Название: Wachtmeister Studer
Автор: Friedrich C. Glauser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962816315
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Wenn Studer hochdeutsch sprach, und das kam selten genug vor, war die Wirkung immer die gleiche – ob es sich nun um die Wirkung auf Zivilpersonen handelte oder um die auf junge Fahnder. Alle spürten dann, es war am besten, man ließ den Wachtmeister in Ruhe.
»Heiß, heiß!« krächzte der alte Ellenberger. »Vous brûlez commissaire!« Wie es in jenem Spiel üblich ist, in dem ein versteckter Gegenstand gesucht werden muss und die Wissenden den Suchenden leiten mit Worten wie: ›kalt, wärmer, sehr warm, heiß‹, je nachdem der Suchende sich dem versteckten Gegenstand nähert oder sich von ihm entfernt.
»Ihr werdet auch nicht immer spielen können, Ellenberger«, sagte Studer. Sein Gesicht war sehr bleich, er hatte die Hände geballt. Dann zuckte er mit den Achseln und schritt zwischen den lauten Tischen hindurch, auf die Türe zu, in der Armin Witschi verschwunden war.
Im Schieberrhythmus spielte ›The Convict Band‹:
›Muss i denn, muss i denn zum Städtle hinaus…‹
Liebe vor Gericht
Montagmorgen halb acht Uhr im Büro des Landjägerkorporals Murmann.
Studer saß am Fenster und blickte in den Garten, über den ein feiner Regen niederging. Es war kühl. Der heiße Sonntag war eine Täuschung gewesen.
Der Wachtmeister war allein. Er sah müde aus. Zusammengesunken hockte er auf dem bequemen Armstuhl in seiner Lieblingsstellung: Unterarme auf den Schenkeln, Hände gefaltet. Die Haut eines Gesichtes ließ an verregnetes Papier denken. Er seufzte von Zeit zu Zeit.
In der Hand hielt er einen Brief, drei engbeschriebene Bogen. Er las darin, ließ die Blätter wieder sinken, nahm sie wieder auf, schüttelte den Kopf. Es war ein Brief seines Partners im Billardspiel. Münch, der Notar, schrieb merkwürdige Dinge, Dinge, die vielleicht… vielleicht die Lösung geben konnten – die Lösung des verkachelten Falles Witschi. ›Streng vertraulich‹ stand auf dem Briefkopf. Wie stellte sich der Münch eigentlich die Sache vor? Erzählte interessante Tatsachen, und man durfte sie nicht verwerten.
Der Brief handelte von Akzepten. Von Akzepten, die zusammen eine beträchtliche Summe ausmachten. Wechsel also, die von einem Gerzensteiner Bürger akzeptiert worden waren und nun der Einlösung harrten. Der Gerzensteiner, um den es sich handelte, hatte mit der Kantonalbank vor einer Woche ein Abkommen getroffen. Die Wechsel waren heute fällig gewesen, die Bank hatte sie vor einer Woche mit Ach und Krach auf acht Tage verlängert (prolongiert schrieb der Notar). Also heute in acht Tagen mussten sie bezahlt werden. Zehntausend Franken. Ein ordentlicher ›Schübel‹ Geld. Münch nannte den Namen des Akzeptanten nicht, er war nicht schwer zu erraten… Und einkassiert hatte der Witschi das Geld. Vor sechs Monaten…
Dieser Witschi musste es faustdick hinter den Ohren gehabt haben, er musste ordentlich Geld verputzt haben. Wohin war das Geld gekommen? Spekulationen? Vielleicht. Münch schrieb, Witschi sei knapp vor dem Konkurs gestanden (und merkwürdigerweise stand auch der Gerzensteiner Bürger knapp vor dem Konkurs… ) Der Notar erzählte eine merkwürdige Geschichte. Er schrieb:
