Название: Das Geld
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188484
isbn:
Seit zwanzig Jahren hatte Busch ganz oben im fünften Stock eine kleine Wohnung, die aus zwei Zimmern und einer Küche bestand. Als Kind deutscher Eltern in Nancy geboren, war er aus seiner Geburtsstadt hierher verschlagen worden und hatte seinen ungemein verwickelten Geschäftsbereich nach und nach ausgedehnt, ohne das Bedürfnis nach einem größeren Arbeitszimmer zu empfinden; seinem Bruder Sigismond hatte er das Zimmer zur Straße überlassen, während er sich mit dem kleinen Raum auf den Hof hinaus begnügte, in dem sich der Papierkram, die Akten und alle möglichen Pakete derart häuften, daß nur noch für einen einzigen Stuhl am Schreibtisch Platz war. Eines seiner großen Geschäfte war wohl der Handel mit den entwerteten Papieren, die bei ihm zusammenliefen; er diente als Vermittler zwischen der Winkelbörse der »Naßfüßler« und den Bankrotteuren, die Löcher in ihrer Bilanz zu stopfen haben; daher verfolgte er die Kurse, kaufte manchmal direkt und bezog die Mittel dafür aus den Einlagen, die man ihm brachte. Aber außer dem Wucher und einem geheimen Handel mit Schmuck und Edelsteinen befaßte er sich besonders mit dem Ankauf von Schuldforderungen. Und das brachte die Wände in seinem Arbeitszimmer fast zum Einstürzen, das trieb ihn in Paris in alle vier Himmelsrichtungen, ließ ihn wittern und lauern, gewährte ihm Einblick in alle Schichten der Gesellschaft. Sobald er von einem Bankrott erfuhr, lief er herbei, strich um den Konkursverwalter herum und kaufte schließlich alles, woraus man nicht unmittelbar Nutzen ziehen konnte. Er schnüffelte in den Büros der Notare, wartete auf die Eröffnung strittiger Hinterlassenschaften und wohnte den Versteigerungen der hoffnungslosen Schuldforderungen bei. Er veröffentlichte selbst Anzeigen, lockte die ungeduldigen Gläubiger an, die lieber sofort ein paar Sous einstecken als Gefahr laufen wollten, ihre Schuldner gerichtlich belangen zu müssen. Und aus diesen mannigfachen Quellen floß das Papier wirklich körbeweise, entstand der unaufhörlich anwachsende Papierberg eines Lumpensammlers der Schuld: unbezahlte Wechsel, nicht eingelöste Schuldverschreibungen, nicht eingehaltene Vergleiche und Verpflichtungen. Dann begann die Auslese, wurde mit der Gabel in diesem Gericht aus verdorbenen Speiseresten herumgestochert, was ein besonderes, sehr feines Gespür erforderte. In diesem Meer von verschwundenen oder zahlungsunfähigen Schuldnern mußte man eine Auswahl treffen, um sich nicht allzusehr zu verzetteln. Grundsätzlich war er der Meinung, daß jede Schuldforderung, selbst die zweifelhafteste, noch einmal was wert sein konnte, und er besaß eine Reihe bewundernswert geordneter Akten, zu denen ein Namensverzeichnis gehörte, das er von Zeit zu Zeit noch einmal durchlas, um sein Gedächtnis aufzufrischen. Bei den Zahlungsunfähigen war er natürlich mehr hinter jenen her, von denen er glaubte, daß sie Aussichten hatten, bald zu Vermögen zu kommen. Bei seinen Ermittlungen schaute er den Leuten unters Hemd, drang in die Familiengeheimnisse ein, nahm Notiz von den reichen Verwandten, von den Existenzmitteln, vor allem von den neuen Anstellungen, die es erlaubten, Zahlungsbefehle zu erlassen. Oft ließ er auf diese Weise einen Menschen Jahre hindurch reif werden, um ihn beim ersten Erfolg abzuwürgen. Was die verschwundenen Schuldner anlangte, so versetzten sie ihn noch mehr in Leidenschaft und warfen ihn in ein Fieber ständiger Nachforschungen; dauernd hatte er ein Auge auf die Firmenschilder und auf die Namen in den Zeitungen, kundschaftete die Anschriften aus, so wie ein Hund das Wild aufspürt. Und sobald er die Verschollenen und die Zahlungsunfähigen aufgespürt hatte, wurde er grausam, fraß sie mit seinen Unkosten auf, saugte sie aus bis aufs Blut, schlug hundert Francs aus dem, was er mit zehn Sous bezahlt hatte, und führte brutal seine Risiken als Spekulant ins Feld, der gezwungen ist, an denen, die er erwischte, zu verdienen, was er angeblich bei jenen verlor, die ihm wie Rauch durch die Finger gingen.
