Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Der versorgte graue Anwalt erhob sich eilig und sagte: »Ich bitte doch, bemerken zu dürfen, Herr Präsident, dass meine Mandantin …«
Der Präsident hackte wieder zu. »Ich nehme Sie in Strafe, Herr Rechtsanwalt«, sagte er, »ich nehme Sie sofort in Strafe, wenn Sie noch einmal, ohne aufgefordert zu sein, das Wort ergreifen! Setzen Sie sich!«
Der Präsident wendete sich wieder an Anna Quangel. »Nun, wie ist es mit Ihnen? Besinnen Sie sich auf den letzten Rest von Anständigkeit in Ihrer Brust, oder wollen Sie so etwas sein wie Ihr Mann, von dem wir jetzt schon wissen, dass er ein gemeiner Volksverräter ist? Sind Sie eine Verräterin Ihres Volkes in schwerer Notzeit? Haben Sie den Mut, den eigenen Sohn zu schänden? Ja oder nein?«
Anna Quangel sah ängstlich zögernd zu ihrem Mann hinüber.
»Sie haben mich anzusehen! Nicht diesen Hochverräter! Ja oder nein!«
Leise, aber deutlich: »Ja!«
»Sie sollen laut reden! Wir wollen es alle hören, dass eine deutsche Mutter sich nicht schämt, den Heldentod ihres eigenen Sohnes mit Schande zu bedecken!«
»Ja!«, sagte Anna Quangel laut.
»Unglaublich!«, rief Feisler. »Ich habe hier viel Trauriges und auch Grauenhaftes erlebt, aber eine solche Schande ist mir noch nicht vorgekommen! Sie müssten nicht gehängt, sondern entmenschte Bestien wie Sie müssten gevierteilt werden!«
Er sprach mehr zu den Hörern als zu den Quangels, er nahm die Anklagerede des Anklägers vorweg. Er schien sich zu besinnen (er wollte seine Verhandlung haben): »Aber meine schwere Pflicht als Oberster Richter gebietet es mir, mich nicht einfach mit Ihrem Schuldbekenntnis zu begnügen. So schwer es mir auch fällt und so aussichtslos es erscheint, meine Pflicht gebietet mir nachzuprüfen, ob es nicht doch vielleicht irgendwelche Milderungsgründe gibt.«
So begann es, und dann dauerte es sieben Stunden an.
Ja, der kluge Dr. Reichhardt in der Zelle hatte sich geirrt und Quangel mit ihm. Nie hatten sie damit gerechnet, dass der höchste Richter des deutschen Volkes die Verhandlung in einer so abgrundtiefen, so gemeinen Gehässigkeit führen werde. Es war, als hätten die Quangels ihn selbst, den Herrn Präsidenten Feisler, höchstpersönlich gekränkt, als sei ein kleiner, missgünstiger, nie verzeihender Mann in seiner Ehre beleidigt und lege es nun darauf an, seinen Gegner bis auf den Tod zu verletzen. Es war, als habe Quangel die Tochter des Präsidenten verführt, so persönlich war das alles, so himmelweit entfernt von aller Sachlichkeit. Nein, da hatten sich die beiden gewaltig geirrt, dieses Dritte Reich hatte für seinen tiefsten Verächter immer noch neue Überraschungen, es war über jede Gemeinheit hinaus gemein.
»Die Zeugen, Ihre anständigen Arbeitskameraden, haben ausgesagt, dass Sie von einem gradezu schmutzigen Geiz besessen waren, Angeklagter. Was haben Sie nun wohl in einer Woche verdient?«, fragte der Präsident etwa.
»Vierzig Mark habe ich in der letzten Zeit nach Haus gebracht«, antwortete Quangel.
»So, vierzig Mark, und da waren also die Abzüge, die Lohnsteuer und das Winterhilfswerk und die Krankenkasse und die Arbeitsfront, schon weg?«
»Die waren schon weg.«
»Das scheint mir aber ein ganz hübscher Verdienst zu sein für zwei alte Leute wie Sie, ja?«
»Wir sind damit ausgekommen.«
»Nein, Sie sind nicht damit ausgekommen! Sie lügen schon wieder! Sondern Sie haben noch regelmäßig gespart! Stimmt das oder stimmt das nicht?«
»Das stimmt. Meistens haben wir was zurückgelegt.«
»Wie viel haben Sie denn zurücklegen können jede Woche, im Durchschnitt?«
»Das kann ich so genau nicht sagen. Das war verschieden.«
Der Präsident ereiferte sich: »Im Durchschnitt, habe ich gesagt! Im Durchschnitt! Verstehen Sie nicht, was das heißt, im Durchschnitt? Und Sie schimpfen sich Handwerksmeister? Können nicht mal rechnen! Prachtvoll!«
Der Präsident Feisler schien es aber gar nicht prachtvoll zu finden, sondern er sah den Angeklagten empört an.
»Ich bin über fünfzig. Ich habe fünfundzwanzig Jahre gearbeitet. Die Jahre sind verschieden gewesen. Ich bin auch mal arbeitslos gewesen. Oder der Junge war krank. Ich kann keinen Durchschnitt sagen.«
»So? Das können Sie nicht? Ich will Ihnen sagen, warum Sie das nicht können! Sie wollen es nicht! Das ist eben Ihr schmutziger Geiz gewesen, von dem Ihre anständigen Arbeitskameraden sich mit Abscheu abgewandt haben. Sie haben Angst, wir könnten hier erfahren, wie viel Sie zusammengescharrt haben! Nun, wie viel ist es gewesen? Können Sie das auch nicht sagen?«
Quangel kämpfte mit sich. Der Präsident hatte wirklich eine schwache Stelle bei ihm gefunden. Wie viel sie tatsächlich gespart hatten, wusste nicht einmal Anna. Aber dann gab Quangel sich einen Ruck. Er warf auch das hinter sich. In den letzten Wochen hatte er so vieles hinter sich geworfen, warum nicht auch dies? Er löste sich ganz von dem Letzten, das ihn noch an sein altes Leben band, und sagte: »4763 Mark!«
»Ja«, wiederholte der Präsident und lehnte sich in seinen hohen Richterstuhl zurück. »4763 Mark und 67 Pfennige!« Er las die Zahl aus den Akten vor. »Und Sie schämen sich gar nicht, einen Staat zu bekämpfen, der Sie so viel hat verdienen lassen? Sie bekämpfen die Gemeinschaft, die so für Sie gesorgt hat?« Er steigerte sich. »Sie wissen nicht, was Dankbarkeit ist. Sie wissen nicht, was Ehre ist. Ein Schandfleck sind Sie! Sie müssen ausgetilgt werden!«
Und die Geierkrallen schlossen sich, öffneten sich wiederum und schlossen sich noch einmal, als zerfleische er Aas.
»Fast die Hälfte von dem Gelde hatte ich schon vor der Machtergreifung gespart«, sagte Quangel.
Jemand im Zuschauerraum lachte, verstummte aber sofort СКАЧАТЬ