Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Joseph Conrad - Джозеф Конрад страница 49

Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

isbn:

СКАЧАТЬ Kommissar sprach leise, wie tastend. Er schien in Gedanken auf jedem Wort zu verweilen, bevor er zum nächsten überging, als wären die Worte die Stufen der Treppe, auf der sein Verstand sich aus den Wassern des Irrtums emporarbeitete. »Außer etwa Sie hätten etwas Wichtiges aus Greenwich gebracht?« fügte er hinzu.

      Der Hauptinspektor begann sofort mit einem streng sachlichen Bericht über seine Untersuchung. Sein Vorgesetzter drehte den Stuhl ein wenig, kreuzte seine dünnen Beine und stützte sich seitwärts auf einen Ellenbogen, indem er die Augen mit einer Hand bedeckte. Seine Lauscherstellung entbehrte nicht einer gewissen eckigen, bekümmerten Anmut. Sein ebenholzschwarzes Haar zeigte an den Schläfen einen Glanz wie von oxydiertem Silber, als er schließlich den Kopf neigte.

      Inspektor Heat wartete stumm, und es sah aus, als überdächte er das Gesagte noch einmal, hielte es aber für unangebracht, mehr zu sagen. Der Kommissar unterbrach sein Zögern mit der Frage:

      »Sie glauben, daß es zwei Männer waren?«

      Der Inspektor hielt das für mehr als wahrscheinlich. Seiner Meinung nach hatten sich die beiden Männer etwa hundert Meter vor dem Observatorium getrennt. Er erklärte auch, wie der andere Mann aus dem Park entflohen sein konnte, ohne beachtet zu werden. Der Nebel hatte ihm geholfen, obwohl er nicht allzu dicht war. Scheinbar hatte er den anderen Mann bis an Ort und Stelle geführt und ihn dann verlassen, um die Tat allein zu vollbringen. Hielt man gegeneinander, wann die alte Frau die beiden aus Maze Hill Station kommen gesehen hatte und wann der Knall gehört worden war, so glaubte der Inspektor annehmen zu können, daß der zweite Mann Greenwich Park Station und den nächsten Zug zur Stadt erreicht haben konnte, als sein Genosse gerade in Stücke flog.

      »Richtig in Stücke, wie?« murmelte der Kommissar unter der schirmenden Hand hervor.

      Der Inspektor beschrieb in wenigen kräftigen Worten den Anblick der Überbleibsel. »Der Leichenbeschauer wird’s nicht leicht haben«, fügte er grimmig hinzu.

      Der Kommissar gab seine Augen frei. »Wir werden ihn gar nicht kommen lassen«, meinte er langsam.

      Er sah auf und beobachtete geraume Zeit die betont verschlossene Haltung seines Inspektors. Er war im allgemeinen nicht geneigt, sich Illusionen zu machen, und wußte gut, daß eine Abteilung auf die Gnade ihrer Untergebenen angewiesen ist, die ihren eigenen Begriff von Diensteifer haben. Er hatte seine Laufbahn in einer tropischen Kolonie begonnen. Die Arbeit dort hatte ihm Freude gemacht. Es war Polizeiarbeit gewesen. Er hatte mit großem Erfolg gewisse gefährliche geheime Gesellschaften unter den Eingeborenen aufgespürt und unschädlich gemacht. Dann hatte er großen Heimatsurlaub genommen und sich etwas überstürzt verheiratet. Rein äußerlich betrachtet war es eine gute Verbindung, nur bildete sich seine Frau vom Hörensagen eine ungünstige Meinung von dem kolonialen Klima. Andererseits hatte sie einflußreiche Beziehungen. Es war eine ausgezeichnete Verbindung. Die Arbeit aber, die er nun zu tun hatte, machte ihm keine Freude. Er fühlte sich von zu vielen Untergebenen und von zu vielen Vorgesetzten abhängig. Die nahe Gegenwart des eigenartigen Gefühlsmomentes, das man die öffentliche Meinung nennt, drückte auf sein Gemüt und beunruhigte ihn durch seine Unberechenbarkeit. Zweifellos übertrieb er aus Unkenntnis die Tragweite dieses Momentes im Guten wie ihm Bösen – besonders im Bösen; und die rauhen Ostwinde des englischen Frühlings (die seiner Frau so zusagten) vermehrten sein allgemeines Mißtrauen gegen die menschlichen Beweggründe und gegen die Wirksamkeit menschlicher Einrichtungen. Ganz besonders erschien ihm die Bureauarbeit durchaus nichtig, in diesen Tagen, die ihn fortwährend an seine empfindliche Leber gemahnten.

      Er stand langsam auf, indem er sich zu seiner vollen Höhe entfaltete, und trat mit einem Schritt, dessen Wucht an dem schlanken Mann verwunderlich schien, zum Fenster hin. An den Scheiben rann der Regen nieder, und die kurze Straße, in die er hinuntersah, lag naß und leer, wie von einer plötzlichen Flut reingespült. Es war ein böser Tag, der mit rauhem Nebel begonnen hatte und nun mit kaltem Regen endete. Die kümmerlichen Gasflammen flackerten im Wasserdunst. Und jede Auflehnung eines bedrückten Menschenkindes gegen das elende Wetter erschien hoffnungslos überheblich und aller Verachtung und erstaunten Mitleids wert.

