Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke - Heinrich Zschokke страница 143

Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027214945

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      »Ich will es dir wohl im Vertrauen unter vier Augen offenbaren!« sagte der Müller. »Wenn es mit einer Gemeinde den Krebsgang geht, so kannst du dich darauf verlassen, hat sie schlechte Obrigkeit. Und das ist bei uns der Fall. Unsere Ortsvorgesetzten sind entweder eigennützige Menschen, oder einfältige, schwache Leute. Zwei von ihnen haben eigene Wirthshäuser, und der Schwiegersohn des dritten hat auch ein Trinkhaus. Da ist es ihnen eben recht, wenn die Leute lieber bei ihnen hinterm Tisch, als bei der Arbeit sind. Wird die Gemeinde versammelt, so ist es bald in diesem, bald im andern Wirthshaus, und da muß am Ende eins getrunken werden. Haben die Durstigen kein Geld, so wird ihnen geborgt. Können sie nicht zahlen, so kauft man ihnen ein wohlgelegenes Stück Land um das andere ab, oder nimmt es für die Schuld an; oder, was die Leute haben, wird öffentlich versteigert. Dann sind die Bettler fertig. Daher kommt nach und nach alles liegende Gut in die Hand einzelner reichen Leute. Wer Geld leihen will, geht zu ihnen und bekommt um doppelten und dreifachen Zins. So werden die Bedürftigen durch unchristlichen Wucher desto schneller zu Grunde gerichtet.«

      »Ei, warum borgen die, welche Geld brauchen, nicht lieber das Geld an andern Orten, oder in der Stadt bei rechtschaffenen Leuten?« rief Oswald.

      »Weil man unserer Gemeinde an andern Orten keinen Kreuzer mehr anvertraut!« erwiederte der Müller. »Denn weil die Gemeindevorgesetzten bisher die Geldaufbruchscheine für Bedürftige auf die lüderlichste und leichtsinnigste Weise ausgestellt haben, sind die. welche Geld darauf liehen, hintenach darum halb oder ganz betrogen worden. So haben wir durch die Nachlässigkeit der Vorsteher allen Kredit verloren und alle Hoffnung auf fremde Hülfe. Weil uns Niemand in der Stadt mehr borgen will, so schimpfen und fluchen unsere Leute tagtäglich auf die Städter und drohen mit Mord und Brand. Widerführe einmal der Stadt ein Unglück, so würde das die größte Freude unsers Lumpengesindels sein, obgleich wir von der Stadt noch viel Verdienst und Almosen haben.«

      »Das ist abscheulich!« schrie Oswald: »Aber wir haben ja noch ein ordentliches Gemeingut.«

      »Ja, das Gemeingut ist auch verschuldet und wird nur von den Reichen benutzt!« antwortete der Müller: »Denn wenn die Vorgesetzten ein Geschäft abthun, einen Umgang an den Marchen und Grenzen halten, eine Holzanweisung machen, oder sonst etwas extra verrichten: so wird auf Kosten der Gemeinde geschmauset und gezecht. Damit geht das Vermögen der Gemeinde durch die Gurgel der Vorsteher. Jeden Gang wollen sie bezahlt haben. Dazu kommt, daß, weil die Reichen Kühe halten können und die Armen keine, so benutzen sie den Weidgang im Wald und auf den Almenden allein für sich, und die Armen haben keinen Nutzen und Vortheil von den Gemeindsgütern.«

      »Wenn du das Alles weißt, Müller: warum sagst du das nicht der ganzen Gemeinde und öffnest ihr die Augen?« fragte Oswald zornig.

      »Weil es nicht hilft!« erwiederte der Müller: »Denn da die Meisten im Dorfe bei den Reichen verschuldet sind, so thun die Reichen was sie wollen, und es darf ihnen Keiner widersprechen. Und wenn unsereins gegen Mißbräuche den Mund aufthun will, so toben und lärmen die Lumpenkerle alle, daß man seines Lebens kaum sicher ist. Das wissen die Vorgesetzten und die Reichen wohl. Die betrachten die verlumpten Leute wie ihre Hunde, welche sie nach Belieben auf jeden loslassen können, der ihnen in die Quer kommt.«

      »Das ist entsetzlich!« schrie Oswald: »Wenn denn die Menschen keinen Verstand haben, so sollten sie doch ein Gewissen und Gottesfurcht haben.«

