Название: Das Geld
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188484
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»Ich weiß«, sagte Saccard.
Der Kopf der Baronin war wieder im Kupee verschwunden. Aber gleich darauf erschien er von neuem, glühte noch mehr, und sie verrenkte sich bald den Hals, um in die Ferne auf den Platz zu schauen.
»Sie spekuliert, nicht wahr?«
»Oh, wie eine Irre! An allen Krisentagen kann man sie dort in ihrem Wagen sehen, wie sie auf die Kurse lauert, sich fieberhaft Notizen in ihr Merkbuch macht, Orders erteilt ... Und sehen Sie, auf Massias hat sie gewartet: da geht er zu ihr.«
In der Tat, mit dem Kurszettel in der Hand, rannte Massias zu ihr, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen, und sie sahen, wie er sich auf den Wagenschlag des Kupees stützte, den Kopf hineinsteckte und ein großes Palaver mit der Baronin begann. Saccard und Jantrou entfernten sich ein wenig, um nicht bei ihrem Spionieren überrascht zu werden, und als der Remisier zurückkam, immer noch im Laufschritt, riefen sie ihn an. Er warf erst einen Blick zur Seite und vergewisserte sich, daß er nicht gesehen wurde; dann blieb er stehen, ganz außer Atem; sein blühendes Gesicht mit den großen blauen Augen von kindlicher Reinheit war hochrot und trotzdem fröhlich.
»Was sie bloß haben!« rief er. »Suez purzelt auf einmal. Man spricht von einem Krieg mit England. Eine Nachricht, die sie ganz aus dem Häuschen bringt und von der man nicht mal weiß, woher sie stammt ... Ich bitte Sie, Krieg! Wer kann das bloß erfunden haben? Vielleicht ist das auch von ganz allein entstanden ... Richtig wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«
Jantrou blinzelte mit den Augen.
»Die Dame beißt immer noch an?«
»Oh, wie wild! Ich bringe Nathansohn ihre Orders.«
Saccard, der das hörte, stellte ganz laut eine Überlegung an.
»Ja richtig! Man hat mir doch erzählt, daß Nathansohn in die Kulisse eingetreten ist.«
»Ein sehr netter Junge, der Nathansohn«, erklärte Jantrou, »er verdient es hochzukommen. Wir sind zusammen beim Crédit Mobilier gewesen ... Und er wird es auch zu etwas bringen, denn er ist Jude. Sein Vater, ein Österreicher, hat sich, glaube ich, als Uhrmacher in Besançon niedergelassen ... Sie müssen wissen, eines Tages hat ihn das da drüben beim Crédit gepackt, als er sah, wie das alles so gedreht wird. Und er hat sich gesagt, daß das gar nicht so schwierig sei, daß man nur einen Raum brauchte und einen Schalter aufmachen müßte; und er hat einen Schalter aufgemacht ... Na und Sie, sind Sie zufrieden, Massias?«
»Oh, zufrieden! Sie habenʼs ja selber mitgemacht, und Sie haben recht, wenn Sie sagen, daß man Jude sein muß. Ist man es nicht, braucht man gar nicht erst zu versuchen dahinterzukommen, man hat eben kein Glück, sondern bloß höllisches Pech ... Ein Hundeberuf! Aber ist man erst mal dabei, bleibt man auch dabei. Und dann habe ich ja noch gute Beine, ich gebe trotz allem die Hoffnung nicht auf.«
Und lachend rannte er wieder los. Es hieß, er sei der Sohn eines mit Schimpf und Schande entlassenen Beamten aus Lyon; nach dem Tode seines Vaters sei er an der Börse gelandet, weil er sein Jurastudium nicht hatte fortsetzen wollen.
Saccard und Jantrou gingen gemächlich in die Rue Brongniart zurück. Dort stand noch immer das Kupee der Baronin, aber die Fenster waren geschlossen, der geheimnisvolle Wagen schien leer zu sein, die Reglosigkeit des Kutschers hatte offenbar noch zugenommen bei diesem endlosen Warten, das oft bis zum letzten Kurswert dauerte.
