Название: Himmel (jetzt reicht's aber)
Автор: Andrea Ross
Издательство: Автор
isbn: 9783967525328
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Die Angestellte trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und wäre vor Verlegenheit am liebsten im Teppichboden versunken.
»Frau Hugler ist … unpässlich und kann jetzt gerade nicht, Entschuldigung«, quetschte sie leise hervor. »Es tut mir leid, sie
…« Weiter kam sie nicht, denn Mühlenstein fiel ihr unwirsch ins Wort. »Das ist mir so was von egal! Die soll machen, dass sie hier wieder auftaucht, sonst ist ihre eigene Kündigung das Erste, was sie morgen früh auf ihrem Schreibtisch vorfindet! Sagen Sie ihr das!« Damit war die Audienz beendet und Mühlenstein würdigte die unglückliche Frau hinter dem Türspalt keines Blickes mehr.
»Es muss an diesem großkotzigen Thronsaal liegen«, überlegte diese, als sie die Türe leise und behutsam wieder zuzog. »Da drin werden sie scheinbar alle in Windeseile größenwahnsinnig.« Sie holte tief Luft und machte sich auf den Weg zur Damentoilette, um sich wider Willen ein gerüttelt Maß an Zicken-Terror bei Annika abzuholen.
* * *
Kirstie McLaman hätte am liebsten einfach kommentarlos aufgelegt. Seit einer halben Stunde nervte diese Kati Kierstein am Telefon, was das Zeug hielt; dabei musste sie sich noch um so einiges kümmern, was sonst immer Thomas erledigt hatte. Rechnungen bezahlen, Steuerunterlagen zusammensuchen, Pool-Service bestellen und ähnlich unangenehmes Zeug. Schon morgen musste sie nach ihrer Auszeit, die sie wegen des unerwarteten Todes ihres Ehemannes genommen hatte, wieder am Arbeitsplatz erscheinen und ihr lief bereits ziemlich die Zeit davon.
»Mensch Kati, ich weiß es doch wirklich nicht! Er ist heute Morgen aus dem Haus gegangen, hat mir aber nicht verraten, wohin! Meine Güte, Stephen ist längst erwachsen. Da informiert er seine Mutter nicht mehr über jeden Schritt, den er tut. Er könnte überall sein: in der Firma, auf Jobsuche, Kaffee trinken, einkaufen
… ich habe nicht den blassesten Schimmer einer Ahnung! Aber auch das sagte ich schon!«
Kati überlegte. »Wieso in der Firma? Ich dachte, sein Projekt bei der I-COMP GmbH sei vor ungefähr drei Wochen ausgelaufen? Ich habe in diversen Fachzeitschriften darüber gelesen, dass Stevie recht erfolgreich war. Und sorry, ich kann mir echt nicht vorstellen, dass er sich in der Firma seines Vaters aufhalten könnte. Wenn Sie wüssten, wie er da so manchen mir gegenüber tituliert hat!«, erklärte Kati besserwisserisch.
Kirstie verlor nun endgültig die Geduld. »Kati, ich lege jetzt auf! Es ist weder meine Schuld noch mein Problem, wenn eure Beziehung nicht funktioniert hat. Manchmal muss man eben einen Schluss-Strich akzeptieren, nicht wahr? Ruf mich bitte nicht mehr an. Entweder, du erreichst Stephen doch noch auf seinem Handy, oder er drückt deine Anrufe absichtlich weg. In diesem Fall hätte es ohnehin keinen Zweck, ihm weiter nachzulaufen, meinst du nicht auch?«
Kirstie hatte Kati nie gemocht und machte keinen Hehl dar aus. Sie hielt das Mädchen für ein Erfolgs-Groupie, das sich an ihren Sohn nur herangemacht hatte, weil er gut verdiente und großzügig alles bezahlte, sobald sie zusammen waren. Wobei sie ziemliche Ansprüche stellte, ihr dünkte kaum etwas gut genug. Neulich hatte sie glatt versucht, Stephen zur Buchung eines kostspieligen Urlaubs auf den Malediven zu bewegen; auf seine Kosten, versteht sich. Dabei waren die beiden nicht länger als vier Monate zusammen gewesen, wovon mindestens zwei nicht ganz harmonisch, eher wie eine stetige Achterbahnfahrt der Gefühle verlaufen waren.
Kirstie hatte Kati gleich beim ersten kurzen Aufeinandertreffen in die Augen gesehen und seither eine gehörige Antipathie entwickelt. Es hatte kalte, hinterlistige Augen, dieses Mädchen. Und so eine hatte bei Mama Kirstie von vorneherein verspielt.
Seufzend machte sich Kirstie daran, mühselig ihre begonnenen Arbeiten fortzusetzen. Aber wo befand sich eigentlich der Ordner mit den Gehaltsnachweisen ihres Mannes? Hatte sich den vielleicht Stephen mit aufs Zimmer genommen, etwa wegen seines plötzlich erwachten Interesses für die LAMANTEC, welche er neuerdings sogar zu leiten trachtete? Was dachte er sich nur dabei, ihr Sohn neigte doch sonst nicht dermaßen zur Selbstüberschätzung?
