Название: Das Geld
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188484
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»Aber das ist doch sehr gut, ein richtiger Coup ist das!« unterbrach ihn die Méchain.
Busch zuckte verächtlich die Achseln.
»Ach was, nein! Ich sage Ihnen doch, daß das rechtlich wertlos ist ... Wenn ich das den Erben vorlege, können sie mich zum Teufel schicken, denn es müßte der Beweis angetreten werden, daß das Geld wirklich geschuldet worden ist ... Aber wenn wir das Mädchen ausfindig machen, könnte ich sie vielleicht dazu bringen, vernünftig zu sein und sich mit uns zu verständigen, um unangenehmes Aufsehen zu vermeiden ... Verstehen Sie? Suchen Sie diese Léonie Cron, schreiben Sie an Fayeux, damit er sie uns aufstöbert. Dann können wir uns ins Fäustchen lachen.«
Er hatte aus den Papieren zwei Haufen aussortiert, die er gründlich prüfen wollte, sobald er allein war; jetzt verharrte er reglos, auf jedem Haufen eine Hand.
Nach einer Pause fuhr die Méchain fort:
»Ich habe mich mit Jordans Wechseln beschäftigt ... Ich glaubte schon, unseren Mann gefunden zu haben. Er war irgendwo angestellt und schreibt jetzt in den Zeitungen. Aber unsereins wird in den Redaktionen so schlecht empfangen; sie weigern sich, uns die Adressen zu geben. Und dann glaube ich auch, daß er seine Artikel nicht mit seinem richtigen Namen unterschreibt.«
Ohne ein Wort zu sagen, hatte Busch den Arm ausgestreckt, um die Akte Jordan von ihrem alphabetischen Platz zu nehmen. Das waren sechs Wechsel zu je fünfzig Francs, die schon vor fünf Jahren im Abstand von je einem Monat ausgestellt worden waren – Wechsel über insgesamt dreihundert Francs, die der junge Mann in den Tagen seines Elends einem Schneider unterzeichnet hatte. Bei Vorlage waren sie nicht bezahlt worden, so daß zu den Wechseln riesige Unkosten hinzugekommen waren, aus dem Hefter quoll eine wahre Flut von Gerichtsakten. Jetzt war die Schuld auf siebenhundertdreißig Francs und fünfzehn Centimes gestiegen.
»Wenn das ein Bursche mit Zukunft ist«, murmelte Busch, »werden wir ihn schon noch erwischen.«
Da mußte ihm ein Gedanke gekommen sein, denn er fragte plötzlich:
»Sagen Sie mal, in der Angelegenheit Sicardot tut sich wohl gar nichts?«
Klagend hob die Méchain die dicken Arme zum Himmel. Ihre ganze monströse Person wabbelte vor Verzweiflung.
»Ach, Herrgott!« ächzte sie mit ihrer Flötenstimme. »Ich lasse noch Haut und Haare dabei!«
Die Angelegenheit Sicardot war ein richtiger kleiner Roman, den sie gern erzählte. Eine Cousine von ihr, Rosalie Chavaille, die spätgeborene Tochter einer Schwester ihres Vaters, war mit sechzehn Jahren eines Abends in einem Haus in der Rue de la Harpe, wo sie und ihre Mutter eine kleine Wohnung im sechsten Stock hatten, auf der Treppe genommen worden. Aber was das schlimmste war: der Betreffende, ein verheirateter Mann, der erst vor acht Tagen mit seiner Frau aus der Provinz gekommen war und bei einer Dame im zweiten Stockwerk zur Untermiete wohnte, hatte sich so verliebt gezeigt, daß er der armen Rosalie die Schulter ausrenkte, als er sie allzu stürmisch gegen eine Treppenkante drückte. Daher der gerechte Zorn der Mutter, die beinahe einen abscheulichen Skandal gemacht hätte, obwohl die Kleine unter Tränen eingestand, daß sie es durchaus willig getan habe, daß es ein Unfall gewesen sei und daß es ihr großen Kummer bereiten würde, wenn man den Herrn ins Gefängnis steckte. Da schwieg die Mutter und begnügte sich damit, diesem Mann eine Summe von sechshundert Francs abzufordern, auf zwölf Wechsel verteilt, so daß sie ein Jahr lang monatlich fünfzig Francs erhalten sollte; und es gab keine häßliche Feilscherei, das war sogar noch bescheiden, denn ihre Tochter, die gerade ihre Schneiderlehre beendet hatte, verdiente nichts mehr, lag krank im Bett, kostete ein Heidengeld; sie wurde übrigens so schlecht behandelt, daß sich die Muskeln an ihrem Arm verkürzten und sie zum Krüppel wurde. Vor Ende des ersten Monats war der Herr verschwunden, ohne seine Anschrift zu hinterlassen. Und das Unglück ging weiter, schlug drein wie das Hagelwetter: Rosalie kam mit einem Knaben nieder, verlor ihre Mutter, ergab sich einem schmutzigen Lebenswandel und geriet in bitterste Not. In der Cité de Naples bei ihrer Cousine gestrandet, trieb sie sich, bis sie sechsundzwanzig war, auf den Straßen herum, da sie sich ihres Armes nicht bedienen konnte, verkaufte bisweilen Zitronen in den Markthallen, verschwand wochenlang mit Männern, die sie betrunken und grün und blau geschlagen wieder nach Hause schickten. Schließlich war ihr vor einem Jahr das Glück widerfahren, daß sie an den Folgen einer Sauftour, die abenteuerlicher war als alle anderen, draufging. Und die Méchain hatte Victor, das Kind, behalten müssen. Von diesem ganzen Abenteuer blieben nur die zwölf unbezahlten, mit »Sicardot« unterschriebenen Wechsel. Man hatte nie mehr darüber in Erfahrung bringen können, als daß der Betreffende Sicardot hieß.
