Die Inseln der Weisheit. Alexander Moszkowski
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Название: Die Inseln der Weisheit

Автор: Alexander Moszkowski

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ wissen, mein Fräulein! Ja, so steht es allerdings in Platons Staatsbuch. Und ich kann nicht verhehlen, daß uns dieser Befehl viele Jahrzehnte lang die peinlichste Beklemmung auferlegt hat. Es möge dahingestellt bleiben, ob der göttliche Plato seine Bestimmung ganz wörtlich verstanden wissen wollte …«

      »O nein, Herr Rektor,« sagte ich, »darüber ist gar kein Zweifel erlaubt. Ich habe erst gestern auf unserem Schiff, das eine stattliche Bibliothek mitführt, in Platos grundlegendem Werk geblättert und entsinne mich der Stellen ganz genau. Plato, vertreten durch seinen Sprecher Sokrates, polemisiert auf das heftigste gegen alle bloß der Eitelkeit und der Wollust dienenden Personen, Künste und Lebensarten, die eine verdammenswerte Üppigkeit befördern und deshalb in seinem Idealstaat nicht geduldet werden dürfen. Scharf eifert er gegen die Maler und Bildner, gegen die Tonkünstler und ganz besonders gegen die Poeten, mit ihren Dienern, den Schauspielern, Rhapsoden und Tänzern, welche in einem gesunden Gemeinwesen nichts zu schaffen hätten. Diese Schädlinge stellt er auf eine Stufe mit den verderblichen Gilden der Putzmacherinnen, Haarkräuslerinnen, Bartscherer, Garköche und Schweinehirten…«

      »Daraus ersehen Sie schon,« unterbrach der Rektor, »daß Plato nicht unerbittlich auf seinem Schein steht, denn er selbst, der Mann der Symposien, ließ sich ja wohlschmecken, was aus dem Gehege der Schweinehirten entstammte und durch athenische Garköche lecker zubereitet wurde.«

      – Mit Verlaub, Herr Rektor: Sie kopieren auf Ihrer vortrefflichen Insel nicht Alt-Athen in concreto, sondern Sie wollen das Wunder leisten, ein Ideal-Athen aus der Abstraktion in die Wirklichkeit zu heben. Und da können Sie doch an den klaren Anweisungen Platos gar nicht vorbei: Kein Erbarmen mit den Dichtern! so lehrt er. Homer und Hesiod müssen vertilgt werden! Ihre Gesänge sind nicht, wie man vordem glaubte, als heilige, von den Musen erflossene Eingebungen anzusehen, sondern als mit rohen, pöbelhaften Begriffen und Gesinnungen durchsetzte, abgeschmackte Märchen, in denen die höchst unsittlichen Reden und Taten der Götter eine entsetzliche Moralfäulnis ausstrahlen. Und daraus folgt, streng nach Plato: Fort mit Homer und Hesiod, fort überhaupt mit aller Poesie und sämtlichen verdammten Künsten!

      Der Schulmann entgegnete: »Wir beugen uns selbstverständlich der Autorität unseres erhabenen Meisters – soweit es eben möglich ist. Allein wir gelangen an den Punkt, wo die Unmöglichkeit beginnt. Denn um Plato und die übrigen großen Philosophen zu verstehen, bedürfen wir des Griechisch-Lateinischen, und dieses Studium würde blöde und stümperhaft ausfallen, ohne die klassischen Dichter. Wir lesen sie deshalb aus sprachlichen, das heißt grammatischen Gründen. Wir erziehen unsere Jünglinge und Mädchen zur Verachtung dieser Klassizitäten, aber wir lesen sie mit ihnen aus gymnasialen Gründen. Ich will Ihnen eine Probe dieser Methode mitteilen. Vor einigen Tagen begann ich mit den Zöglingen die Ode des Horaz

      Exegi monumentum aere perennius…

      (Dauerhafter als Erz schuf ich mein Ehrenmal);

      ich nahm die Gelegenheit wahr, um generell meinen Abscheu vor Horaz und seiner skandierenden Gilde auszusprechen, und wandte mich dem ersten Worte zu: »Exegi«; ich erläuterte ausführlich die Herkunft des Ausdrucks aus ex und einer griechischen Wurzel ago, betrachtete dann die Präsensform exigo mit dem kurzen i, das sich im Praeteritum exegi mit elastischer Phonetik zu einem langvokalisierten e verzaubert, und erörterte dann ausführlich alle Autoren, die außer Horaz das nämliche Verbum in zahlreichen Abstufungen der Bedeutung angewandt haben; so Cicero, Livius und Varro, welche mit exigo den Begriff des Hinausjagens verbinden, während es bei Ovid als Inschwungsetzen, und bei Terenz als Durchfallen im Bühnensinne auftritt. Das exigo bei Quintilian und Tacitus bedarf noch einer besonderen Analogie, allein ich hoffe, daß ich in einer der nächsten Lektionen bis zum zweiten Wort der Horazischen Ode vordringen werde, also bis zu »Monumentum«, dessen grammatische Verwandtschaft mit moneo, als dem Factitivum von memini, auf den Stamm mens, mentis und damit auf die Grundwurzel aller Geistigkeit überhaupt hinleitet, insofern – — —« »Genug!« rief Donath; »es soll uns als erwiesen gelten, daß Sie Ihr Programm, die Jungen mit Haß und Abscheu gegen klassische Verse zu sättigen, vollkommen erfüllen, zweifellos gründlicher und gediegener als irgend ein Magister meiner deutschen Heimat. Aber wir dürfen unseren Hauptzweck nicht aus den Augen verlieren, ich schlage deshalb einen Spaziergang vor zu einer ersten Orientierung in Ihrer platonischen Stadt, die uns neben ihrem antipoetischen Grundzug hoffentlich recht viel Schönes und Erbauliches bieten wird.«

