Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski
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Название: Die Inseln der Weisheit

Автор: Alexander Moszkowski

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ aus unsichtbaren Hinterfronten versteckten. Bei anderen hatte die Aufsichtsbehörde ein Auge nachsichtig zugedrückt. Wir sahen einige Barbierläden, Pfandleihen, Schlachthäuser und Abdeckereien, die ihre baulichen Modelle, wiewohl nur in schüchterner Anlehnung, von der Akropolis und vom Parthenon herholten; wogegen allerdings die Museen und überhaupt alle Staatsgebäude die strengste platonische Kunstfeindlichkeit anstrebten, so daß man sie beim ersten Anblick für Kornspeicher, Trödelschuppen oder Ochsenställe halten konnte.

      Eines dieser Staatsgebäude wurde uns als das Oberkriminalgericht bezeichnet, und wir hatten das Glück, gerade dem Schlußakt eines aufsehenerregenden Strafprozesses beizuwohnen. Dieser spielte schon seit Wochen und empfing seine Wichtigkeit dadurch, daß er eine das Staatswohl in seinem Lebensnerv berührende Angelegenheit betraf.

      Angeklagt war ein Mann, der als Führer einer zwar kleinen, aber sehr rührigen Anarchistenpartei galt. Das Programm dieser Ultra-Radikalen ging dahin, daß die Hauptnorm des Staates umgestürzt und dafür die Kunst, insonderheit die Poesie, als Herrscherin aufgerichtet werden sollte.

      Jener Führer, mit Namen Sarasalgo, hatte im Verlauf seiner revoluzelnden Ideen einen wahrhaft diabolischen Kunstgriff getätigt. Er veröffentlichte ein von ihm verfaßtes hexametrisches Lehrgedicht nach dem Vorbild des Lukrez, worin er die Grundgedanken der Platonischen Dialoge dichterisch darstellte und mit künstlerischem Schwung verherrlichte. Seine grausame List lag also in folgender ideellen Zwickmühle: Da ich den Plato und die ideelle Kalokagathie anjuble, so muß mich unser Inselstaat in jeder erdenklichen Weise bevorzugen, auszeichnen und sogar zum Regenten befördern. Gibt er mir aber die Gewalt, so habe ich diese doch nur als Poet errungen, durch meine brillanten, üppigen Hexameter, und wenn diese als preiswürdig anerkannt werden, so muß in logischer Folge dieser ganze Anti-Poeten-Staat zusammenbrechen.

      Der Staatsanwalt, eine Kreatur des Ministerpräsidenten, nahm die Zwickmühle genau am entgegengesetzten Ende auf. Wir hörten sein letztes Plaidoyer, das in den Worten mündete: »Der Angeklagte Sarasalgo geht durchaus fehl in der Annahme, daß wir ihm auf den schlüpfrigen Boden seiner Sophistik folgen werden. Für uns liegt der Fall evident so: er hat gedichtet, und damit ist die Voraussetzung des Strafparagraphen erfüllt. Wenn er in seinen Versen anscheinend Plato lobpreist, so erkenne ich darin nur ein Manöver, um aus dem Hinterhalt und auf Schleichwegen Straffreiheit zu ergaunern. Es liegt nicht so, daß er davonkommen darf, um den Staat zu ruinieren, sondern so, daß wir den Staat retten müssen, indem wir den Mann verurteilen. Schon haben wir uns einer Unterlassungssünde schuldig gemacht, da wir einige Exemplare seiner Dichtung hinausließen, anstatt sofort die Leibesfrucht seiner Muse abzutreiben, als sie von ihm trächtig wurde. Jetzt aber heißt es: durchgreifen!« Er beantragte die höchste zulässige Strafe und schloß mit einem an Voltaire anklingenden Kernworte, das soviel besagte als Ecrasez l›infame!

      Und die Infamie des Künstlers wurde wirklich getroffen. Das Verdikt lautete auf lebenslängliche Verbannung nach der Straf-Insel Krakaturi und Vernichtung aller Exemplare und Platten. Das Prinzip der Gerechtigkeit und Sittlichkeit im Platonischen Staat hatte gesiegt.

* * *

      Am nächsten Tage begaben wir uns in die Aula der Akademie, wo die Feierlichkeiten zum Hundertjahr-Jubiläum ihren Anfang nahmen. Als Einleitung gab es eine Festkantate für Soli, Chor und Orchester, deren musikalischer Sinn mir, wie ich vorausschicke, unverständlich blieb.

