Название: Robert Blum: Ein Zeit- und Charakterbild für das deutsche Volk
Автор: Blum Hans
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066114466
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6. Die ersten Jahre in Leipzig.
(1832–1836).
Leipzig war, als Robert Blum hierher übersiedelte, eine Stadt von wenig über vierzigtausend Einwohnern, die sich hauptsächlich in der inneren Stadt zusammendrängten[10]. Große Privatgärten bedeckten noch dicht vor den Thoren der inneren Stadt weite Flächen Landes. Heute ziehen dort zahlreiche Straßenzeilen nach allen Richtungen hin. Zu Vorstädten waren damals überall erst Ansätze vorhanden. Pünktlich um zehn Uhr Nachts wurden alle Thore geschlossen, an denen strumpfstrickende Stadtsoldaten für die Ruhe der Bürger gewacht hatten, bis die glorreiche Errungenschaft der Communalgarde diese Sorge übernahm. In der städtischen Verwaltung herrschte noch unleidlicher Zopf; erst allmählich lernte die Bürgerschaft die Freiheiten üben, welche die neue Städteordnung vom 2. Februar 1832 gewährleistete. Eng war im Allgemeinen der Horizont des Eingeborenen. Von einem Feuer, das in der Stadt ausbrach, konnte man sich eine Woche lang ausschließlich unterhalten. Das Leibblatt des Leipzigers, das „Tageblatt“, hatte damals ein Format von 22:29 Centimeter und bot höchstens — aber sehr selten — zwei Druckseiten eigene Artikel, einschließlich der amtlichen Bekanntmachungen; die übrigen zwei Druckseiten wurden von der berühmten „Eselswiese“ und Anzeigen ausgefüllt. Die große Leipziger Revolution vom 2. September 1830 war in der Hauptsache das Werk von Handwerkern und Studiosen und hatte die Kraft ihrer Sturmeswogen an einigen Fenstern und Mobilien offenbart. Selbst die Kaufmannschaft, das hervorragendste Element der Bürgerschaft, widerstrebte unklar und pessimistisch der wirthschaftlichen Hauptaufgabe der Zeit: dem Anschluß Sachsens an den Zollverein. Von ihr ging der Angstruf aus, der sich zum Glaubenssatze des Leipzigers jener Tage ausgebildet hatte: daß Leipzigs Blüthe dahin sei, und mit dem Anschluß an den Zollverein der ganze Leipziger Handel einpacken müsse! Die neue Verfassung des Landes war noch kein Jahr alt. Als die Weissagung einer neuen besseren Zeit war sie auch in Leipzig begrüßt worden.
Die Feier des Verfassungsfestes (4. Sept.) bietet von 1832 an den fortschreitenden Elementen der Bürgerschaft den legitimen Anlaß, sich feierlich zu versammeln und in Trinksprüchen und Reden Umschau zu halten über die öffentlichen Zustände, die noch unerfüllten Wünsche des Landes. Mit großer allgemeiner Illumination wurde 1832 das Verfassungsfest gefeiert. Der reiche geadelte Wollhändler und Schafzüchter Speck von Sternburg ließ an seinem Hause in der Reichsstraße ein Transparent erscheinen, das die Worte trug:
O möchte doch in unserm schönen Sachsen
Electoral veredelt wachsen.
Den nächsten Abend erschien gegenüber ein Transparent, das diese beiden Verse wiederholte und hinzufügte:
Damit der Speck auf dieser Erde,
Noch immer fetter, fetter werde.
Ueberhaupt liebte es der gesunde Bürgersinn des Leipzigers, an Denjenigen seinen Witz zu üben, die nach Standeserhöhung trachteten. Als ungefähr um dieselbe Zeit ein Mitinhaber der alten Firma Limburger und Frosch geadelt wurde, war am Tage nach der Bekanntmachung des Ereignisses an dem Geschäftslokal der Firma folgende Schrift zu lesen:
Ici demeure le chevalier sans peur et sans reproche, Autrefois Limburger et Frosch.
