Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski
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Название: Die Inseln der Weisheit

Автор: Alexander Moszkowski

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ diese Prozedur nur dann vorgenommen wird, wenn die regelrechte Entbindung für die Mutter eine Lebensgefahr darstellt? Sicherlich haben Sie doch in Ihrem Strafgesetzbuch einen Paragraphen, der für alle anderen Fälle die Vernichtung keimenden Lebens mit harter Strafe bedroht?«

      »Dieser Paragraph lautet bei uns anders. Er verbietet nicht, sondern er befiehlt den künstlichen Abortus, und er bestraft strengstens diejenigen, die ihn unterlassen; wenn nämlich nach Lage der Dinge Platos Wille in Kraft zu treten hat. Denn genau so klar wie er anordnet, daß kein Vater und keine Mutter ihre leiblichen Kinder unterscheiden noch von diesen unterschieden werden können, genau so klar setzt er für Vater- und Mutterschaft die Altersgrenze fest, jenseits deren abgetrieben werden muß.«

      »Und bei aller Verehrung für Plato erkläre ich das für eine Barbarei! Es widerspricht den elementaren Sittenforderungen und den heiligsten Empfindungen, die wir für das Leben der jungen Generation zu hegen haben.«

      »Dann müßten Sie auch Lykurg verdammen, der vielleicht noch radikaler als Plato auftrat und auf dessen Rechnung doch die Ertüchtigung der Spartaner zu setzen ist. Außerdem überlegen Sie einmal, wieviel Menschenopfer an Kinderleben wir bringen, und wieviel ihr Europäer ohne Plato-Staat, mit eurem humanen Bewußtsein. Vergleichen Sie numerisch die Liste unserer Keimtötung mit der euren, die sich unter dem Motto einer Hungerblockade vollzog. Hier sind es wenige Tausende, dort Millionen. Hier wird mit raschem Eingriff operiert, dort geschah das raffiniert langsame Morden. Hier besteht ein Zweck, der letzten Endes auf das Beste der Überlebenden hinauswill, dort waltete eine vom kalten Egoismus ersonnene Methode. Oder lassen Sie lieber die Vergleiche zwischen Euren Ländern und der von Ihnen entdeckten Insel, Sie hätten dabei nichts zu gewinnen!«

* * *

      Bettler umschwärmten uns, und ich hielt es für angezeigt, hier und da eine kleine Gabe auszuteilen. Wir waren dazu imstande, da wir uns auf unserer Promenade, was ich vorher zu erwähnen unterließ, in einem großen Bankhause mit ausreichender Münze versehen hatten. Es berührte uns zunächst recht sympathisch, daß der Dollar überhaupt angenommen wurde, wiewohl wir zweifellos die ersten waren, die diese Einheit hereinbrachten. Mac Lintock hatte also recht behalten: die überzeugende Kraft des Dollars kann wie die Lichtgeschwindigkeit und wie die Gravitation als eine Weltkonstante erachtet werden.

      Die für alle Inseln des von uns entdeckten Archipelagos gültige Münzeinheit ist die Dragoma, die in je hundert Dragominda zerfällt. Nach ihrer Kaufkraft gemessen würde die Dragoma etwa einem Vierteldollar entsprechen. Wir mußten trotzdem bei der Umrechnung zehn Dollar für den Gegenwert je einer Dragoma bezahlen, was den Amerikaner zu lebhaft gestikulierten, wiewohl vergeblichen Protesten veranlaßte. So eine Valuta-Schneiderei hätte er doch für undenkbar gehalten, und es wäre ein Glück für die Leute, daß auf Balëuto noch keine amerikanische Gesandtschaft existiere, sonst könnten diese Währungsschieber etwas erleben!

      Weitere Enttäuschungen folgten. Einer der Bettler, dem ich einige Dragominda geschenkt hatte, warf mir die Münzen vor die Füße mit der Motivierung, das sei falsches Geld. Ich nahm sie auf, ging nach der Bank zurück und stellte den Beamten zur Rede. Der erklärte, das hätte sofort moniert werden müssen, auf nachträgliche Reklamationen könnte sich die Bank nicht einlassen. Erst ein Geschäft perfekt machen und es nachher bemängeln, das sei unphilosophisch und verstoße gegen Treu und Glauben. Übrigens stellte es sich alsbald heraus, daß mindestens 75 Prozent des Geldes echt war, so daß eine ernstliche Verlegenheit für uns nicht entstehen konnte. – Ich beobachtete eine Szene, die im ersten Moment wie ein hübsches Genrebild anmuten konnte. Etliche Lazzaroni hatten auf Grund der von mir ausgeteilten Münzen an der Straßenecke ein fliegendes Hasard mit Spielkarten etabliert, eine Art von Proleten-Baccarat, das leider sofort in Streit und Handgemenge ausartete. Messer wurden gezückt, Gliedmaßen getroffen, Schreie gellten durch die Luft, und blutig färbte sich der Boden. Gegenüber stand ein behelmtes und bewaffnetes Individuum, offenbar ein Polizist, der von diesen Vorgängen nicht die leiseste Notiz nahm. Er dachte vielmehr tief nach, und es mußte wohl etwas Philosophisches sein, worüber er grübelte. Ich erfuhr später, daß auf der Insel zahlreiche und gutexerzierte Wachmannschaften vorhanden waren, die aber an diesem Tage den Sicherheitsdienst auf der Straße nicht wahrnehmen konnten, denn der Chef der platonischen Gendarmerie hatte sie zu einer Razzia auf die Epiker und Lyriker kommandiert, die der Verfassung zum Trotz in gewissen Spelunken in der Stadt hausten und dichteten. Es war also noch immer nicht gelungen, das versifizierende Gesindel gänzlich auszurotten.