Wieder streckte Busch den Arm aus und griff nach der Akte Sicardot, einem dünnen Hefter aus grauer Pappe. Noch hatten sich keine Unkosten ergeben, nur die zwölf Wechsel waren da.
»Wenn Victor wenigstens artig wäre!« jammerte die alte Frau. »Aber stellen Sie sich vor, ein furchtbares Kind ... Ach, das kommt einen hart an, solche Erbschaften zu machen wie diesen Bengel, der mal am Galgen enden wird, und diese Papierfetzen, aus denen ich nie etwas herausschlagen werde!«
Busch starrte mit seinen großen blassen Augen unverwandt auf die Wechsel. Wie oft hatte er sie so untersucht und gehofft, in einer bisher nicht bemerkten Einzelheit, in der Form der Buchstaben, ja vielleicht sogar in der Narbe des Stempelpapiers einen Hinweis zu entdecken! Diese spitze, feine Handschrift kam ihm irgendwie bekannt vor, behauptete er.
»Seltsam«, wiederholte er noch einmal, »solche langgezogenen A und O, die wie lauter I aussehen, habe ich bestimmt schon gesehen.«
Gerade in diesem Augenblick klopfte es, und er bat die Méchain, die Hand auszustrecken und aufzumachen, denn das Zimmer ging direkt auf die Treppe. Man mußte es durchqueren, wenn man in das andere Zimmer mit Blick auf die Straße gelangen wollte. Die Küche, ein luftloses Loch, befand sich auf der anderen Seite des Treppenabsatzes.
»Herein, mein Herr.«
Saccard trat ein. Er lächelte, denn er mokierte sich immerhin über das Kupferschild an der Tür, auf dem in dicken schwarzen Lettern stand: Streitsachen.
»Ach ja, Herr Saccard, Sie kommen wegen dieser Übersetzung ... Mein Bruder ist dort im anderen Zimmer ... Gehen Sie nur hinein.«
Aber die Méchain versperrte völlig den Durchgang, und sie musterte den Neuankömmling mit wachsendem Erstaunen. Es bedurfte eines richtigen Manövers: er wich auf die Treppe zurück, sie selbst kam heraus und trat auf dem Treppenabsatz beiseite, so daß er eintreten und endlich in das Nebenzimmer gelangen konnte, wo er verschwand. Während dieses komplizierten Bewegungsvorganges hatte sie ihn nicht aus den Augen gelassen.
»Oh!« schnaufte sie beklommen. »Diesen Herrn Saccard habe ich noch nie so richtig aus der Nähe gesehen ... Victor ist sein ganzes Ebenbild.«
Busch schaute sie zuerst verständnislos an. Dann ging ihm plötzlich ein Licht auf, und er erstickte einen Fluch.
»Donnerwetter, so ist es! Ich wußte doch, daß ich das irgendwo gesehen hatte!«
Und diesmal erhob er sich, warf die Akten durcheinander und fand schließlich einen Brief, den ihm Saccard vor einem Jahr geschrieben hatte, um ihn zu bitten, einer zahlungsunfähigen Dame etwas Zeit zu lassen. Aufgeregt verglich er die Handschrift auf den Wechseln mit der dieses Briefes. Das waren wirklich die gleichen СКАЧАТЬ