Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ andere drehte seine Brillengläser wie zwei Scheinwerfer Ossipon zu.

      »Beschreiben«, wiederholte er langsam. »Ich glaube nicht, daß dem jetzt noch etwas im Wege stehen kann. Ich will dir die Beschreibung in einem Wort liefern – Verloc.«

      Ossipon, der sich aus Neugierde halb aus seinem Stuhle erhoben hatte, fiel nun zurück, als hätte man ihn ins Gesicht geschlagen. »Verloc! Unmöglich!«

      Der selbstbeherrschte kleine Mann nickte kurz.

      »Jawohl. Er ist die Person. Du kannst gewiß nicht sagen, daß ich in diesem Fall meinen Stoff an den erstbesten hergelaufenen Narren gegeben habe. Er war, soviel ich weiß, ein hervorragendes Mitglied der Ortsgruppe.«

      »Jawohl,« sagte Ossipon, »hervorragend. Oder nein, eigentlich doch nicht. Er hatte den allgemeinen Nachrichtendienst unter sich und nahm gewöhnlich die Genossen in Empfang, die hier herüberkamen. Mehr nützlich als hervorragend. Ein Mensch ohne eigene Gedanken. Vor Jahren einmal pflegte er in Versammlungen zu reden – in Frankreich, glaube ich. Und auch das nicht besonders gut. Er hatte das Vertrauen von Leuten wie Latorre, Moser und all den alten Knaben. Seine einzige wirkliche Befähigung zeigte sich darin, daß er die Aufmerksamkeit der Polizei immer irgendwie abzulenken verstand. Hier zum Beispiel schien er nicht sonderlich beachtet zu werden. Er war richtig verheiratet, verstehst du. Ich glaube auch, daß er den Laden mit ihrem Geld eingerichtet hat. Er schien auch ein Geschäft dabei zu machen.«

      Ossipon unterbrach sich, murmelte halblaut: »Ich möchte wohl wissen, was die Frau jetzt anfangen wird«, und fiel in Gedanken.

      Der andere wartete mit einer unterstrichenen Gleichgültigkeit. Seine Herkunft war dunkel, und er war ganz allgemein nur unter dem Spitznamen »der Professor« bekannt. Sein Anspruch auf diesen Titel gründete sich auf die Tatsache, daß er früher einmal Assistent für chemische Versuche an einer technischen Hochschule gewesen war. Damals war er mit dem Lehrkörper wegen ungerechter Behandlung in Streit geraten. Späterhin erhielt er eine Stellung in einer Farbenfabrik. Auch hier war er mit empörender Ungerechtigkeit behandelt worden. Seine Kämpfe, seine Entbehrungen, sein inneres, hartes Streben, sich auf der gesellschaftlichen Stufenleiter emporzuarbeiten, hatten ihn mit einer so überspannten Meinung von seiner Tüchtigkeit erfüllt, daß es für die Welt unendlich schwierig war, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – was ja im Wesen so sehr von der Geduld des einzelnen abhängt. Der Professor hatte Genie, doch fehlte ihm die große, gesellschaftliche Tugend der Selbstbescheidung.

      »Verstandesmäßig eine reine Null,« sagte Ossipon laut und riß sich damit von den stillschweigenden Betrachtungen über Frau Verlocs verwaisten Leib und Laden los, »reiner Durchschnittsmensch. Du solltest lieber Fühlung mit den Genossen suchen, Professor«, fügte er vorwurfsvoll hinzu. »Sagte er dir irgend etwas – deutete er seine Absicht an? Ich habe ihn einen Monat lang nicht gesehen. Es will mir nicht in den Kopf, daß er hin ist.«

      »Er sagte mir, es sollte ein Anschlag gegen ein Gebäude stattfinden«, erklärte der Professor. »Das mußte ich natürlich wissen, um den Sprengstoff darnach einzurichten. Ich gab ihm zu bedenken, daß ich zur Erreichung eines durchgreifenden Erfolges keine genügende Menge im Hause hätte. Er bat mich aber eindringlich, mein Bestes zu tun. Da er eine Verpackung wünschte, die offen in der Hand getragen werden konnte, so schlug ich ihm vor, eine alte blecherne Fünfliterkanne von Kopallack zurecht zu machen, die ich zufällig zu Hause hatte. Der Gedanke gefiel ihm. Ich hatte ziemlich Arbeit damit, da ich den Boden erst herausschneiden und nachher wieder einlöten mußte. Als sie gebrauchsfertig eingerichtet war, enthielt die Kanne eine weithalsige, gut verkorkte Dose aus dickem Glas, ringsherum in weichen Lehm gelegt und mit einem halben Kilo von grünem X2-Pulver gefüllt. Der Zünder stand in Verbindung mit der Mündungsschraube der Kanne. Er war geradezu genial, eine Verbindung von Zeit-und Schlagzünder. Ich erklärte ihm die Vorrichtung genau. Es war eine dünne Zinntube mit –«

      Ossipons Gedanken waren weit weg.

