Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ saß mit zusammengepreßten Lippen da. Der Gedanke, geradeswegs im Laden nach Neuigkeiten zu fragen, bot wenig Reiz. Seiner Meinung nach konnte Verlocs Laden zur Stunde schon in eine Polizeifalle verwandelt worden sein. Natürlich würden sie irgendwelche Verhaftungen machen wollen, dachte er mit einem Anflug ehrlicher Entrüstung; denn der glatte Verlauf seines revolutionären Daseins schien ohne sein Verschulden bedroht. Ging er aber nicht hin, so lief er Gefahr, in Unkenntnis von Umständen zu bleiben, die für ihn sehr wesentlich sein konnten. Dann überlegte er, daß der Mann im Park, wenn er wirklich, wie die Zeitung sagte, in tausend Stücke zerrissen war, auch nicht erkannt sein konnte. Und war das der Fall, dann hatte die Polizei keinen besonderen Grund, Verlocs Laden genauer zu überwachen als irgendeinen andern Ort, an dem bekannte Anarchisten verkehrten – nicht mehr Anlaß als etwa zur Überwachung des Silenus. Er würde überall auf Überwachung stoßen, ganz gleich, wohin er ging, und doch –

      »Ich möchte nur wissen, was ich jetzt am besten tun sollte«, fragte er sich im Selbstgespräch. Eine heisere Stimme neben ihm sagte verächtlich:

      »Dich herzhaft an die Frau heranmachen.«

      Nach diesen Worten ging der Professor vom Tisch weg. Ossipon, überrumpelt von der verblüffenden Einsicht des anderen, blieb mit aufgerissenen Augen sitzen, wie festgenagelt. Das einsame Piano, das nicht einmal einen Klaviersessel zur Seite hatte, schlug mutig ein paar Töne an, ging dann zu einer Auswahl von Volksweisen über und begleitete schließlich Ossipons Weggang mit den Klängen der »Glockenblumen von Schottland«. Die peinlich abgehackte Melodie verklang hinter ihm, während er langsam die Treppe hinaufstieg und durch die Halle auf die Straße trat.

      Vor dem Eingang stand eine Reihe von Zeitungsjungen am Rand des Bürgersteiges, die vom Rinnstein her ihre Ware feilboten. Es war ein rauher, trüber Vorfrühlingstag, und der neblige Himmel, die schmutzige Straße, die Lumpen der schmutzigen Jungen stimmten vorzüglich zu den feuchten, schäbigen Papierfetzen, die mit Druckerschwärze besudelt waren. Die zerrissenen, verschmierten Anschlagzettel zierten wie ein Tapetenmuster den Rand des Bürgersteigs. Der Verkauf der Abendblätter war befriedigend, aber doch langsam im Vergleich zum reißenden Abgang der Extrablätter. Ossipon sah sich rasch nach allen Seiten um, bevor er sich in das Gewühl stürzte; aber der Professor war schon außer Sicht.

      V

       Inhaltsverzeichnis

      Der Professor war in eine Gasse nach links abgebogen und schritt nun mit krampfhaft erhobenem Kopf in einer Menge von Menschen dahin, deren jeder wohl seine schmächtige Gestalt überragte. Er konnte sich seine Enttäuschung nicht verhehlen. Aber das war nur ein Gefühl; die eiserne Ruhe seiner Gedankengänge konnte durch diesen oder einen anderen Fehlschlag nicht gestört werden. Das nächste Mal oder das übernächste Mal würde ein schmetternder Schlag gelingen – irgend etwas noch nie Dagewesenes – ein Stoß, der vielleicht die erste Bresche in den Machtbau der Gesetze legen würde, hinter dem sich die schauerliche Ungerechtigkeit verbarg. Er war von niedriger Herkunft und von so unvorteilhaftem Äußern, daß seine bedeutenden natürlichen Anlagen sogar darunter litten, und so war seine Einbildungskraft schon früh durch Geschichten von Männern befeuert worden, die sich aus den Tiefen der Armut zu Macht und Einfluß emporgearbeitet hatten. Die übertriebene, fast asketische Reinheit seiner Denkweise, verbunden mit einer erstaunlichen Lebensfremdheit, hatten ihm gebietende Macht als Ziel vor Augen gerückt, das aber nicht mit Hilfe von Kunst, besonderen Gaben, Takt, Reichtum – sondern durch das bloße Gewicht des Verdienstes erreicht werden sollte. In diesem Punkte fühlte er sich des unbedingtesten Erfolges sicher. Sein Vater, ein Enthusiast von schwacher Gesundheit, mit fliehender Stirne, war ein gern gehörter Wanderprediger irgendeiner unbekannten, aber strengen christlichen Sekte gewesen, ein Mann, der sich auf das Vorrecht seiner Ehrbarkeit viel zugute tat. In dem Sohn, einem Einzelgänger von Geburt, verdrängte das Schulwissen jeden Glauben an die Wirksamkeit von Bet-Zirkeln und setzte sich in glühend überspannten Ehrgeiz um, den er wie eine heilige Flamme nährte. Als diesem Ehrgeiz nicht Genüge geschah, gingen ihm die Augen auf für das wahre Wesen der Welt und ihre verkünstelte, verderbte und lästerliche Moral. Selbst den gerechtesten Revolutionen wird durch sehr persönliche Beweggründe, die dann zu Glaubenssätzen umgeformt werden, der Weg bereitet. Der Professor fand für seine Entrüstung in sich selbst einen Grund, der ihn der Peinlichkeit enthob, aus Ehrgeiz zum Zerstörer werden zu müssen. Den allgemeinen Glauben an Gesetzmäßigkeit zerstören zu wollen, war nur die nicht ganz deckende Formel für seinen pedantischen Fanatismus, doch im Unterbewußtsein getragen von der klaren Erkenntnis, daß das Fachwerk einer bestehenden Gesellschaftsordnung ohne Gewaltanwendung in großem oder kleinem Maßstabe nicht erschüttert werden könne. Für ihn stand es fest, daß er eine moralische Sendung hatte. Und indem er sich ihr mit ganzer Seele hingab, verschaffte er sich auch den Anschein von Macht und persönlicher Haltung. Das durfte er sich bei aller rachsüchtigen Bitterkeit doch eingestehen. Es schläferte seine Unrast ein; und auf ihre Art suchen vielleicht die glühendsten Revolutionäre nichts weiter als den Frieden mit der übrigen Menschheit, einen Frieden gesättigter Eitelkeit, erfüllter Wünsche oder vielleicht nur beruhigten Gewissens.

