Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Der bucklige Ulrich Heffke sang ganz hoch und rein: »Du bist ein Mensch, das weißt du wohl, was strebst du denn nach Dingen …«
Aber zum Abendessen zu bleiben, lehnten Quangels schlichtweg ab. Ja, es sei sehr schön gewesen, aber nun müssten sie unbedingt nach Haus. Otto habe noch etwas zu erledigen. Und es gehe ja schon nicht wegen der Lebensmittelkarten, sie wüssten doch auch, wie das wäre. Allen Versicherungen der Heffkes zum Trotz, einmal gehe das schon, man feiere ja nicht jeden Sonntag Geburtstag und es sei wirklich alles vorbereitet, sie sollten nur selbst in die Küche sehen – all diesen Versicherungen zum Trotz blieben die Quangels dabei, sie müssten gehen.
Und sie gingen auch wirklich, obwohl die Heffkes entschieden gekränkt waren.
Auf der Straße sagte Anna: »Hast du gesehen, der Ulrich ist eingeschnappt und seine Frau auch …«
»Lass sie ruhig eingeschnappt sein! Dies war ja sowieso unser letzter Besuch!«
»Aber es war diesmal sehr nett, das findest du doch auch, Otto?«
»Sicher. Bestimmt. Der Schnaps hat viel dazu getan …«
»Und Ulrich hat so schön gesungen – fandest du es nicht auch schön?«
»Ja, sehr schön. Ein komischer Peter. Ich bin sicher, er betet jeden Abend im Bett noch zum lieben Gott.«
»Lass ihn doch, Otto! Solche Frommen haben es heutzutage leichter. Sie haben doch einen, an den sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Und sie glauben, dass all dieses Morden einen Sinn hat.«
»Danke!«, sagte Quangel plötzlich böse. »Sinn! Das ist doch alles Unsinn! Weil die an den Himmel glauben, wollen sie auf der Erde nichts ändern. Immer nur kriechen und sich drücken! Im Himmel wird ja alles wieder gut. Gott weiß ja, warum es geschieht. Am Jüngsten Tag werden wir das alles schon erfahren! Nein, danke.«
Quangel hatte hastig und sehr böse gesprochen. Der ungewohnte Alkohol tat seine Wirkung in ihm. Plötzlich blieb Quangel stehen. »Das ist das Haus!«, sagte er plötzlich. »Da will ich rein! Gib mir eine Karte, Anna!«
»O nein, Otto. Tu das nicht! Wir hatten doch abgemacht, heute wollten wir nichts mehr tun. Es ist doch ein schlechter Tag heute!«
»Nicht mehr, jetzt nicht mehr. Gib die Karte, Anna!«
Sie gab sie ihm zögernd. »Wenn es nur nicht schiefgeht, Otto. Ich habe solche Angst …«
Aber er achtete nicht auf ihre Worte, er war schon gegangen.
Sie wartete. Aber diesmal brauchte sie sich nicht lange zu ängstigen, Otto kam schnell wieder.
»So«, sagte er und hakte sie unter. »Das wäre erledigt. Siehst du, wie einfach das ging? Man soll auf diese Vorahnungen nichts geben.«
»Gottlob!«, sagte Anna.
Aber sie hatten kaum die paar Schritte zum Nollendorfplatz hin gemacht, da stürzte ein Herr auf sie zu. In der Hand hielt er die Quangel’sche Karte.
»Sie! Sie!«, schrie er wahnsinnig aufgeregt. »Sie haben da eben diese Karte bei mir auf den Flur gelegt! Ich hab Sie genau gesehn! Genau gesehn! Polizei! Hallo! Schutzmann!«
Und er schrie immer lauter. Die Menschen liefen um sie zusammen, ein Schupo kam eilig über den Damm.
Es war kein Zweifel: Das Spiel stand plötzlich gegen die Quangels. Nachdem der Werkmeister über zwei Jahre lang erfolgreich gearbeitet hatte, war plötzlich das Glück gegen ihn. Ein Misserfolg nach dem anderen. Hierin behielt der ehemalige Kommissar Escherich recht: man kann nicht immer mit Glück spielen, man muss auch das Unglück einkalkulieren. Das hatte Otto Quangel vergessen. Er hatte nie an all die kleinen, widrigen Zufälle gedacht, die das Leben stets bereithält, die man nicht voraussehen kann und mit denen man doch rechnen muss.
In diesem Fall war der Zufall in der Gestalt eines kleinen, rachsüchtigen Beamten aufgetreten, der seinen freien Sonntag dazu benutzt hatte, die Mieterin über ihm zu bespitzeln. Er hatte einen Zorn auf sie, weil sie morgens lange schlief, stets in Männerhosen herumlief und abends bis lange nach Mitternacht das Radio laufen ließ. Er hatte sie im Verdacht, »Kerle« in ihre Wohnung mitzunehmen. Wenn das stimmte, würde er sie im ganzen Hause unmöglich machen. Er würde zum Wirt gehen und ihm sagen, dass solche Nutte unmöglich weiter in einem anständigen Hause wohnen könne.
Er hatte schon über drei Stunden geduldig hinter dem Guckloch der Tür gelauert, als statt seiner Obermieterin Otto Quangel die Treppe hinaufgekommen war. Er hatte gesehen, mit seinen eigenen Augen hatte er es gesehen, wie Quangel die Karte auf einer Treppenstufe niederlegte – er tat das manchmal, wenn die Treppenfenster keine Fensterbänke hatten.
»Ich habe es gesehen, mit meinen eigenen Augen habe ich es gesehen!«, schrie der Aufgeregte den Wachtmeister an und schwenkte die Karte. »Lesen Sie hier bloß mal, Herr Wachtmeister! Das ist ja Hochverrat! Der Kerl gehört an den Galgen!«
»Schreien Sie doch bloß nicht so!«, sagte der Schupo missbilligend. »Sie sehen doch, der andere Herr ist ganz ruhig. Der läuft schon nicht weg. Nun, war es so, wie der Herr sagt?«
»Blödsinn!«, antwortete Otto Quangel böse. »Er hat mich verwechselt. Ich habe eben meinen Schwager zum Geburtstag besucht, in der Goltzstraße. Hier in der Maaßenstraße habe ich kein Haus betreten. Fragen Sie mal meine Frau …«
Er sah sich suchend um. Eben drängte sich Anna wieder durch den dichten Kreis der Neugierigen. Sie hatte sofort an die zweite Karte in ihrer Handtasche gedacht. Sie musste sie auf der Stelle loswerden, das war das Wichtigste. Sie hatte sich durch die Leute geschoben, hatte einen Briefkasten gesehen und ganz unauffällig – alle sahen nur auf den schreienden Ankläger – die Karte in den Kasten gesteckt.
Nun stand sie wieder bei ihrem Mann und lächelte СКАЧАТЬ