      »Schrecklich, schrecklich!« dachte der Kommissar, während er die Stirne gegen die Scheiben drückte. »Jetzt haben wir diese Bescherung schon seit zehn Tagen. Nein, seit vierzehn – vierzehn Tagen.« Er blieb eine Zeitlang völlig gedankenlos. Die gänzliche Leere in seinem Hirn hielt etwa drei Sekunden an. Dann warf er nachlässig hin: »Haben Sie nach diesem zweiten Mann umfassende Nachforschungen eingeleitet?«

      Er zweifelte nicht, daß alles Erforderliche geschehen war. Inspektor Heat beherrschte die Kunst der Menschenjagd von Grund auf, und überdies handelte es sich hier um herkömmliche Schritte, die ohne weiters von jedem Anfänger getan worden wären. Einige Nachfragen unter Fahrkartensammlern und den Türhütern der beiden kleinen Bahnstationen würden dem schon gegebenen Bilde der beiden Männer noch einige Züge hinzufügen. Die Durchsicht der gesammelten Fahrkarten mußte sofort ergeben, woher sie an jenem Morgen gekommen waren. Das alles lag so klar auf der Hand, daß es bestimmt nicht versäumt worden war. Ganz wie erwartet, bekundete der Inspektor auch, daß all dies sofort veranlaßt worden war, nachdem die alte Frau ihre Aussage gemacht hatte. Er nannte den Namen einer Station. »Daher sind sie gekommen, Herr«, fuhr er fort. »Der Beamte an der Sperre, der in Maze Hill die Fahrkarten abnahm, erinnerte sich an zwei Burschen, auf die die Beschreibung paßte. Er hielt sie für zwei bessere Handwerker, Schildermaler oder Anstreicher. Der große Mann stieg nach rückwärts aus einem Abteil dritter Klasse aus, mit einer großen Blechkanne in der Hand. Auf dem Bahnsteig gab er sie einem blonden Jungen zu tragen, der hinter ihm dreinkam. All dies stimmt genau mit dem überein, was die alte Frau dem Schutzmann in Greenwich angab.«

      Der Kommissar, der immer noch aus dem Fenster hinaussah, drückte Zweifel darüber aus, daß diese beiden Männer irgend etwas mit dem Anschlag zu tun haben sollten. Die ganze Annahme war auf den Aussagen eines alten Hökerweibes aufgebaut, das von einem davonstürzenden Mann fast umgerannt worden war. Die Quelle war nicht besonders vertrauenswürdig, wenn man nicht an plötzliche Erleuchtung glauben wollte, was doch auch schwer denkbar schien.

      »Ganz ehrlich – glauben Sie an eine Erleuchtung?« fragte er ironisch, immer mit dem Rücken zum Zimmer und wie verloren in die Betrachtung der unendlichen Stadt, deren Umrisse in der Dämmerung verschwammen. Er wandte nicht einmal den Kopf, als er hinter sich das Wort »Vorsehung« hörte, das sein erster Untergebener vor sich hinmurmelte, der Mann, dessen Name gelegentlich in den Tagesblättern erschien und dem großen Publikum vertraut war als der eines seiner eifrigsten und schwerstarbeitenden Beschützer. Inspektor Heat hob ein wenig die Stimme: »Ich konnte kleine Blechsplitter mit Bestimmtheit feststellen«, sagte er. »Das ist wohl eine starke Bekräftigung.«

      »Und die Leute kamen von der kleinen Dorfstation«, grübelte der Kommissar halblaut vor sich hin. Man hatte ihm gesagt, daß der Name dieser Station auf zweien von den drei Fahrkarten gestanden war, die bei jenem Zug in Maze Hill abgegeben worden waren. Die dritte hatte einem Hausierer aus Gravesend gehört, der dem Beamten gut bekannt war. Der Inspektor machte diese Angabe in abschließendem Tone, mit ein wenig übler Laune, wie ergebene Diener sie gerne zeigen, im Bewußtsein ihrer Treue und des Wertes ihrer Dienstleistung. Und dennoch kehrte sich der Kommissar nicht ab von der Dunkelheit draußen, die endlos war wie die See.

      »Zwei fremde Anarchisten aus dem kleinen Ort«, sagte er wie zu der Fensterscheibe. »Das ist wohl recht unwahrscheinlich.«

      »Jawohl, Herr. Aber es wäre noch unwahrscheinlicher, wenn nicht der Michaelis in einem Landhaus in der Nachbarschaft säße.«

      Beim Klang dieses Namens, der unerwartet in die langweilige Geschichte hineinplatzte, ließ der Kommissar unvermittelt den Gedanken an die abendliche Whistpartie in seinem Klub fallen. Dies war die tröstlichste seiner Lebensgewohnheiten, wobei er sein Geschick ohne die Unterstützung von Untergebenen entfalten konnte. СКАЧАТЬ