Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad
Автор: Джозеф Конрад
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204113
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Wieder schlossen sich seine Lippen mit einem trotzigen Ruck. Ossipon unterdrückte eine Bewegung der Ungeduld.
»Oder Rücksichtslosigkeit – oder einfach Unkenntnis«, wandte er ein. »Sie brauchen nur jemand zu finden, der nicht weiß, daß du Sprengstoff genug bei dir trägst, um dich selbst und alles in sechzehn Meter Umkreis mit dir in Stücke zu reißen.«
»Ich habe nie behauptet, daß ich nicht beseitigt werden könnte,« stimmte der andere bei, »doch das wäre keine Verhaftung, und überdies ist das auch nicht so leicht, wie es scheint.«
Ossipon widersprach. »Oh, sei du dessen nicht gar zu sicher. Wie denn, wenn ihrer ein halb Dutzend dich auf der Straße von hinten anspringen? Wenn man dir die Arme an den Körper preßt, so könntest du wohl nichts tun – oder?«
»Ja, doch. Ich bin selten nach Dunkelwerden unterwegs«, sagte der kleine Mann unbewegt, »und niemals zu später Stunde. Beim Gehen halte ich immer die Hände in der Hosentasche um einen Gummiball geschlossen. Ein Druck auf diesen Ball betätigt den Zünder in der Glasflasche, die ich an der Brust trage. Die Auslösung ist die gleiche wie beim Momentverschluß eines photographischen Apparats. Ein Schlauch geht hinauf –«
Mit einer kurzen Gebärde gab er Ossipons Blick ein Stück Gummi frei, das wie ein dünner, brauner Wurm aus dem Ärmelloch seiner Weste kroch und in der inneren Brusttasche seiner Jacke verschwand. Seine Kleider von unbestimmtem Braun waren abgetragen und fleckig, in den Falten verstaubt, mit ausgefransten Knopflöchern. »Der Zünder ist halb mechanisch, halb chemisch«, fügte er mit plötzlicher Herablassung hinzu.
»Er wirkt sofort, natürlich?« murmelte Ossipon mit einem leichten Schauer.
»Keine Rede,« gestand der andere widerstrebend, wobei es wie Schmerz um seine Lippen zuckte, »volle zwanzig Sekunden müssen von dem Augenblick, wo ich den Ball drücke, bis zur Explosion vergehen.
»Was«, hauchte Ossipon erschüttert. »Zwanzig Sekunden, grauenhaft! Willst du mir sagen, daß du das aushalten kannst? Ich würde verrückt – –«
»Wäre kein Schade. Natürlich ist das der schwache Punkt des Systems; das übrigens nur zu meinem persönlichen Gebrauch dient. Das Schlimme ist ja, daß für uns die Zündung immer der wunde Punkt bleibt. Ich versuche einen Zünder zu erfinden, der bei jeder Betätigungsmöglichkeit arbeitet und sogar bei ganz unvorhergesehener Betätigung, ein veränderlicher und dennoch vollkommen zuverlässiger Mechanismus. Ein Zünder mit Verstand, sozusagen.«
»Zwanzig Sekunden«, murmelte Ossipon nochmals. »Ah, und dann?«
Mit einer leichten Kopfwendung schienen die funkelnden Brillengläser die Größe des Biersalons im Keller des berühmten Silenus-Restaurants abzuschätzen.
»Niemand in diesem Raum hätte Hoffnung zu entkommen«, war das Ergebnis dieser Schätzung. »Nicht einmal das Pärchen, das eben die Stiegen hinaufgeht.«
Das Piano am Fuß des Treppenhauses donnerte eine schwungvolle Mazurka, als säße ein pöbelhaftes Gespenst davor.
Die Tasten hoben und senkten sich geheimnisvoll. Dann wurde alles still. Einen Augenblick lang stellte sich Ossipon den hell erleuchteten Raum in ein schauerliches, schwarzes Loch verwandelt vor, in den aus dem Durcheinander von zerstörtem Mauerwerk und verstümmelten Körpern giftige Rauchschwaden drangen. In dieser Vorstellung erlebte er den Begriff von Tod und Zerstörung so stark, daß er abermals erschauerte. Der andere bemerkte mit kalter Selbstzufriedenheit:
»Letzen Endes ist es nur der Charakter, der einem persönliche Sicherheit verbürgt. Es gibt ganz wenig Leute in der Welt, deren Charakter so allgemein anerkannt ist wie der meine.«
»Ich möchte nur wissen, wie du das fertig gebracht hast«, brummte Ossipon.