Natürlich, er hatte in seinen jungen Jahren bereits beachtliche Erfolge als Programmierer gefeiert, das war schon richtig. Aber es war eben etwas gänzlich anderes, den Dompteur in einer Aktiengesellschaft zu spielen, zwei Paar Stiefel waren das! Ihr verstorbener Thomas hatte nie richtig programmieren gelernt, dafür beschäftigte er seine Leute. Stattdessen verstand er viel vom Geschäft und den für Erfolg notwendigen Winkelzügen.
Vor der Tür zu Stephens Zimmer stutzte Kirstie. Sollte sie einfach hineingehen oder wäre dies ein Einbruch in die Privatsphäre ihres Sohnes? »Ach Quatsch!«, schalt sich die attraktive Rothaarige. »Bei dieser Gelegenheit kann ich das Bermuda-Dreieck auch gleich ein bisschen von dreckiger Wäsche und Müll befreien! Muss ja ab und zu sein, bevor einiges einen Pelz bekommt oder wieder zu leben anfängt«, schmunzelte sie.
Nanu? Kirstie traute ihren Augen kaum. Stephen hatte offensichtlich sein Zimmer picobello aufgeräumt; absolut nichts lag auf Boden oder Bett herum, wobei letzteres sogar ordentlich gemacht worden war. Seit dem Tod seines Vaters kam er ihr insgesamt verändert vor, irgendwie gereifter. So als müsse er nun endgültig seine Jugend und seinen Leichtsinn ablegen, und unmittelbar danach in Vaters Fußstapfen treten.
Vielleicht täuschte sie sich und man konnte ihm doch vertrauensvoll eine Chance in der Firma geben? Sie würde darüber nachdenken, ob sie ihre Bedenken beiseiteschieben und Stephen lieber in seinem Bestreben unterstützen sollte. Ihr widerstrebte der Gedanke, dass ansonsten jemand Fremdes künftig die totale Kontrolle über Thomas‘ Lebenswerk an sich reißen könnte. Wer konnte schon abschätzen, was in diesem Fall aus dem Unternehmen werden würde? Ein schwieriges Erbe, mit dem sie Thomas hier alleine gelassen hatte! Fast war sie ein wenig böse auf ihn.
Noch immer mochte Kirstie nicht bis in die letzte Gewissheit realisieren, dass ihr Ehemann tot war. Bei jedem Geräusch im Haus schreckte sie auf, als müsse er gleich mit seinem dynamischen Schritt um die Ecke biegen. Zu unwahrscheinlich schien es, dass sich ein Thomas McLaman einer höheren Macht hatte beugen müssen, denn dies war ihm zu Lebzeiten niemals geschehen. Und doch hatte ausgerechnet der Sensenmann diesen Kampf binnen weniger Minuten gewonnen.
Kirstie stand gedankenverloren mitten in Stephens Zimmer, bis sie sich selbst zur Ordnung rief und endlich zurück in die heutige Realität fand.
Richtig, hier stand ja der gesuchte Akten-Ordner! Als Kirstie McLaman diesen an sich nehmen und das Zimmer verlassen wollte, fiel ihr Blick auf eine hübsche, recht kompliziert aufgebaute Zeichnung. Sie lag gleich neben dem Ordner offen zugänglich auf Stephens Schreibtisch.
Was war DAS denn?! Ein Baum … Kirstie konnte nicht anders, sie musste dieses seltsam verästelte Gewächs mit den vielen Symbolen und Textstellen darauf näher betrachten. Sie verließ das Zimmer erst 20 Minuten später und war nun fest davon überzeugt, dass mit Stephen etwas nicht stimmen konnte. Ganz und gar nicht.
* * *
Die ersten paar Meter waren so richtig peinlich gewesen. Stephen musste sich eingestehen, dass er das Motorradfahren einfach nicht mehr gewohnt war; wie bei einem blutigen Fahranfänger machte die Maschine erst einmal ein paar kleine Bocksprünge, bevor sie sich ungelenk in den Straßenverkehr einreihen konnte. Es fiel Stephen nach all den Jahren der Motorrad-Abstinenz unerwartet schwer, seine geliebte Harley zu beherrschen und sie sicher durch die Cuxhavener Innenstadt zu steuern.
Diesen Donnerstag wollte er intensiv nutzen, um zu recherchieren. Wenn man sich vor kurzem noch im Jahr 2029 befunden hatte, dann per Erschießung in den Himmel »aufgefahren« war und nach einer göttlichen Standpauke wieder im Jahr 2004 auf der Erde abgesetzt wurde, konnte man schon leicht die Orientierung verlieren. Es СКАЧАТЬ