Название: Himmel (jetzt reicht's aber)
Автор: Andrea Ross
Издательство: Автор
isbn: 9783967525328
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Bin ich jetzt noch mit Kati zusammen oder nicht? Sonstige Freunde oder Feinde?
Wie sieht mein Bankkonto aus und wie ist die Geheimzahl meiner EC-Karte? Im Jahr 2004 funktionieren Abhebungen noch nicht mit einem Retina-Scan!
Wo ist Lena und besteht auch dieses Mal Selbstmordgefahr? Lebt ihre Mutter in Prag?
Fragen über Fragen, die sich Stephen fein säuberlich auf einem Notizblock notiert hatte, bevor er losgefahren war. Er konnte überhaupt nicht sicher sein, dass alle Facetten seiner neuen Existenz denselben Stand von 2004 aus dem anderen Leben aufwiesen – schließlich hatte er gleich zu Anfang feststellen müssen, dass sein Vater bereits gestorben war; das war neu und traurig zugleich. Doch dies waren nur die elementarsten Dinge, die es abzuklären galt. Im Hinblick auf die Zukunft hatte er außerdem noch zu entscheiden, auf welchen Ästen Yggdrasils er durch dieses letzte Stück Leben surfen sollte, das man ihm gewährte.
Stephen parkte die Harley vor einem kleinen Bistro am Rande der Fußgängerzone Cuxhavens, in welchem er im ersten parallelen Leben manchmal mit Lena gesessen war und bestellte sich einen Latte Macchiato mit Amaretto-Sirup. Der schmeckte hier so lecker wie nirgendwo sonst, Steve erinnerte sich wehmütig; das war damals auch Lenas Ansicht gewesen.
Nachdem die Bedienung das hohe Glas mit der Kaffeespezialität vor ihm abgesetzt hatte, las er sich seine Liste noch einmal durch. Genau, diese schwierigen Fragen mussten zuallererst abgeklärt werden! Stephen hätte etwas darum gegeben, einfach seiner Mutter ein Loch in den Bauch fragen zu können; doch was würde sie dann denken? Im harmlosesten Fall würde sie ihn besorgt zum Arzt jagen, wegen des dringenden Verdachts auf Gedächtnisschwund oder Alzheimer. Stephen blätterte das bereits beschriebene Blatt seines Blocks nach hinten, fuhr sich nervös durch das Haar und kaute nachdenklich auf dem oberen Ende seines Kugelschreibers herum.
»Mal sehen. Jetzt wird es spannend. Fest steht nur, dass ich dieses Mal alles anders machen muss, ansonsten geht es wohl per Expresslieferung ab in den Hades«, dachte sich Stephen sarkastisch.
Nach und nach fielen ihm zu seinem eigenen Entsetzen tatsächlich so einige Entscheidungen ein, die er in allernächster Zukunft zu treffen hatte, damit sich bloß um Himmels Willen nichts in die falsche Richtung entwickelte. Er notierte:
Kann ich es wagen, wieder mit Lena und später auch mit Jessi in Kontakt zu treten, ohne irreparablen Schaden anzurichten? Soll ich in Vaters Firma arbeiten? Gelingt es mir überhaupt, ohne dass ich mit ihm zusammenarbeiten kann/muss?
Wie ignoriere ich den Weltuntergang, ohne etwas zu unternehmen? Darf ich jemanden vor den drohenden Naturkatastrophen in den Jahren davor warnen?
Sollte ich nach Prag fahren, um wenigstens herauszufinden, ob ich dieses Mal bei den 144.000 Auserwählten dabei bin?
Kann ich meine abartige Geschichte der drei Leben jemandem anvertrauen oder lande ich dann schnurstracks in der Psychiatrie? Was wollen die da oben denn genau von mir, was ich noch NICHT getan und ausprobiert hätte?
Beim Lesen seiner eigenen Liste beschlich Stephen das ungute Gefühl, dass er die Sache mit seinem Seelenheil ja im Grunde nur versieben konnte. Wenn er so gar nicht wusste, worum es den himmlischen Herrschaften überhaupt ging? Die Mutlosigkeit befiel ihn angesichts dieser Perspektive wie ein lähmender Kokon. Stephen winkte die Bedienung zu sich, um seine Zeche zu bezahlen. Er hatte beschlossen, die einfachste Frage zuerst abzuklären: diejenige nach seinem Kontostand. Die zu seiner Karte gehörende Geheimzahl hatte er zum Glück in verschlüsselter Form hinter dem Registereintrag »Kohle« auf seinem Handy gefunden, wenigstens ein Problem weniger! Da würde er gleichzeitig feststellen können, ob aktuell Gehaltszahlungen von irgendeinem Arbeitgeber auf seinem Konto eingingen oder nicht.
