Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ der Zug durchgefahren war«, fuhr er langsam fort. »Sie konnte nicht sehen, ob sie zusammengehörten. Von dem Größeren hatte sie keinen Eindruck, aber der andere war ein blonder, schmächtiger Kerl, der eine Blechkanne in der Hand trug.«

      Der Schutzmann verstummte. »Kennen Sie die Frau«, mummelte der Inspektor, die Augen auf den Tisch gerichtet, in der unklaren Erkenntnis, daß er nun eine Untersuchung über einen Menschen anzustellen haben würde, der aller Voraussicht nach unerkannt bleiben mußte.

      »Jawohl. Sie ist Haushälterin bei einem pensionierten Steuereinnehmer und besucht gelegentlich die Kapelle am Parkplatz«, gab der Schutzmann gewichtig an und verstummte abermals, mit einem Blick nach dem Tisch. Dann plötzlich: »Nun also, hier ist er, alles, was ich von ihm finden konnte. Blond. Schmächtig – schmächtig genug. Sehen Sie sich den Fuß da an. Ich hob die Beine zuerst auf, eins nach dem anderen. Er war so verstreut, daß man nicht wußte, wo man anfangen sollte.«

      Der Schutzmann hielt inne, und der Glanz eines unschuldigen, selbstgefälligen Lächelns verlieh seinem Gesicht einen kindlichen Ausdruck.

      »Er ist gestolpert«, erklärte er mit Bestimmtheit; »ich stolperte selbst einmal und stieß mir den Kopf an, während ich hinrannte. Die Wurzeln stehen überall heraus. Ist über eine Wurzel gestolpert und hingefallen, der Kerl, und das Ding, das er trug, ist ihm gerade unter der Brust losgegangen, denke ich mir.«

      Es beunruhigte den Inspektor beträchtlich, daß das Echo der Worte »Person unbekannt« in ihm nicht zur Ruhe kommen wollte. Er hätte schon aus persönlichem Wissensdurst die Angelegenheit bis zu ihrem geheimnisvollen Ursprung zurück verfolgen mögen. Er war neugierig von Beruf, auch hätte er gerne vor der Öffentlichkeit die Person des Täters festgestellt, um damit die Tüchtigkeit seiner Abteilung zu beweisen. Er war ein getreuer Diener des Staates. Nun stand er vor einer Unmöglichkeit. Der Anfang der Fährte war heillos verwischt und erlaubte keinerlei Schluß, außer dem auf unsinnige Grausamkeit.

      Inspektor Heat überwand seinen Ekel und streckte, ohne Überzeugung, nur zur Beruhigung seines Gewissens, die Hand nach dem am wenigsten besudelten Fetzen aus. Es war ein schmaler Streifen Samt, von dem ein etwas größeres Dreieck blauen Tuchs herunterhing. Er hielt es an die Augen und der Schutzmann sprach:

      »Samtkragen. Doch komisch, daß die alte Frau den Samtkragen bemerkt hat. Dunkelblauer Überrock mit Samtkragen, hat sie uns gesagt. Das hier ist der Kerl, den sie gesehen hat, kein Zweifel; und er ist ganz vollzählig hier, mit Samtkragen und allem. Ich glaube nicht, daß ich auch nur ein Stückchen so groß wie eine Briefmarke hinten ließ.«

      Hier hörte die geschulte Untersuchungsgabe des Hauptinspektors auf, der Stimme des Schutzmanns Gehör zu schenken. Er trat an eines der Fenster, um besser zu sehen. Sein Gesicht, vom Zimmer abgewandt, drückte Überraschung aus, während er das Stückchen Tuch untersuchte. Er riß es mit einem plötzlichen Ruck ab und wandte sich erst, nachdem er es in der Tasche verborgen hatte, wieder ins Zimmer, um den Samtkragen auf den Tisch zurück zu werfen.

      »Zudecken«, wies er die Wärter kurz an, ohne nochmals hinzusehen, und entfernte sich hastig mit seiner Beute, von dem Schutzmann gegrüßt.

      Er kam gerade zu einem Zug zurecht und fuhr in einem Abteil dritter Klasse, allein und in tiefe Gedanken versunken, zur Stadt. Dieses versengte Stückchen Tuch war unglaublich wertvoll, und er konnte ein lebhaftes Erstaunen darüber nicht verbergen, wie zufällig es in seine Hände gekommen war. Es war, als hätte das Schicksal selbst ihm einen Schlüssel bieten wollen. Und nach der Art des Durchschnittsmenschen, dessen Ehrgeiz es ist, das Schicksal zu lenken, begann er dem mühelosen Zufallserfolg zu mißtrauen – gerade weil er ihm so in den Schoß zu fallen schien.