      Wir erhoben uns, von Erwartung geschwellt, und begaben uns auf die Wanderung. Vor uns lag das vorausgeahnte polynesische Neuland, in erster Probe als ein Staat, der ausschließlich von Philosophen regiert wird. Also sicher ein starker Kontrast zu allem Erlebten. Ich entsann mich, daß in unseren heimischen Ländern der körperliche Schwerarbeiter höher rangiert als der Denker, und daß bei uns nur derjenige die Anwartschaft auf staatliche Macht gewinnt, der von Philosophie keine Ahnung hat.

      Das erste, was uns auffiel, war die Menge schlechtgepflegter Kinder, die sich in den Straßen tummelten, und ich gab der Verwunderung Ausdruck, daß sich deren Eltern anscheinend so wenig um sie kümmerten. Yelluon erläuterte, der Begriff »Eltern« passe eigentlich nicht recht hierher, denn es herrsche ja in den meisten Schichten des philosophischen Staates Weiber- und Kindergemeinschaft, und infolgedessen eine Komplexität der sexuellen Verhältnisse, bei der von einer Elternschaft im gewöhnlichen Sinne gar nicht mehr die Rede sein könne. Ganz recht! hier lag ja ein Hauptpunkt der platonischen Verordnungen vor, und wenn irgendwo, so hatte sich hier die Philosophie des Musterstaates zu betätigen. Es kommt wesentlich auf die Menge der erzeugten Kinder an, nicht aber darauf, daß das einzelne Kind seine Herkunft von einem bestimmten Papa und einer bestimmten Mama herleitet. Denn auch der Mutterbegriff verflüchtigt sich in einer Gemeinschaft, in der die Mutterpflicht und die Mutterliebe vom philosophischen Standpunkt als unwesentlich, ja als störend erkannt worden sind.

      »Aber Herr Yelluon,« rief ich, »Sie leben doch nicht in Weibergemeinschaft, Sie haben doch eine Gattin! und wenn sie auch einer Unpäßlichkeit wegen bei Tisch nicht erschien, so existiert sie doch zweifellos!«

      »Als weibliches Wesen allerdings, als meine Frau nur in sehr beschränktem Grade. Ich bin mit Upanischa – so heißt sie – nur so nebenbei, ganz oberflächlich verheiratet. Augenblicklich wohnt sie bei mir, was nicht ausschließt, daß sie übermorgen die Bettgenossin eines anderen wird, was nicht weiter verwunderlich, da sie ja schon durch viele Dutzende von Händen ging; sie war auch schon mit dreitägiger Gültigkeit mit dem Rektor und mit mehreren Ministern verheiratet, und ich nehme an, daß unter den uns auf der Straße begegnenden Männern sich zahlreiche befinden, deren Lager sie als Gemahlin bereits erheitert hat, oder demnächst erheitern wird.«

      »Und das sagen Sie so leichthin! Sie als Bürger eines Staates, der auf absolute Moral gegründet sein soll! Der Staat ist doch auf die Ehe basiert und diese auf die Liebe? Wen lieben Sie denn eigentlich? und wen liebt die Dame Upanischa?«

      »So viele Fragen, so viel Denkfehler, um nicht zu sagen Sinnlosigkeiten. Sie übersehen gänzlich das Grundprinzip, die Philosophie, und Sie sind noch nicht imstande, diese Linie zu verfolgen, da Sie aus unlogischen Ländern herkommen. Ihnen schwebte bei Ihrer Expedition vor: Sie wollten eine Entdeckung machen. Nun denn, Sie besitzen Grund zum Jubeln, Sie haben wirklich entdeckt! Sie stehen in diesem Polynes zum erstenmal auf dem festen Grund der Logik. Der Staat und die Ehe, so wie sie Ihnen bekannt sind, setzen allerdings die Liebe voraus, das heißt, Sie etablieren eine auf Dauer berechnete Einrichtung und stützen sie auf einen nach Minuten abzählbaren Zustand. Sie bauen die Staatspyramide derart, daß sie mit der Spitze nach unten steht, mit der Grundseite nach oben, und wundern sich dann, wenn sie umfällt. Wie kann man etwas Festes, Stetiges aus einem bloßen Gefühl entwickeln wollen, das nach aller Erfahrung unstetig ist, flackernd und abrupt? Plato hat diesen Widersinn erkannt, nicht euer Plato, auf den Ihr als einen europäischen Philosophen pocht, sondern unser Plato, der von uns begriffene und realisierte…«

      – Eine Zwischenbemerkung, Herr Yelluon: Sie mögen ja diesen Weltmeister gründlicher erforscht haben, aber auch wir besitzen treffliche СКАЧАТЬ