Quangel, der den Fehler entdeckte, ein freundlicher, grauer, etwas versorgter Mann, den das Gericht als Pflichtanwalt bestellt hatte, da Quangel dabei geblieben war, kein Geld an eine so nutzlose Sache wie ihre Verteidigung zu wenden.
Da der Anwalt den Fehler entdeckt hatte, ging es ohne alles Geschrei ab. Auch die beiden Schutzpolizisten hatten alle Ursache, den Mund zu halten, und so erfuhr der Präsident des Volksgerichtshofs, Feisler, nie, was hier Unverzeihliches geschehen war. Die Verhandlung hätte sonst wahrscheinlich noch viel länger gedauert.
62. Die Hauptverhandlung: Präsident Feisler
Der Präsident des Volksgerichtshofs, der höchste Richter im deutschen Lande zu jener Zeit, Feisler, hatte das Aussehen eines gebildeten Mannes. Er war, nach der Terminologie des Werkmeisters Otto Quangel, ein feiner Herr. Er wusste seinen Talar mit Anstand zu tragen, und das Barett verlieh seinem Haupt Würde, saß nicht sinnlos angeklebt darauf wie auf vielen anderen Köpfen. Die Augen waren klug, aber kalt. Er hatte eine hohe, schöne Stirn, aber der Mund war gemein, dieser Mund mit den harten, grausamen und doch wollüstigen Lippen verriet den Mann, einen Lüstling, der alle Genüsse dieser Welt gesucht hatte und der stets andere dafür hatte zahlen lassen.
Und die Hände mit ihren langen, knotigen Fingern waren gemein, Finger wie die Krallen eines Geiers – wenn er eine besonders verletzende Frage stellte, so krümmten sich diese Finger, als wühlten sie im Fleisch des Opfers. Und seine Art zu sprechen war gemein: dieser Mann konnte nie ruhig und sachlich sprechen, er hackte auf seine Opfer los, er beschimpfte sie, er sprach mit schneidender Ironie. Ein gemeiner Mensch, ein schlechter Mensch.
Seitdem Otto Quangel die Anklage zugestellt worden war, hatte er manches Mal mit Dr. Reichhardt, seinem Freunde, über diese Hauptverhandlung gesprochen. Auch der kluge Dr. Reichhardt war der Ansicht gewesen, da das Ende doch unabänderlich sei, solle Quangel von vornherein alles zugestehen, nichts vertuschen, nie lügen. Das würde diesen Leuten den Wind aus den Segeln nehmen, sie würden nicht lange mit ihm herumschimpfen können. Die Verhandlung würde dann nur kurz sein, man würde bestimmt auf eine Zeugenvernehmung verzichten.
Es war eine kleine Sensation, als beide Angeklagte auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie sich im Sinne der Anklage schuldig bekennten, mit einem einfachen »Ja« antworteten. Denn mit diesem Ja hatten sie sich selbst das Todesurteil gesprochen und jede weitere Verhandlung unnötig gemacht.
Einen Augenblick stutzte auch der Präsident Feisler, überwältigt von diesem kaum je gehörten Geständnis.
Aber dann besann er sich. Er wollte seine Verhandlung haben. Er wollte diese beiden Arbeiter im Dreck sehen, er wollte sie sich winden sehen unter seinen messerscharfen Fragen. Dieses Ja auf die Frage »Schuldig?« hatte Stolz gezeigt. Präsident Feisler sah es den Gesichtern im Zuhörerraum an, die teils verblüfft, teils nachdenklich aussahen, und er wollte den Angeklagten diesen Stolz nehmen. Sie sollten aus dieser Verhandlung ohne Stolz, ohne Würde hinausgehen.
Feisler fragte: »Sie sind sich klar darüber, dass Sie durch dieses Ja sich selbst das Leben abgesprochen haben, dass Sie sich selbst geschieden haben von allen anständigen Menschen? Dass Sie ein gemeiner, todeswürdiger Verbrecher sind, dessen Aas man am Halse aufhängen wird? Sie sind sich klar darüber? Antworten Sie mit Ja oder mit Nein!«
Quangel sagte langsam: »Ich bin schuldig, ich habe getan, was СКАЧАТЬ