»Außerdem muss ich Dir, lieber Wachtmeister, noch eine sonderbare Geschichte erzählen. Du erinnerst Dich doch noch, dass ich Dir damals, beim Billardspielen, als wir den alten Ellenberger sahen, erzählte, Ellenberger sei bei mir gewesen, um eine zweite Hypothek, die er auf dem Hause des Wendelin Witschi habe, zu kündigen. Nun stimmt das nicht ganz. Ellenberger war schon einmal bei mir gewesen, eine Woche vorher und hatte mir eine Schuldverschreibung in der Höhe von fünfzehntausend Franken gebracht, die Witschi ihm ausgestellt hatte. Als Pfand hatte er eine Lebensversicherung hinterlegt, die auf zwanzigtausend Franken lautete. Ellenberger hatte es übernommen, die Prämie zu zahlen. Nun weiß ich nicht, was ihn bewogen hat, aber Ellenberger wollte zurücktreten. Er verlangte die Rückzahlung der betreffenden Summe sowie die Vergütung der gezahlten Prämien und forderte mich auf, dies Witschi mitzuteilen. Ich telefonierte Montag nachmittag (also am 1. Mai) dem Witschi nach Gerzenstein, er möge mich in meinem Büro aufsuchen. Er kam gegen siebzehn Uhr zu mir. Ich teilte ihm den Entschluss seines Gläubigers mit. Witschi regte sich sehr auf, sagte, er sei ein ruinierter Mann, es bleibe ihm nichts anderes übrig, als sich das Leben zu nehmen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass dies die Sache nicht ändern werde, sie werde dadurch nur schlimmer, denn die Versicherung würde sich alsdann weigern, die Summe auszuzahlen…«
Es kamen einige technische Ausführungen und dann fuhr der Notar Münch fort:
»Witschi begann zu jammern, er schimpfte auf seine Frau und auf seinen Sohn, die ihm das Leben zur Hölle machten, wie er sich ausdrückte. Ich versuchte ihn zu beruhigen. Aber er regte sich immer mehr auf, plötzlich zog er einen Revolver aus der Tasche und drohte mir, er werde sich in meinem Büro erschießen, wenn ich ihm nicht zu Hilfe käme. Der Mann begann mir auf die Nerven zu fallen, ich wollte ihn los sein, er klagte und jammerte weiter: der Gemeindepräsident wolle ihn internieren lassen… Ich schnitt ihm das Wort ab: Das gehe mich gar nichts an, er solle machen, dass er aus meinem Büro komme, ich könne solchen Lärm nicht brauchen. Da begann er wieder zu weinen, nein, er wolle nicht gehen, bis er nicht einen Rat erhalten habe. Ich konnte ihm aber keinen Rat geben und sagte ihm dies. Jetzt werde er sich also erschießen, sagte Witschi. Ich darauf: Aber nicht in meinem Büro. Da habe er nicht die rechte Ruhe dazu, aber ich hätte eine leerstehende Kammer, wenn er sich dorthin bemühen wolle, so werde er dort die beste Gelegenheit haben, sich aus er Welt zu schaffen. Du wirst natürlich denken, lieber Wachtmeister, dass ich ein herzloser Mensch bin. Aber das bin ich gar nicht. Nur musst du bedenken, dass ich in meiner Praxis schon viele derartige Fälle gehabt habe; Selbstmorddrohungen sind bequeme Erpressungsversuche. Die Leute wollen sich gar nicht umbringen, sie wollen nur Eindruck machen und versuchen, etwas herauszuschinden. Ich sage dir das vertraulich und du wirst mich verstehen.«
Studer schüttelte den Kopf. War es bei Witschi nicht doch vielleicht eine echte Verzweiflung gewesen? Er sah den Wendelin vor sich, wie er auf dem Schragen lag im hellen, allzu weißen Raum des Gerichtsmedizinischen… Der ruhige, schier erlöste Ausdruck auf seinem Gesicht… Münch schrieb weiter, und was er schrieb, schien eigentlich СКАЧАТЬ