      »Ja, sie sollten wohl,« sagte der Müller, »aber woher nehmen? Unser Herr Pfarrer ist ein alter Herr, der für seine Pfründe und Bequemlichkeit sorgt, immer vom Glauben predigt, von Himmel und Hölle, und seine Kirchengeschäfte verrichtet, wie ein Anderer sein Tagwerk, und hat er es gethan, sich um Anderes nicht bekümmert. Was man thun müsse, worin die christlichen Tugenden bestehen, und wie man sie erlangen und ausüben müsse – das lehrt er nicht. Er geht Jahre lang in keines Bauern Haus, als im Nothfall, wo er gerufen wird. Folglich ist er kein wahrer Rathgeber, kein wahrer Tröster, und kennt den Zustand der Familien lange nicht genau genug, um auch im häuslichen Leben auf ihre Frömmigkeit und Besserung hin zu arbeiten. Die Leute gehen aus Gewohnheit in die Kirche, der Pfarrer predigt aus Gewohnheit, und mit dem Schritt aus der Kirche bleibt es bei den gewohnten Lastern und Lüderlichkeiten. Und weil die Menschen von innen in ihrem Herzen nicht besser werden, wird es auch von außen nicht besser. Und wie die Alten, so die Jungen.«

      »Was? Taugt der Schulmeister auch nichts?« fragte der Oswald.

      Der Müller sagte: »Seit dein Vater gestorben ist, der ein gottesfürchtiger, verständiger Mann war, geht es mit der Schule schlecht. Die Knaben und Mädchen lernen zur Noth lesen, Schreiben und Rechnen, auch wohl ein Gebet. Aber von ihren Aeltern daheim lernen sie, was sie sehen, nämlich Lug und Trug, Schwören und Fluchen, Unzucht und Heuchelei, Raufen und Balgen, Betteln und Stehlen, Spielen und Saufen, Müßiggang und Muthwillen, Hader und Neid, Verleumden und Lästern.«

      Als Oswald diese Dinge hörte, schüttelte er den Kopf und ging in seiner Seele betrübt von dannen.

      4.

       Wie der Oswald erschrecklich thut, und es ihm nicht hilft.

       Inhaltsverzeichnis

      An einem Sonntage nach der Predigt wurde die ganze Gemeinde versammelt; denn es war guter Rath theuer, woher Geld nehmen, weil im Lande eine außerordentliche Steuer ausgeschrieben, und noch dazu der Gemeinde eine Schuld aufgekündet war, die bisher nicht gehörig verzinset worden. Und das ganze Dorf kam nach alter Uebung unter der großen Linde auf dem Platz zusammen. Die Vorsteher waren im Kreise der Bürgerschaft, und außer dem Kreise standen die Weiber, Töchter und Kinder, zu hören, was vorgehe.

      Oswald war auch dahin gegangen, und hatte sich vorgenommen, seinen Mitbürgern über ihren traurigen Zustand die Augen zu öffnen. Daher, als die Vorgesetzten ihre Anträge gemacht und ihre Reden geendet hatten, stieg Oswald auf einen Stein, der mitten auf dem Wege lag. Da ward er von Jedermann gesehen. Also hub er an zu reden:

      »Liebe Mitbürger! Ich bin vorzeiten als ein Knabe von euch gegangen in den Krieg, und bin als Mann wieder zurückgekommen. Aber wie ich in unser Dorf kam, habe ich es kaum wieder gekannt, und mir ist in Wehmuth das Herz gebrochen, als ich sah, wie alles verändert worden ist. Denn vorzeiten hieß unser Dorf mit Recht Goldenthal, weil es ein goldenes Thal war, worin Gottes reicher Segen wohnte, mehr denn anderswo. Es waren bei uns die meisten Leute wohlhabend, nur wenige arm, und Bettler gar keine. Damals pflegte man uns, wegen unsers Wohlstandes, auch noch im ganzen Lande die Herren Goldenthaler zubeißen. Denn wir gingen nicht in zerrissenen Kleidern, wie Bettler, sondern stattlich einher, in sauberm doch einfachem Gewande; und hatten nicht nur im Hause zur Nothdurft, sondern auch einen Gulden darüber hinaus. Damals hatte die Gemeinde keine Schulden zu verzinsen, sondern sie bezog sogar von andern Orten Zinsen für ausgeliehene Kapitalien, die wir erspart hatten. Damals war alles Land wohlgedüngt und angebaut, denn Jeder hatte seine Kuh und sein Roß im Stall, und auch wohl Geißln und Schaafe oder ein Paar Schweine daneben. Damals glich unser Dorf schon von außen einem zierlichen Marktflecken. Die Häuser standen schön und nett, von innen wie von außen, daß sich kein Herr aus der Stadt hätte schämen dürfen, darin zu wohnen. Haus- und Küchengeräte verkündeten, man sei wohl versorgt, und die Fenster glänzten wie Spiegel. Wenige Leute hatten Schulden, und wer sie hatte, dem war nicht bange, wie er sie zahlen müsse. Damals bekam ein Goldenthaler ohne Handschrift und Unterpfand aus der Stadt auf sein ehrliches Wort hundert und mehr Gulden geborgt. Damals war für Goldenthal noch eine goldene Zeit.«

      Wie Oswald so redete, nickten ihm Alle freundlichen Beifall, und Einige sagten: »Der Oswald hat wohl Recht!«

      Er aber redete weiter und sprach: »Nun ist es nicht mehr so. Man sollte unser Dorf СКАЧАТЬ