Bei dieser Jagd auf die Schuldner war die Méchain eine seiner bevorzugten Gehilfinnen; denn wenn er dafür eine kleine Truppe von Treibern zu seiner Verfügung haben mußte, so lebte er doch in ständigem Mißtrauen gegen diese übelbeleumdeten, ausgehungerten Leute; die Méchain dagegen hatte selber einen schönen Batzen und besaß hinter dem Montmartre ein ganzes Häuserviertel, die Cité de Naples, ein weites Gelände, auf dem wacklige Hütten standen, die sie monatsweise vermietete: ein Winkel schrecklichen Elends, ein Haufen Hungerleider im Kot, Schweinekoben, die man sich gegenseitig streitig machte und aus denen sie erbarmungslos die Mieter samt ihrem Mist hinausfegte, sobald sie nicht mehr bezahlten. Was sie auffraß, was ihre Gewinne aus der Cité de Naples wieder verschlang, das war ihre unglückselige Spielleidenschaft. Und sie fand auch Gefallen an den vom Geld geschlagenen Wunden, an den Bankrotten, an den Feuersbrünsten, bei denen man geschmolzenen Schmuck stehlen kann. Wenn Busch sie beauftragte, eine Auskunft einzuholen, einen Schuldner zu exmittieren, so setzte sie manchmal aus der eigenen Tasche zu und verausgabte sich um des Vergnügens willen. Sie bezeichnete sich als Witwe, doch niemand hatte ihren Mann gekannt. Sie kam von Gott weiß woher, und mit ihrem schwabbeligen Fett und ihrer dünnen Kleinmädchenstimme schien sie immer fünfzig Jahre alt gewesen zu sein.
Als sich an jenem Tag die Méchain auf den einzigen Stuhl gesetzt hatte, war das Arbeitszimmer voll, gleichsam verstopft von diesem letzten Paket aus Fleisch, das da hingeplumpst war. Vor seinem Schreibtisch glich Busch einem Gefangenen, der in einem Meer von Akten vergraben war, aus dem nur sein eckiger Schädel auftauchte.
»Da«, sagte sie und schüttete aus ihrer alten, zum Platzen vollen Tasche den ungeheuren Papierhaufen, »das schickt mir Fayeux aus Vendôme ... Aus dem Bankrott von Charpier hat er für Sie alles aufgekauft, wie Sie ihm durch mich hatten ausrichten lassen ... Hundertzehn Francs.«
Fayeux, den sie ihren Cousin nannte, hatte sich in Vendôme ein Kuponeinnahmebüro eingerichtet. Er besaß die Konzession für die Einnahme der Kupons der kleinen Rentiers34 vom Lande, und als Verwahrer dieser Kupons und des Geldes spekulierte er hemmungslos.
»Nicht viel los mit der Provinz«, murmelte Busch, »aber trotzdem macht man dort auch mal einen tollen Fund.«
Er beschnupperte die Papiere, wählte sie schon mit kundiger Hand aus und ordnete sie grob nach einer ersten Einschätzung, nach dem Geruch. Sein ausdrucksloses Gesicht verdüsterte sich und nahm einen enttäuschten, brummigen Ausdruck an.
»Hm! Nichts Fettes dabei, nichts zum Anbeißen. Zum Glück war das nicht teuer ... Hier sind Wechsel ... noch mal Wechsel ... Wenn das junge Leute sind und wenn sie nach Paris kommen, werden wir sie vielleicht erwischen ...«
Doch da entfuhr ihm ein leiser Ausruf der Überraschung.
»Nanu, was ist denn das?«
Er hatte die Unterschrift des Grafen de Beauvilliers entziffert, auf einem Blatt Stempelpapier, auf dem nur drei Zeilen standen, in einer großen, greisenhaften Handschrift: »Ich verpflichte mich, an Fräulein Léonie Cron am Tage ihrer Volljährigkeit den Betrag von zehntausend Francs auszuzahlen.«
»Der Graf de Beauvilliers«, versetzte er langsam und überlegte ganz laut, »ja, bei Vendôme hat er Pachthöfe gehabt, eine ganze Domäne sogar ... Er ist bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen und hat eine Frau und zwei Kinder in Not zurückgelassen. Ich habe früher Wechsel gehabt, die sie nur unter Schwierigkeiten bezahlen konnten ... Ein Angeber, ein Taugenichts ...«
Plötzlich lachte er laut auf, denn er ahnte, wie die Geschichte verlaufen sein mußte.
»Ach, der alte Gauner hat die Kleine reingelegt! СКАЧАТЬ