Wie eigenartig, vielseitig und vielversprechend für die Zukunft pulsirte überhaupt das geistige Leben in dieser deutschen Mittelstadt! Wohl kaum ein Schriftsteller der damaligen Zeit hatte nicht Verlagsbeziehungen zu Leipzig; fast Jeder von ihnen ist irgend einmal vorübergehend oder für längere Zeit nach Leipzig geführt worden. Nicht die unbedeutendsten hatten in Leipzig dauernd ihre Heimath gewählt. Sie alle lernte Blum allmählich kennen. Weithin glänzte schon damals der klare Stern der Leipziger Hochschule. Mit dem Verfassungsbruche in Hannover (12. Nov. 1837) ward auch der bedeutende Germanist Albrecht der Universität dauernd gewonnen. In der Musik braucht man nur an Namen wie Mendelssohn, Robert Schumann, Rietz, zu erinnern[11]. Das Theater, von jeher ein Liebling des Leipziger Publicums in Freud und Leid, in Fried und Streit, war von 1817 bis 1828 unter Küstner’s Leitung gestanden, 1829 sollte es unter königlicher Aegide neu organisirt werden. Unter Ringelhardt (1832) und noch mehr unter Schmidt (1844 flg.) wurde es zu einer Pflanzstätte der reinsten künstlerischen Bestrebungen und Darstellungskunst. Kaum ein berühmter Schauspieler, der hier nicht längere Zeit wirkte! Rasch und freudig hat endlich die rege, gesunde Stadt von den Freiheiten, welche Verfassung, Städteordnung, Zollverein boten, kräftig Besitz ergriffen. Am Ausgange der dreißiger Jahre schon regt sich Handel und Industrie der Stadt nicht minder hoffnungsvoll wie politischer und communaler Freisinn. Die stillen Freundschaftsgemeinden, die hier zahlreicher und intensiver wirken, als anderswo, thaten das Beste zu dieser Wandlung.
Von selbst bot das Theater und Robert Blum’s Stellung als Secretair an demselben, mit einem so großen Wirkungs- und Pflichtenkreis wie die contractliche Vereinbarung mit Ringelhardt ihn Blum auferlegte, zahlreiche Gelegenheiten zur Anknüpfung interessanter Bekanntschaften. Das Theater führte ihn mit allen Kreisen der Gesellschaft in Berührung, zumeist mit Schriftstellern, Musikern, Künstlern, aber auch mit dem Rathe, Redacteuren, Buchhändlern, Gelehrten. — Mit Herloßsohn, Marggraff, Gustav Kühne, Julius Mosen, Burkhardt, Dr. Apel, Sporschil, Georg Günther, Carl Cramer, Lortzing, Hofrath Winkler (Th. Hell), sehen wir ihn bald in eifrigem, persönlichem oder schriftlichem Verkehre. Mit dem Geographen Dr. Carl Andree wurde er auf eigenthümliche Weise bekannt. Blum pflegte, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, am frühen Morgen mit irgend einem Buche im Rosenthal sich zu ergehen. Hier fand ihn Dr. Andree, wie er im Grase lag und sein Buch studirte. Andree redete ihn an. Die Männer wurden bald innig befreundet.
Selbstverständlich hielt sich der junge Theatersecretair in den ersten Jahren seines Leipziger Aufenthaltes fern von politischer Parteinahme und fern von dem regen Parteitreiben Leipzigs in communalen Angelegenheiten. Unklar und formlos sprudelte ein grenzenloser Freiheitsdrang in den Köpfen der „Literaten“, die Robert Blum’s hauptsächlichen Umgang ausmachten. Einer dieser trutzigen Denker, die Oesterreich ausgespieen hatte und die nun an der Pleiße ihre tiefen Offenbarungen der Welt kundthaten, schrieb in jenen Tagen die denkwürdigen Verse:
„Deutschland braucht noch viele Seife,
Daß es sei gewaschen reiner,
Und es braucht zu seiner Reise
Noch viel Kerls wie Unsereiner“.
Unendlich roh und materiell führten Manche dieser Schriftsteller ihr Leben. Einer der fruchtbarsten unter ihnen, Sporschil, arbeitete wochenlang unablässig und trank dann zur Abwechslung tagelang unablässig. Er verbarg sich dann auf irgend einem Bierdorfe bei Leipzig, bestellte hier 24 oder 36 Glas Bier auf einmal und rastete nicht, bis sie vertilgt waren.
Einer der begabtesten und maßvollsten dieses Kreises, Dr. Georg Günther, später Blum’s Schwager, reckte sich bei einer Kegelei, zu der befreundete Meßfremde der Provinz eingeladen waren, plötzlich in die Höhe und verkündete mit heiliger Begeisterung die harte Nothwendigkeit, „daß alle deutschen Fürsten sofort zum Teufel gejagt werden müßten“. Blum wandte sich mit würdevoller Ruhe, als ob er die blutige Rede Günthers durchaus ernst nehme, an einen der entsetzten Provinzler mit der Frage: was er dazu meine? Und als der Biedermann schaudernd versicherte, daß sich bei ihm zu Hause nicht fünf Leute zu einem so ungeheuren Frevel finden würden, klopfte ihm Blum lachend auf die Schulter und sagte: „Brav so. — Siehst Du, Günther, das habe ich Dir immer gesagt.“ Vielleicht hat Robert Blum gerade durch den Umgang mit so excentrischen, unklaren Menschen den СКАЧАТЬ