»Durch Kraft der Persönlichkeit«, sagte der andere, ohne die Stimme zu heben; und im Munde dieses so augenscheinlich kümmerlichen Lebewesens hatte diese Behauptung einen Klang, daß der kräftige Ossipon sich in die Lippe biß. »Kraft der Persönlichkeit«, wiederholte er mit aufreizender Ruhe. »Ich habe die Mittel, mich zum Todbringer zu machen; doch das allein wäre natürlich noch kein ausreichender Schutz. Wirksam wird er erst durch den Glauben der anderen, daß ich meine Mittel auch benützen würde. Das glauben sie steif und fest, und dadurch werde ich erst zum Todbringer.«
»Auch unter den anderen gibt es Leute von Charakter«, deutete Ossipon tückisch an.
»Möglich. Aber es muß wohl auf den Grad ankommen, da ja z.B. ich keinerlei Eindruck von ihnen habe. Dann müssen Sie wohl untergeordneter Art sein, und es ist ja auch nicht anders möglich. Ihr Charakter fußt auf der herkömmlichen Moral, lehnt sich an die gesellschaftliche Form. Meiner steht frei von jeder künstlichen Stütze. Sie sind an allerlei Herkömmliches gebunden, sind an das Leben gebunden, das für sie in allerlei Hemmungen und Erwägungen eingezwängt und an unzähligen Punkten angreifbar ist; während ich nur an den Tod gebunden bin, der weder Hemmung noch Angriff kennt. Meine Überlegenheit ist sonnenklar.«
»Das ist eine übersinnliche Erklärung«, sagte Ossipon und beobachtete das kalte Glitzern der runden Brillengläser. »Ich hörte Karl Yundt vor nicht allzu langer Zeit dasselbe sagen.«
»Karl Yundt,« murmelte der andere mit Verachtung, »der Abgeordnete des internationalen Roten Komitees, war Zeit seines Lebens nichts anderes als ein Schatten, der sich aufspielte. Ihr seid drei Abgesandte, nicht? Über die andern beiden will ich nichts sagen, da du ja einer davon bist; aber was du sagst, hat keinen Sinn. Ihr seid die würdigen Abgeordneten für Revolutionspropaganda, aber das Schlimme dabei ist nicht nur, daß ihr zu unabhängigem Denken gleich unfähig seid, wie irgendein ehrenwerter Krämer oder Zeilenschreiber, sondern daß ihr überhaupt keinen Charakter habt.«
Ossipon konnte ein zorniges Auffahren nicht unterdrücken.
»Aber was willst du denn von uns«, rief er mühsam beherrscht. »Was strebst denn du selbst an?«
»Ich suche den vollkommenen Zünder«, war die knappe Antwort. »Warum machst du so ein Gesicht? Da siehst du ja, daß du nicht einmal die Erwähnung von etwas Endgültigem vertragen kannst.«
»Ich mache doch kein Gesicht«, knurrte der verärgerte Ossipon böse.
»Ihr Revolutionäre«, fuhr der andere fort und sonnte sich in Selbstzufriedenheit, »seid die Sklaven der Gesellschaft, die sich vor euch fürchtet, Sklaven nicht minder als die Polizei, die zum Schutz dieser Gesellschaft da ist. Selbstverständlich seid ihr das, da ihr die Ordnung ja umstürzen wollt. Sie beherrscht eure Gedanken und natürlich auch eure Handlungen, und daher können weder eure Gedanken noch eure Handlungen jemals abschließend sein.« Er verfiel unvermerkt in sein merkwürdiges Schweigen, fuhr aber plötzlich wieder fort: »Ihr seid nicht um ein Haar besser als die Macht, die gegen euch aufgeboten wird – als die Polizei zum Beispiel. Neulich einmal traf ich unversehens an der Ecke von Tottenham Court Road mit Oberinspektor Heat zusammen. Er sah mich finster an, ich ihn aber nicht. Warum sollte ich ihm einen Blick schenken? Er dachte an vielerlei – an seine Vorgesetzten, seinen Ruf, an das Gericht, sein Gehalt, die Zeitungen – an hundert Dinge. Ich aber dachte nur an meinen vollkommenen Zünder. Er bedeutete nichts für mich. Er war für mich so unwichtig, wie – ich kann mir nichts vorstellen, was unwichtig genug wäre, um mit ihm verglichen zu werden – ausgenommen vielleicht Karl Yundt. Gleich und gleich. Der Terrorist und der Polizeimann kommen aus dem gleichen Ei. Revolution und Gesetz – Gegenzüge im gleichen Spiel; СКАЧАТЬ