Название: Wachtmeister Studer
Автор: Friedrich C. Glauser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962816315
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Ein kleines Mädchen in Gerzenstein, eine alte Mutter im Oberaargau… und zwischen beiden der Bursche Schlumpf, angeklagt des Mordes…
Es kam ganz darauf an, was für ein Untersuchungsrichter den Fall übernehmen würde… Man müsste mit dem Mann reden können. Vielleicht…
Schritte kamen näher. Der Wärter Liechti erschien in der Tür und sein rotes Gesicht glänzte boshaft.
»Wachtmeister, der Herr Untersuchungsrichter will Euch sprechen.«
Und Liechti grinste unverschämt. Es war nicht schwer zu erraten, was das Grinsen zu bedeuten hatte. Ein Fahnder hatte seine Kompetenzen überschritten und wurde eingeladen, den fälligen Rüffel in Empfang zu nehmen…
»Leb wohl, Schlumpfli!« sagte Studer. »Mach keine Dummheiten mehr. Soll ich die Sonja grüßen, wenn ich sie seh’? Ja? Also; ich komm dich dann vielleicht einmal besuchen. Leb wohl!«
Und während Studer durch die langen Gänge des Schlosses schritt, konnte er den Blick nicht los werden und den Blick nicht deuten, mit dem ihm Schlumpf nachgeblickt hatte. Erstaunen lag darin, jawohl, aber hockte nicht auch eine trostlose Verzweiflung auf dem Grunde?
Der Fall Wendelin Witschi zum ersten
Ihr seid…« (Räuspern.) »Ihr seid der Wachtmeister Studer?«
»Ja.«
»Nehmt Platz.«
Der Untersuchungsrichter war klein, mager, gelb. Sein Rock war über den Achseln gepolstert und von lilabrauner Farbe. Zu einem weißen, seidenen Hemd trug er eine kornblumenblaue Krawatte. In den dicken Siegelring war ein Wappen eingraviert – der Ring schien übrigens alt.
»Wachtmeister Studer, ich möchte Euch sehr höflich fragen, was Ihr Euch eigentlich vorstellt. Wir kommt Ihr dazu, Euch eigenmächtig – ich wiederhole: eigenmächtig! in einen Fall einzumischen, der…«
Der Untersuchungsrichter stockte und wusste selbst nicht weshalb. Da saß vor ihm ein einfacher Fahnder, ein älterer Mann, an dem nichts Auffälliges war: Hemd mit weichem Kragen, grauer Anzug, der ein wenig aus der Form geraten war, weil der Körper, der darin steckte, dick war. Der Mann hatte ein bleiches, mageres Gesicht, der Schnurrbart bedeckte den Mund, sodass man nicht recht wusste, lächelte der Mann oder war er ernst. Dieser Fahnder also hockte auf seinem Stuhl, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln und die Hände gefaltet… Der Untersuchungsrichter wusste selbst nicht, warum er plötzlich vom ›Ihr‹ zum ›Sie‹ überging.
»Sie müssen begreifen, Wachtmeister, es scheint mir, als hätten Sie Ihre Kompetenzen überschritten…« Studer nickte und nickte: natürlich, die Kompetenzen!… »Was hatten Sie für einen Grund, den Eingelieferten, den ordnungsmäßig eingelieferten Schlumpf Erwin noch einmal zu besuchen? Ich will ja gerne zugeben, dass Ihr Besuch höchst opportun gewesen ist – das will aber noch nicht sagen, dass er sich mit dem Kompetenzbereich der Fahndungspolizei gedeckt hat. Denn, Herr Wachtmeister, Sie sind schon lange genug im Dienste, um zu wissen, dass ein fruchtbares Zusammenarbeiten der diversen Instanzen nur dann möglich ist, wenn jede darauf sieht, dass sie sich streng in den Grenzen ihres Kompetenzbereiches hält…«
Nicht einmal, nein, dreimal das Wort Kompetenz… Studer war im Bild. Das trifft sich günstig, dachte er, das sind die Bösesten nicht, die immer mit der Kompetenz aufrücken. Man muss nur freundlich zu ihnen sein und sie recht ernst nehmen, dann fressen sie einem aus der Hand…
»Natürlich, Herr Untersuchungsrichter«, sagte Studer und seine Stimme drückte Sanftmut und Respekt aus, »ich bin mir bewusst, dass ich wahr- und wahrhaftig meine Kompetenzen überschritten habe. Sie stellten ganz richtig fest, dass ich es bei der Einlieferung des Häftlings Schlumpf Erwin hätte bewenden lassen sollen. Und dann – ja, Herr Untersuchungsrichter, der Mensch ist schwach – dann dachte ich, dass der Fall vielleicht doch nicht so klar liege, wie ich es anfangs angenommen hatte. Es könnte möglich sein, dachte ich, dass eine weitere Untersuchung des Falles sich als nötig erweisen würde und dass ich vielleicht mit deren Verfolgung betraut werden könnte, und da wollte ich im Bilde sein…«
Der Untersuchungsrichter war sichtlich schon versöhnt.
»Aber, Wachtmeister«, sagte er, »der Fall ist doch ganz klar. Und schließlich, wenn dieser Schlumpf sich auch erhängt hätte, das Malheur wäre nicht groß gewesen – ich wäre eine unangenehme Sache los geworden und der Staat hätte keine Gerichtskosten zu tragen brauchen…«
»Gewiss, Herr Untersuchungsrichter. Aber wäre mit dem Tode des Schlumpf wirklich der ganze Fall erledigt gewesen? Denn dass der Schlumpf unschuldig ist, werden auch Sie bald herausfinden.«
Eigentlich war eine derartige Behauptung eine Frechheit. Aber so ehrerbietig war Studers Stimme, so zwingend heischte sie Bejahung, dass dem Herrn mit dem wappengeschmückten Siegelring nichts anderes übrig blieb, als zustimmend zu nicken.
Mit braunem Holz waren die Wände des Raumes getäfelt, und da die Läden vor den Fenstern geschlossen waren, schimmerte die Luft wie dunkles Gold.
»Die Akten des Falles«, sagte der Untersuchungsrichter ein wenig unsicher. »Die Akten des Falles… Ich habe noch nicht recht Zeit gehabt, mich mit ihnen zu beschäftigen… Warten Sie…«
Rechts von ihm waren fünf Aktenbündel übereinander geschichtet. Das unterste, das dünnste, war das richtige. Auf dem blauen Kartondeckel stand:
SCHLUMPF ERWIN
MORD
»Leider«, sagte Studer und machte ein unschuldiges Gesicht. »Leider hat man in letzter Zeit ziemlich viel von mangelhaft geführten Untersuchungen gehört. Und da wäre es vielleicht besser, wenn man sich auch bei einem so klaren Fall mit den notwendigen Kautelen umgeben würde…«
Innerlich grinste er: Kommst du mir mit Kompetenz, komm ich dir mit Kautelen.
Der Untersuchungsrichter nickte. Er hatte eine Hornbrille aus einem Futteral gezogen, sie auf die Nase gesetzt. Jetzt sah er aus wie ein trauriger СКАЧАТЬ