      In dieser geistigen Verfassung, mit leerem Magen und mit einem Rest von Übelkeit wegen des gehabten Anblicks, war er mit dem Professor zusammengetroffen. Unter solchen Bedingungen, die einen gesunden Durchschnittsmann wohl zum Jähzorn geneigt machen konnten, war das Zusammentreffen für Hauptinspektor Heat besonders unerfreulich. Er hatte an den Professor nicht gedacht; er hatte überhaupt an keinen einzelnen Anarchisten gedacht. Der verwickelte Fall hatte ihm irgendwie die Torheit aller menschlichen Dinge zum Bewußtsein gebracht, was ja schon ganz allgemein für ein unphilosophisches Temperament recht langweilig, im Einzelfall aber geradezu unerträglich sein kann. Zu Beginn seiner Laufbahn war Hauptinspektor Heat mit den auffallenderen Formen von Diebstahl befaßt gewesen. Dabei hatte er sich die Sporen verdient, und begreiflicherweise auch nach seiner Versetzung in eine andere Abteilung für seinen ersten Wirkungskreis ein Gefühl bewahrt, das nahe an Zuneigung grenzte. Diebstahl war kein blanker Unsinn. Er war eine Erscheinungsform menschlichen Erwerbsfleißes, wohl verkehrt, aber doch Erwerb in einer auf Erwerb gestellten Welt. Es war Arbeit, geleistet aus denselben Gründen, wie die Arbeit in Töpfereien, Kohlenbergwerken, auf dem Acker oder in der Fabrik. Eine Arbeit, die sich von den anderen Formen von Arbeit hauptsächlich durch ihre Gefahren unterschied, die nicht in Verknöcherung, Bleivergiftung, Verbrühung bestanden, sondern darin, was mit einem Fachausdruck »sieben Jahre Schweren« genannt wurde. Hauptinspektor Heat verschloß sich natürlich nicht der Wucht sittlicher Unterscheidungen. Das taten aber ebensowenig die Diebe, die er zu überwachen hatte. Die unterwarfen sich mit einer gewissen Entsagung den strengen Gesetzen einer Sittlichkeit, die dem Inspektor vertraut war. Sie waren seine Mitbürger, die infolge verfehlter Erziehung in die Irre gegangen waren, so glaubte Inspektor Heat. Abgesehen von diesem Unterschiede aber konnte er sehr wohl die Sinnesart eines Räubers verstehen, weil nämlich Sinn und Triebe eines Räubers im Grunde die gleichen sind wie Sinn und Triebe eines Polizeioffiziers. Beide erkennen dasselbe Übereinkommen an, haben genaue Kenntnis ihrer gegenseitigen Methoden und die ganze Erfahrung ihres Geschäfts. Sie verstehen einander, was für beide vorteilhaft ist und ihre Beziehungen gewissermaßen angenehm gestaltet. Produkte derselben Maschine, das eine als nützlich, das andere als schädlich bezeichnet, nehmen sie die Maschine als gegeben an, von verschiedenen Gesichtspunkten zwar, aber mit einem wesentlich gleichen Ernst. Inspektor Heats Gemüt war für aufrührerische Gedanken unzugänglich. Seine Diebe waren ja auch keine Rebellen. Seine körperliche Kraft, sein kalter Gleichmut, seine Tapferkeit und Makellosigkeit hatten ihm auf dem Felde seiner ersten Erfolge allgemeine Verehrung eingetragen, die sich sogar zur Liebedienerei steigern konnte. Er hatte sich verehrt und bewundert gefühlt. Und wie er nun sechs Schritte vor dem Anarchisten mit dem Spitznamen »der Professor« stillehielt, da dachte der Inspektor mit Wehmut an die Welt der Diebe – gesund, ohne überspannte Ideale, geschickt arbeitend, mit Ehrfurcht vor den bestehenden Behörden, frei von Haß und Verzweiflung.

      Nachdem er so der gesetzmäßigen Gesellschaftsordnung seinen Zoll entrichtet hatte – denn der Gedanke des Diebstahls erschien ihm ebenso gesetzmäßig wie der des Eigentums – empfand der Inspektor lebhaften Ärger darüber, daß er stehengeblieben war, daß er gesprochen und daß er überhaupt diesen Weg eingeschlagen hatte, einfach nur, weil er eine Abkürzung vom Bahnhof zum Hauptquartier vorstellte. Und er sprach wieder, mit seiner tönenden Befehlsstimme, in der nun, da er sie dämpfte, eine Drohung mitklang.

      »Sie werden nicht gewünscht, sage ich Ihnen«, wiederholte er.

      Der Anarchist rührte sich nicht. Ein inneres Hohnlachen entblößte nicht nur seine Zähne, sondern noch seine Kiefer, schüttelte ihn lautlos. Hauptinspektor Heat fühlte sich bemüßigt, gegen sein besseres Wissen hinzuzufügen:

      »Noch nicht. Wenn ich Sie haben will, werde ich Sie zu finden wissen.«

      Das war ein durchaus berechtigter Ausspruch, ganz herkömmlich und der Stellung eines Polizeioffiziers angemessen, der zu einem Schäflein seiner Herde spricht. Die Aufnahme aber, die die Worte fanden, lag gleich weit von Herkommen wie von Anstand entfernt. Sie war empörend. Die kümmerliche Gestalt begann zu sprechen.

      »Ich zweifle nicht, daß Ihnen die Zeitungen dann einen Nachruf widmen würden, und Sie müssen selbst am besten wissen, wie viel Ihnen das wert wäre. Ich dächte doch, Sie können sich leicht vorstellen, СКАЧАТЬ