Als er nach Erhalt der Rechnung seine Brieftasche aus der anderen Jackentasche herausfischen wollte, ertastete er darin zu seiner Überraschung einen weiteren Gegenstand. Ja klar, Belindas Handy! Daran hatte er gar nicht mehr gedacht … Damit stand jetzt fest, wohin er gleich nach seinem Besuch auf der Bank fahren würde; Belinda hatte ihm neulich im Café ziemlich frustriert anvertraut, in welchem Salon sie arbeitete, was sich nun als Vorteil herausstellte.
* * *
»Zum Teufel noch mal, dann rufen Sie eben die Firma an, die diesen Safe hier installiert hat! Die sollen ihn aufschweißen, mit einem Dietrich bearbeiten, oder was sonst denen einfällt!« Volker K. Mühlenstein kochte vor Wut. Seit Tagen versuchte er, diese unfähige Vorzimmerschnepfe dazu zu bewegen, endlich seine Aufstellungen zu schreiben, welche er langsam ultradringend für die Vorstandssitzung benötigte. Und sie wollte sich gebetsmühlenartig damit herausreden, sie brauche dafür mehrere Unterlagen, die im Safe des Thronsaals lagerten. So langsam riss Mühlenstein auch der allerletzte Geduldsfaden.
»Herr Mühlenstein, das geht eben nicht! Diese Firma weigert sich, auch nur einen Finger krumm zu machen!« Annika Hugler hatte mittlerweile alles eingebüßt, was ihre oberflächliche Persönlichkeit normalerweise ausmachte. Ihre Bewegungen waren fahrig und nervös, einer der sonst perfekten Fingernägel abgekaut, und auf ihrem Gesicht bildeten sich vor Aufregung oder Hektik rote Flecken. Keine Spur mehr von der üblichen Professionalität, die sie zumindest vorzugaukeln verstand, auch nicht von der überheblichen Arroganz. Die Sekretärin war schlichtweg verzweifelt und holte tief Luft.
»Ich habe es schon versucht, doch da wurde offensichtlich ein Passwort vereinbart, ohne welches man sich dort nicht autorisieren kann. Keiner in der Firma weiß etwas darüber, ich habe alle befragt. Sogar in Spanien bei diesem Victor Gómez habe ich angerufen. Sie wissen schon, der Hotelbesitzer, mit dem Thomas McLaman eng befreundet war! Aber dem hat er Code oder Passwort auch nicht verraten – behauptet er wenigstens!«
Mutlos sank Annika Hugler in ihren ergonomisch geformten Sessel und wartete auf die Standpauke ihres Lebens. Oder auf die Kündigung, welche ihr seit Tagen bei jeder Gelegenheit angedroht wurde. Aber Volker K. Mühlenstein wirkte plötzlich, als habe ihm jemand oder etwas wieder Leben eingehaucht.
»Sie haben ALLE gefragt, sagen Sie? Auch Thomas‘ Ehefrau und seinen Sohn?« Lauernd betrachtete er ihr Mienenspiel, das ihm augenblicklich verriet, dass sie eben dieses nicht getan hatte oder sogar mit Absicht verweigerte, aus welchen Gründen auch immer. Was für eine Enttäuschung, diese Hugler!
»Nein, die nicht!«, kam es kleinlaut aus dem Sessel. »Aber ich glaube nicht, dass ausgerechnet diese beiden …«
Mühlensteins Miene gefror, wurde zu einer eisigen Maske aus purer Verachtung. »Bemühen Sie sich nicht länger, Frau Hugler! Gehen Sie mir nur aus den Augen und zwar ein bisschen plötzlich. Ich kläre das selbst und erwarte, dass Sie Ihren Schreibtisch in spätestens einer Stunde geräumt haben. Hoffentlich bekommen Sie wenigstens DAS auf die Reihe! Die fristlose Kündigung wird dann per Post zugestellt, schon morgen deaktiviere ich Ihren Zugangscode zu diesen Räumen!«
Annika konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Was hatte sie in seinen Augen denn bloß verbrochen? Konnte Mühlenstein wissen, dass Stephen McLaman tatsächlich behauptete, im Besitz der Nummernfolge zu sein? Eigentlich nicht, woher auch? Ihr Stolz hatte es nämlich nicht zugelassen, dass sie bei Stephen zu Kreuze kroch und ihn um die Kombination anflehte; sie hatte hoch gepokert, indem sie diese Information gegenüber Mühlenstein absichtlich unterschlug. Und jetzt verlor sie deswegen, so wie es aussah, ihren Job.
Während ihr neuer Chef die Tür zum Thronsaal hinter sich zuknallte, suchte sie erst einmal die Toilette auf. Sie musste bei ihrem Abgang wenigstens Haltung bewahren, schon weil die anderen Weiber ganz schön feixen würden, wenn ihre »Prinzessin« die Fliege machen musste. Denen käme das gerade Recht, die СКАЧАТЬ