      Plato selbst hat die Stellung der Musik in seinem Staatskörper nicht ganz unzweideutig definiert. Als zur Gesamtkunst gehörig kann sie ja seiner prinzipiellen Verurteilung nicht entgehen, nichtsdestoweniger gestattet er in beschränktem Grade deren Ausübung, vornehmlich in Verbindung mit der Gymnastik. Aus einigen Stellen seines Werkes kann man sogar die Begünstigung eines Verfahrens herauslesen, das man als ein symphonisches Turnen bezeichnen darf, und wir hatten weiterhin Gelegenheit, derartigen Übungen beizuwohnen. Auch hier in der Aula wurden im Mittelteil des Festes Sonaten am Schwebereck, Rondos an der Kletterstange und kontrapunktierte Fugen am Springbock vorgeführt. Darüber hinaus verordnet Plato wörtlich, daß alle sanften und weichlichen Tonarten aus seiner Republik zu verweisen sind, die Musik solle seinen Bürgern weder Freude noch Traurigkeit einflößen; alle jonischen, lydischen und mixolydischen Harmonien, alle Trink- und Liebeslieder sind zu verbannen; er erklärt die vielsaitigen Instrumente und gewisse Flöten als gefährliche Werkzeuge der Üppigkeit, gestattet dem Landvolk nur die Rohrpfeife, den Städtern nur die Leyer und die Zither; er beschränkt mithin die tonkünstlerischen Möglichkeiten auf das Alleräußerste und drückt die Instrumentierung auf eine Stufe, bei der kaum ein Komponist im Lande der Hottentotten sein Auskommen finden würde. Es muß festgestellt werden, daß die Musiker unserer Insel sich von dieser extremen Strenge bereits merklich emanzipiert hatten, weil sie sonst überhaupt nicht imstande gewesen wären, zu ihrem Jubelfeste eine Kantate aufzuführen. Immerhin hielten sich die Insulaner insoweit an das Platonische Programm, als ihr Chorwerk keine Freude, sondern in der Hauptsache nur eine gewaltige Ohrenpein verursachte, wenn ich als Maßstab die Empfindlichkeit unserer eigenen Ohren ansetze.

      In der Zwischenpause flüsterte mir Eva zu, sie könne das überhaupt nicht mehr aushalten und müsse fliehen. Ich versuchte, sie zu beruhigen: der Übelklang dieser Musik darf uns nicht veranlassen, sie restlos zu verwerfen. Wir haben uns ja auch in unseren heimischen Konzerten an allerlei katzenmusikalische Kakophonien gewöhnt und wissen aus der Kunstgeschichte, wie sehr sich die Rezeptivität der Hörer verändert. Vielleicht ist uns das große Publikum dieser Aula, das so andächtig und sichtlich erbaut zuhört, schon um Jahrzehnte oder Jahrhunderte im Urteil voraus.

      Eva widersprach: »Niemals werde ich mich überzeugen, lassen, daß eine wirkliche Musik von den Grundlagen des Taktes, der Tonalität und der reinen Stimmung abgetrennt werden kann. Immer wird ein Unterschied bestehen zwischen Stümpern und Könnern, wie zwischen dem Gekrächz eines Raben und dem Gesang einer Nachtigall. Mich empört nicht die Tatsache, daß diese Leute anders melodisieren und harmonisieren, sondern daß sie falsch musizieren, mit Instrumenten, von denen jedes für sich und alle untereinander so greulich verstimmt sind. Wenn man mir ins rechte Ohr B-dur und gleichzeitig ins linke Ohr B-moll bläst, so muß es zum mindesten wirkliches B-dur und B-moll sein, nicht aber ein Gequiek wie von ungeschmierten Türen, die zufällig in B quietschen.«

      »Liebes Fräulein Eva, auch daran werden wir uns gewöhnen müssen, hier und daheim bei uns. Nehmen Sie diese Musik als eine Vorbereitung zu den Konzerten, die uns zu Hause erwarten.«

      Das Orchester intonierte aufs neue zu einem glücklicherweise nur kurzem Finalsatz, in den mehrfach spontaner Beifall der bewundernden Hörerschaft hineinbrauste. Dieses Finale wurde auswendig vorgetragen, ganz ohne Noten und Dirigenten, und ich erfuhr später, daß damit eine ganz besondere Kunstübung geboten wurde: Der Komponist hatte vorgeschrieben, daß hier jeder der Ausübenden in Orchester und Chor ganz frei improvisieren sollte, jeder ohne welche Rücksicht auf die Übrigen, was und wie es der Moment ihm gerade eingäbe. Sicherlich wird dadurch eine weit größere Freiheit erzielt, als in der sklavischen Bindung an Partitur und Stimmen jemals erreicht werden kann. Da wäre also noch viel zu lernen für unsere europäischen Tonsetzer, die von der alten Schablonenfexerei nicht loskommen, immer erst aufzuschreiben, was nachher gespielt werden soll.

* * *

      Nach Erledigung der Kantate betrat der Magnificus der Akademie, Mitregent des Staates, das Podium zu einer langen, feierlichen Ansprache, die hier auf den zwanzigsten Teil verkürzt eine aphoristische Wiedergabe erhalten möge:

      Festgenossen! Wäre uns der Homer nicht verpönt und verboten, so müßte ich mit den Worten beginnen »Andra moi enepe«. Und die Muse hätte mir zu antworten: der Mann, den du meinst, der Mann, der eurem staatlichen Leben den Inhalt gibt, es ist Plato, der Imperator unter den Denkern, der einzige und vor allem der erste, der gewußt hat, wie man ein Volk herrlichen Zeiten entgegenführt.

      Durch ihn sind wir einer Fülle von Segnungen teilhaftig geworden, wie sie sich – das behaupte ich kühn, weil Ihrer Zustimmung sicher – über keine andere Menschengemeinschaft der Erde ergossen СКАЧАТЬ