Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
isbn:
Wenn er jetzt in der Werkstatt an eine Gruppe Schwatzender herantrat, so wünschte er manchmal, wenn sie von Politik sprachen, sie möchten nicht so schnell auseinandergehen. Er hörte jetzt gerne, was andere über den Krieg sagten.
Aber sie versanken sofort in mürrisches Schweigen, es war sehr gefährlich geworden, zu schwatzen. Der vergleichsweise harmlose Tischler Dollfuß war längst abgelöst worden; wer sein Nachfolger war, konnte Quangel nur mutmaßen. Elf seiner Leute, darunter zwei Männer, die schon über zwanzig Jahre in der Möbelfabrik gearbeitet hatten, waren spurlos verschwunden, mitten aus der Arbeit heraus, oder sie kamen eines Morgens nicht mehr. Nie wurde gesagt, wo sie geblieben waren, und das war ein Beweis mehr dafür, dass sie irgendwann einmal ein Wort zu viel gesprochen hatten und darum ins KZ gewandert waren.
Statt dieser elf Mann waren neue Gesichter aufgetaucht, und oft fragte sich der alte Werkmeister, ob nicht alle diese elf Spitzel waren, ob nicht überhaupt die eine Hälfte der Belegschaft die andere belauerte und umgekehrt. Die Luft stank nach Verrat. Keiner konnte dem anderen noch trauen, und in dieser schrecklichen Atmosphäre schienen die Leute immer mehr gegen alles abzustumpfen, wurden nur noch zu Teilen der Maschinen, die sie bedienten.
Aber manchmal flammte dann aus dieser Dumpfheit ein schrecklicher Zorn hoch, so wie damals, als ein Arbeiter den Arm gegen die Säge gepresst und dabei geschrien hatte: »Verrecken soll der Hitler! Und er wird verrecken! So wahr ich mir meinen Arm absäge!«
Sie hatten diesen Wahnsinnigen nur schwer aus der Maschine reißen können, und natürlich hatten sie nie wieder etwas von ihm gehört. Wahrscheinlich war er längst tot, hoffentlich war er das! Ja, man musste verflucht vorsichtig sein, nicht jeder stand so unbeargwohnt da wie dieses alte, stumpf gewordene Arbeitstier Otto Quangel, den nur noch zu interessieren schien, ob sie auch ihr Tagesquantum Särge schafften. Ja, Särge! Von den Bombenkisten waren sie zu Särgen hinabgesunken, elenden Dingern aus billigstem, dünnstem Ausschussholz, braunschwarz angeschmiert. Sie stellten Tausende und Zehntausende von diesen Särgen her, Güterzüge, einen Bahnhof voll von Güterzügen, viele Bahnhöfe voll!
Quangel, seinen Kopf achtsam nach jeder Maschine gereckt, dachte oft an all die vielen Leben, die in diesen Särgen zu Grabe getragen werden würden, hingemordetes Leben, nutzlos hingemordetes Leben, sei es nun, dass diese Särge für die Opfer der Bombenangriffe bestimmt waren, also hauptsächlich für alte Leute, für Mütter und Kinder …, oder sei es wahr, dass diese Särge in die KZs wanderten, jede Woche ein paar tausend Stück, für Männer, die ihre Überzeugung nicht hatten verbergen können oder sie nicht verbergen wollten, jede Woche ein paar tausend Särge in ein einziges KZ. Oder vielleicht traten diese Güterzüge mit Särgen wirklich den weiten Weg an die Fronten an – obwohl Otto Quangel das eigentlich nicht glauben wollte, denn was kümmerten die sich um tote Soldaten! Ein toter Soldat war ihnen nicht mehr wert als ein toter Maulwurf.
Das kalte Vogelauge blinkt im elektrischen Licht hart und böse, ruckweise bewegt sich der Kopf, der schmallippige Mund ist fest zusammengepresst. Von dem Aufruhr, dem Abscheu, die in dieses Mannes Brust leben, ahnt niemand etwas, aber er weiß, er hat noch viel zu tun, er weiß, dass er zu einer großen Aufgabe berufen ist, und er schreibt nun nicht mehr nur am Sonntag. Er schreibt auch wochentags vor dem Arbeitsbeginn. Seit dem Überfall auf Russland schreibt er auch dann und wann Briefe, die ihn zwei Tage Arbeit kosten, aber sein Zorn muss sich Luft machen.
Quangel gesteht es sich ein, er arbeitet nicht mehr mit der alten Vorsicht. Er ist denen nun schon zwei Jahre glücklich entgangen, nie ist der geringste Verdacht auf ihn gefallen, er fühlt sich ganz sicher.
Eine erste Warnung ist ihm da die Begegnung mit Trudel Hergesell. Statt ihrer hätte auch jemand anders auf der Treppe stehen und ihn beobachten können, und dann war es um ihn und Anna geschehen. Nein, es kam weder auf ihn noch auf Anna an; es kam allein darauf an, dass diese Arbeit getan wurde, heute und alle Tage weiter. Im Interesse dieser Arbeit musste er hier vorsichtiger werden. Dass ihn die Trudel da auf der Treppe beim Ablegen der Karte beobachtet hatte, das war bösester Leichtsinn von ihm gewesen.
Und dabei ahnte Otto Quangel nicht, dass der Kommissar Escherich zu diesem Zeitpunkt bereits von zwei Seiten eine Beschreibung seiner Person bekommen hatte. Schon zweimal vorher war Otto Quangel beim Ablegen der Karten beobachtet worden, beide Male von Frauen, die dann neugierig die Karten aufgenommen hatten, aber nicht schnell genug Alarm riefen, um den Täter noch im Hause zu fassen.
Ja, Kommissar Escherich besaß jetzt bereits zwei Personalbeschreibungen des Kartenablegers. Es war nur zu bedauern, dass diese Beschreibungen fast in allen Punkten voneinander abwichen. Nur in einem Punkt waren sich beide Beobachterinnen einig, dass das Gesicht des Täters ganz ungewöhnlich ausgesehen habe, gar nicht wie bei anderen Menschen. Aber als Escherich dieses ungewöhnliche Gesicht näher geschildert wissen wollte, stellte sich heraus, dass die beiden Frauen entweder nicht beobachten konnten oder ihre Beobachtungen nicht in Worte zu kleiden wussten. Sie konnten beide nichts weiter sagen, als dass der Täter wie ein richtiger Verbrecher ausgesehen habe. Befragt, wie ein richtiger Verbrecher ihrer Ansicht nach aussähe, zuckten sie die Achseln und meinten, das müssten doch die Herren am besten wissen.
Quangel hatte lange geschwankt, ob er diese Begegnung mit Trudel der Anna erzählen sollte oder nicht. Aber er entschloss sich dann doch dazu: er wollte nicht das kleinste Geheimnis vor ihr haben.
Und sie hatte auch ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren, wenn auch die Gefahr, dass durch Trudel etwas verraten wurde, ganz gering war, auch von einer ganz geringen Gefahr musste Anna wissen. Er erzählte es ihr also, genau wie es geschehen war, ohne seinen Leichtsinn zu beschönigen.
Es war bezeichnend für Anna, wie sie reagierte. Die Trudel und ihre Verheiratung und das erwartete Kind interessierten sie gar nicht, aber sie flüsterte, sehr erschrocken: »Aber denke doch, Otto, wenn da ein anderer gestanden hätte, einer von der SA!«
Er lächelte verächtlich: »Es hat aber kein anderer da gestanden! Und von jetzt an bin ich wieder vorsichtig!«
Aber СКАЧАТЬ