Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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»Nein, nichts! Aber wir werden unentdeckt durchkommen, Otto, ich fühle das!«
»Siehst du, Anna«, sagte er, ohne auf ihre letzte Versicherung zu achten. »Das wollte ich hören. Wir werden nie etwas bereuen. Wir werden zu dem stehen, was wir getan haben, auch wenn sie uns sehr quälen.«
Sie sah ihn an, sie versuchte, ein Zittern zu unterdrücken. Vergeblich. »Ach, Otto!«, rief sie schluchzend. »Warum musst du so reden? So ziehst du das Unglück ja nur auf uns. Nie hast du noch so geredet!«
»Ich weiß nicht, warum ich so heute mit dir reden muss«, sagte er und ging von dem Bücherbrett fort. »Ich muss es, einmal. Wahrscheinlich werde ich nie wieder mit dir darüber sprechen. Aber einmal musste ich es. Denn du musst wissen, wir werden dann sehr allein sein in unsern Zellen, ohne ein Wort zueinander, die wir viel über zwanzig Jahre nicht einen Tag ohne das andere gelebt haben. Es wird uns sehr schwerfallen. Aber wir werden voneinander wissen, dass keines je schlappmacht, dass wir uns aufeinander verlassen können, wie im ganzen Leben, so auch im Tode. Wir werden auch allein sterben müssen, Anna.«
»Otto, du sprichst, als wäre es schon so weit! Und wir sind doch ganz frei und außer Verdacht. Wir könnten jeden Tag damit aufhören, wenn wir wollten …«
»Aber wollen wir? Können wir überhaupt wollen?«
»Nein, ich sage nicht, dass wir aufhören wollen. Ich will’s nicht, das weißt du! Aber ich will auch nicht, dass du sprichst, als hätten sie uns schon gefasst und als bliebe uns nur noch das Sterben. Ich will noch nicht sterben, Otto, ich möchte mit dir leben!«
»Wer will denn sterben?«, fragte er. »Alle wollen sie doch leben, alle, alle – auch das armseligste Würmlein schreit nach Leben. Auch ich will noch leben. Aber es ist vielleicht gut, Anna, schon im ruhigen Leben an ein schweres Sterben zu denken, sich darauf vorzubereiten. Dass man weiß, man wird anständig sterben können, ohne Gewimmer und Geschrei. Das fände ich ekelhaft …«
Eine Weile war es still.
Dann sagte Anna Quangel leise: »Du kannst dich auf mich verlassen, Otto. Ich werde dir schon keine Schande machen.«
1 August Franz Anton Hans Fritzsche war ein deutscher Journalist und bekleidete verschiedene Funktionen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. <<<
37. Der Sturz des Kommissars Escherich
In dem Jahr, das auf den »Selbstmord« des kleinen Enno Kluge gefolgt war, hatte der Kommissar Escherich ein verhältnismäßig ruhiges Leben führen können, nicht gar zu belästigt durch die Ungeduld seiner Vorgesetzten. Damals, als dieser Selbstmord gemeldet worden war, als ersichtlich wurde, dass der schmächtige Mann sich allen Verhören durch Gestapo und SS entzogen hatte, gab es natürlich bei Obergruppenführer Prall Gewitter über Gewitter. Aber das legte sich mit der Zeit, die Spur war endgültig kalt geworden, nun musste auf eine neue Spur gewartet werden.
Im Übrigen war dieser Klabautermann nicht mehr so wichtig. Die sture Monotonie, mit der er Karten immer gleichen Inhalts schrieb, die niemand las, niemand lesen wollte und die alle Leute in Verlegenheit oder Angst stürzten, ließ ihn nur lächerlich und dumm erscheinen. Wohl piekte Escherich noch brav seine Fähnchen in den Stadtplan von Berlin. Mit einiger Befriedigung sah er, dass sie nördlich vom Alexanderplatz immer dichter wurden – da musste der Vogel sein Nest haben! Und dann diese auffällige Ansammlung von fast zehn Fähnchen südlich vom Nollendorfplatz – auch dort musste der Klabautermann regelmäßig, wenn auch in großen Zeitabständen hinkommen. Das alles würde sich eines Tages schon noch befriedigend aufklären …
Du kommst uns schon! Du kommst uns immer näher, unvermeidlich!, kicherte der Kommissar und rieb sich die Hände.
Aber dann ging er wieder zu seinen anderen Arbeiten über. Es gab wichtigere und dringendere Fälle. Eine Art Wahnsinniger, ein überzeugter Nazi, wie er sich titulierte, war gerade sehr aktuell, er tat nichts, als alle Tage dem Minister Goebbels einen grob beleidigenden, oft pornografischen Brief zu schreiben. Zuerst hatten diese Briefe den Minister amüsiert, später irritiert, dann hatte er getobt und sein Opfer verlangt. Seine Eitelkeit war tödlich verletzt.
Nun, Kommissar Escherich hatte Glück gehabt, er hatte den Fall »Schweinigel«, wie er ihn getauft hatte, binnen heute und einem Vierteljahr erledigen können. Der Briefschreiber, der übrigens wirklich in der Partei war und sogar altes Parteimitglied, war zu Herrn Minister Goebbels gebracht worden, und damit konnte Escherich den Fall ad acta legen. Er wusste, er würde nie wieder etwas von »Schweinigeln« hören. Der Minister vergaß nie eine ihm angetane Kränkung.
Dann kamen andere Fälle – vor allem der jenes Mannes, der an prominente Leute Enzykliken des Papstes und Radioansprachen von Thomas Mann versandte, echte und gefälschte. Ein geschickter Bursche, dieser Mann – es war nicht ganz einfach gewesen, ihn zu kriegen. Aber schließlich hatte Escherich ihn doch für die Hinrichtungszelle in der Plötze reif machen können.
Und dieser kleine Prokurist, der plötzlich größenwahnsinnig geworden war, der sich zum Generaldirektor eines nicht existierenden Stahlwerks gemacht hatte und der vertrauliche Briefe nicht nur an andere Direktoren tatsächlich existierender Werke schrieb, sondern auch an den Führer, die über den alarmierenden Stand der deutschen Rüstungsindustrie Einzelheiten mitteilten, die oft nicht erfunden sein konnten. Nun, dieser Vogel war verhältnismäßig leicht zu fangen gewesen; der Kreis der Leute, die solche Informationen besaßen wie der Briefschreiber, war verhältnismäßig klein.
Ja, Kommissar Escherich hatte einige bedeutsame Erfolge gehabt; in den Kollegenkreisen munkelte man schon, er werde bald außer der Reihe aufrücken. Es war ein ganz erfreuliches Jahr gewesen, dieser Zeitraum seit dem Selbstmord des kleinen Kluge; der Kommissar Escherich war zufrieden.
Aber dann kam eine Zeit, da standen die Vorgesetzten Escherichs plötzlich wieder vor dem Stadtplan Klabautermann still. Sie ließen sich die Fähnchen erklären, СКАЧАТЬ