      Wir überschritten eine Brücke und bemerkten darunter ein träge schleichendes Mittelding zwischen Bach und Fluß, das zwar mit grünlichem Farbenspiel optisch ganz interessant wirkte, aber aromatisch stark und nicht erfreulich auf die Nase fiel. Als ich unvorsichtig genug auf diesen pestilenzialischen Übelstand hinwies, empfing ich die Belehrung, daß ich die Wichtigkeit der Geruchsorgane wesentlich überschätze. Nach der Meinung der bedeutendsten Philosophen von Thales bis Kant sei die Nase ein ganz untergeordneter Sinn, auf den praktisch Rücksicht zu nehmen denkender Menschen absolut unwürdig wäre. Von dieser Maxime ausgehend lehne es die Platonische Republik grundsätzlich ab, etwas für die Stromreinigung zu tun, zumal es sich gezeigt habe, daß die Flußpestilenz gewisse Krankheiten begünstige, auf deren Erhaltung die Apotheker der Republik und die Leichenbalsamierer großen Wert legten. —

      Ebensowenig wie dieses fließende, gefielen mir die festen, monumentalen Gebilde, die sich auf den Plätzen der Stadt sehen ließen. Historisch genommen befanden sich ja die Bildhauer und Baumeister von jeher in schlimmer Lage, da sie ursprünglich in die allgemeine Verurteilung aller Künste einbegriffen waren. Und unter dem Druck dieser Verachtung litten sie natürlich in geistiger Hinsicht, selbst als man schon angefangen hatte, sie als leidige Unentbehrlichkeiten im Staatswesen zu erachten. Phidiasse und Michelangelos können sich nicht entwickeln, wo man ihresgleichen nicht verehrt, sondern eben nur duldet. Wir standen vor einem Werk, das ein Doppelmonument vorstellte und dem Genius des Musterstaates entsprechend einen philosophischen Gedanken in bronzener Massigkeit verkörperte. Es waren zwei riesige Gestalten, die hier als Dioskuren auftraten, so wie Goethe und Schiller in der Rietschel›schen Kolossalgruppe von Weimar. Nur daß die beiden Figuren sich hier in anderer, und zwar symbolisch gemeinter Anordnung präsentierten. Die eine war, wie zu erwarten, Plato, der erhabene Schutzpatron, der andere, wie aus der Inschrift hervorging: Immanuel Kant. Zum Ausdruck sollte gebracht werden, daß Kant›s Philosophie des transzendentalen Idealismus sich aus der Platonischen Ideenlehre entwickelt habe, oder anders gesagt, daß Kant auf den Schultern Platos stünde. Das wäre nun in Erz schwer auszudrücken gewesen, wenn nicht der Bildner auf den genialen Einfall geraten wäre, die Allegorie ganz wörtlich zu nehmen, das heißt, den Königsberger Denker tatsächlich dem Athener über die Schultern zu hängen und darauf reiten zu lassen. Dergestalt kam die Idee »Plato als Träger Kants« ganz klar heraus. Freilich blieben noch störende Einwände, so die anatomisch ganz falsche Gestaltung beider Männer, die schief eingeschraubten Beine und die unmöglichen Proportionen zwischen Kopf, Brust, Rücken und Extremitäten, Einwände, die indes in uns auch heimatliche Erinnerungen weckten, da wir ähnliche Skulpturen in unseren eigenen futuristischen Ausstellungen gesehen hatten.

      Die Philosophie fand in diesem Doppeldenkmal noch ein weiteres Symbolbereich, nämlich dadurch, daß der geräumige Sockel zu einer Bedürfnisanstalt ausgebaut war. Hierin lag der Absicht nach eine Ovation für Kant und seine berühmten Antinomien, da die reale Bestimmung des Sockels einen antinomischen Gegensatz zu der idealen Transzendenz des Oberbaues ausdrücken sollte. Außerdem barg die genannte profane Anstalt noch eine besondere philosophische Pointe: sie trug die Umschrift »Herakliteion«, zeigte im Innern das Relief Heraklits und darunter in griechischer Schrift dessen Hauptsatz παντα ρει (panta rhei, alles fließt), wonach nicht zu zweifeln, daß das Gesamtwerk sich sehr wohl in einen durchaus von Philosophen regierten Staatsorganismus einfügte. —

      Was die Baumeister anlangt, so lag für sie die Schwierigkeit einerseits in dem Mangel einer Tradition, andererseits an dem Platonischen Grundgesetz, welches die Schönheit als unsittliche Üppigkeit befehdet. Einige Architekten hatten sich dadurch geholfen, daß sie das Verhältnis zwischen Vorderfront und Rückseite СКАЧАТЬ