      »Was ist deiner Ansicht nach geschehen?« fragte er.

      »Kann’s nicht sagen. Vielleicht hat er die Schraube, die den Kurzschluß herstellte, fest zugedreht und dann die Zeit vergessen. Der Zünder war auf zwanzig Sekunden gestellt. Allerdings konnte auch, wenn der Zeitkontakt hergestellt war, eine Erschütterung die Entzündung sofort herbeiführen. Entweder hat er also die Zeit falsch bemessen, oder er hat das Ding einfach fallen lassen. Der Kontakt wurde richtig hergestellt – das steht für mich fest. Das System hat tadellos gearbeitet. Und doch sollte man weit eher meinen, daß ein Durchschnittsdummkopf in der Eile leichter noch vergessen würde, den Kontakt überhaupt herzustellen. Mit dem Gedanken an diese Möglichkeit hatte ich mir besonders den Kopf zermartert. Aber ein Dummkopf verfällt auf mehr, als der Klügste vorhersehen kann. Von einem Zünder darf man natürlich nicht verlangen, daß er völlig narrensicher ist.«

      Er winkte einem Kellner. Ossipon saß steif da, und sein verlorner Blick deutete auf hartes Nachdenken. Nachdem der Kellner einkassiert hatte und gegangen war, erhob er sich mit allen Anzeichen höchster Unzufriedenheit.

      »Für mich ist das im höchsten Maße unangenehm«, meinte er nachdenklich. »Karl liegt seit einer Woche mit Bronchitis zu Bett, es ist mehr als wahrscheinlich, daß er nicht wieder aufsteht. Michaelis spielt irgendwo auf dem Lande den Vornehmen. Ein großer Verleger hat ihm fünfhundert Pfund für sein Buch geboten. Das wird natürlich ein lächerlicher Fehlschlag. Er hat im Gefängnis die Fähigkeit zusammenhängenden Denkens verloren, mußt du wissen.«

      Der Professor war aufgestanden, knöpfte sich den Rock zu und sah den anderen mit kalter Gleichgültigkeit an.

      »Was wirst du jetzt tun?« fragte Ossipon müde. Er fürchtete den Tadel des Roten Zentralkomitees, einer Körperschaft, die keinen festen Wohnsitz hatte, und deren Zusammensetzung ihm nicht genau bekannt war. Wenn diese Geschichte dazu führte, daß die bescheidenen Hilfsgelder für die Veröffentlichung der Z.P.-Blätter gestrichen wurden, dann allerdings würde er Verlocs unerklärliche Torheit zu bedauern haben.

      »Es ist zweierlei, die Tat in ihrer äußersten Form zu billigen oder töricht rücksichtslos zu sein«, fuhr er unvermittelt grob heraus. »Ich weiß nicht, was Verloc in den Sinn gekommen ist. Da steckt irgendein Geheimnis dahinter. Jetzt ist er ja hin. – Mach, was du willst, aber unter den gegebenen Umständen kann es für die revolutionäre Kampfgruppe nichts anderes geben, als jede Verbindung mit dem verdammten, tollen Streich abzustreiten. Mich beschäftigt nur die Frage, wie das überzeugend genug zu machen wäre.«

      Der kleine Mann war, wie er zum Gehen fertig dastand, kaum größer als der sitzende Ossipon. Seine Brillengläser waren gerade in gleicher Höhe mit Ossipons Gesicht.

      »Du könntest ja von der Polizei ein Leumundszeugnis verlangen: die wissen, wo jeder von euch die letzte Nacht geschlafen hat. Vielleicht wenn ihr sie bittet, würden sie sich entschließen, eine Art amtlicher Feststellung herauszugeben.«

      »Zweifellos wissen sie genau, daß wir nichts damit zu tun hatten«, murmelte Ossipon bitter. »Was sie aber sagen werden, ist eine andere Frage.« Wieder verfiel er in Gedanken und schien die kleine eulenhafte Gestalt an seiner Seite zu vergessen. »Ich muß schleunigst Michaelis festzukriegen suchen, damit er in einer unserer Versammlungen wieder einmal so recht herzlich spricht. Das Publikum hat für den Burschen eine Art sentimentaler Vorliebe. Sein Name ist bekannt. Und ich habe Beziehungen zu den Berichterstattern einiger großer Tagesblätter. Natürlich wird er wieder lauter dummes Zeug reden, aber er hat eine Art, es vorzubringen, daß die anderen es doch schlucken.«

      »Wie Sirup«, warf der Professor halblaut dazwischen, ohne eine Miene zu verziehen.

      Ossipon fuhr fort, vor sich hinzumurmeln, wie ein Mann, der sich in völliger Einsamkeit etwas überlegt.

      »Verdammter СКАЧАТЬ