      Verloren in der Menge, elend und unter Mittelgröße, sann er stolz seiner Macht nach und hielt dabei mit der Hand in der linken Hosentasche den Gummiball umklammert, den letzten Bürgen seiner traurigen Freiheit; nach einiger Zeit jedoch kam ihm die Überfüllung der Straße mit Fahrzeugen und der Gehwege mit Menschen störend zum Bewußtsein. Er befand sich in einer langen, geraden Straße, die wohl nur von einem geringen Bruchteil einer unendlichen Menge erfüllt war. Er aber fühlte rings um sich, um und um, bis zu den Grenzen des Horizontes hinter den Ziegelbergen, die Macht der Menschen in ihrer Masse. Sie schwärmten zahllos wie Heuschrecken, fleißig wie die Ameisen und gedankenlos wie eine Naturgewalt, drängten blind dahin, jeder für sich, und doch auf Ordnung bedacht, und waren dem Gefühl so wenig zugänglich wie der Logik, oder vielleicht sogar dem Schrecken.

      Das war der Zweifel, den er mehr als alles fürchtete – dem Schrecken nicht zugänglich! Oftmals während seiner Wanderungen, wenn er mit sich selbst uneins war, hatte er solche Anfälle drückender und tiefer Menschenverachtung. Wie, wenn sie überhaupt nicht in Bewegung zu bringen wären? Solche Augenblicke sind all denen vertraut, die nach unmittelbarer Herrschaft streben – Künstlern, Politikern, Denkern, Reformern oder Heiligen. Das ist ein jämmerlicher Gemütszustand, gegen den einem überlegenen Charakter die Einsamkeit hilft. Und mit innerlichem Triumph stellte sich der Professor seine sicheren vier Wände vor, den Raum mit dem verschlossenen Tellerschrank, verloren in einem Gewirr armseliger Häuser, die Klause des wahren Anarchisten. Um die Haltestelle seines Omnibusses früher zu erreichen, bog er plötzlich aus der belebten Straße in einen engen, schlecht erleuchteten Durchgang ab, der mit Steinplatten gepflastert war. Die niedrigen Ziegelbauten auf der einen Seite hatten in ihren verstaubten Fensterscheiben den blinden, sterbenden Blick unrettbaren Verfalls, leere Schalen, die der Zerstörung harrten. Denen auf der anderen Seite war das Leben noch nicht ganz entflohen. Grade bei der einzigen Gaslampe gähnte die Höhle eines Altwarenhändlers, wo sich ein schmaler Pfad durch einen wilden Urwald von Kleidungsstücken wand und aus einem Dickicht von Tischbeinen ein schmaler Pfeilerspiegel wie ein Waldweiher blinkte. Eine armselige, heimatlose Bettstatt, begleitet von zwei alleinstehenden Stühlen, zierte den Eingang. Das einzige menschliche Wesen, das außer dem Professor den Durchgang benützte, kam stramm und gerade aus der entgegengesetzten Richtung und hielt seinen wiegenden Schritt plötzlich an.

      »Hallo«, sagte der andere und trat aufmerksam ein wenig zur Seite.

      Der Professor war schon stehen geblieben, mit einer raschen Wendung, die seine Schulter nahe an die andere Mauer brachte. Die rechte Hand ruhte leicht auf der Lehne der verkommenen Bettstatt, die linke blieb tief in der Hosentasche verborgen; die schwarzgeränderten Brillengläser gaben dem Gesicht einen eulenhaften Ausdruck.

      Es war wie ein Zusammentreffen in dem Seitengang СКАЧАТЬ