»Sie ist verteufelt aufreizend«, versetzte Saccard unverblümt. »Ich kann den alten Baron verstehen.«
Jantrou lächelte eigentümlich.
»Oh, dem Baron ist sie, glaube ich, seit langem über. Und er soll sehr knickrig sein, wie man sagt ... Wissen Sie, mit wem sie sich eingelassen hat, um ihre Rechnungen bezahlen zu können, weil die Spekulation nie genug einbringt?«
»Nein.«
»Mit Delcambre.«
»Delcambre, der Generalstaatsanwalt? Dieser große Dürre, der so gelb und so steif ist? ... Na, die möchte ich ja mal zusammen sehen!«
Und die beiden trennten sich, lustig und aufgekratzt, mit einem kräftigen Händedruck, nachdem der eine den andern noch einmal daran erinnert hatte, daß er sich demnächst erlauben würde, ihn zu besuchen.
Als Saccard wieder allein war, wurde er erneut von der lauten Stimme der Börse gepackt, die ihn bei seiner Rückkehr mit dem Eigensinn der Flut umbrandete. Er war um die Ecke gebogen und ging nach der Rue Vivienne zu; er überquerte den Platz auf jener Seite, wo keine Cafés sind und die deshalb so streng wirkt. Er kam an der Handelskammer vorbei, am Postamt und an den großen Werbebüros; seine Betäubung und fieberhafte Erregung nahmen in dem Maße zu, wie er sich wieder der Hauptfassade näherte, und als er einen schrägen Blick auf die Vorhalle werfen konnte, legte er erneut eine Pause ein, als wollte er die Runde um den Säulengang, diese Art leidenschaftlicher Umklammerung, mit der er die Börse umschloß, noch nicht beenden. Dort, wo die Straße breiter wurde, herrschte reges Treiben: eine Woge von Gästen überflutete die Cafés, die Konditorei wurde nicht mehr leer, vor den Schaufenstern ballte sich die Menge, besonders vor der Auslage eines Goldschmiedes, die im Glanz kostbarer Silberarbeiten erstrahlte. Und auf den Kreuzungen an den vier Ecken schien sich der Strom der Droschken und Fußgänger, der aus den Straßen quoll, zu einem unentwirrbaren Durcheinander verdichtet zu haben; die Omnibushaltestelle vergrößerte die Stauung noch, und die Wagenreihe der Remisiers versperrte fast über die ganze Länge des Gitters den Bürgersteig. Aber Saccard starrte auf die obersten Stufen, wo sich in der prallen Sonne einzelne Gehröcke aus der Menge lösten. Dann fiel sein Blick wieder auf die kompakte Masse zwischen den Säulen, ein schwarzes Gewimmel, das die bleichen Flecken der Gesichter kaum aufhellten. Alle standen, die Stühle waren nicht zu sehen, den Kreis der Kulisse, die unter der Uhr saß, konnte man nur an jenem Brodeln erraten, an den wütenden Worten und Gebärden, von denen die Luft erzitterte. Links bei der Gruppe der Bankiers, die mit Arbitragen33 und mit englischen Wechsel- und Scheckgeschäften befaßt waren, ging es ruhiger zu, nur daß unaufhörlich in langer Schlange Leute vorbeizogen, die zum Telegrafen wollten. Bis unter die Seitengalerien drängten und quetschten sich die Spekulanten; und es gab welche, die es sich zwischen den Säulen auf dem Eisengeländer so bequem machten und ihren Bauch oder ihren Rücken rausstreckten, als säßen sie daheim in ihrem Kontor auf einem Samtsessel. Dieses Beben und Grollen einer unter Dampf stehenden Maschine nahm immer mehr zu und versetzte die ganze Börse in flackernde Unruhe. Plötzlich erkannte Saccard den Remisier Massias, der mit großen Sprüngen die Stufen hinunterrannte und in seinem Wagen verschwand. Der Kutscher trieb das Pferd zum Galopp an.
Da merkte Saccard, wie sich seine Fäuste ballten. Er riß sich mit Gewalt los, bog in die Rue Vivienne ein und überquerte den Fahrdamm, um die Ecke der Rue Feydeau zu erreichen, wo sich Buschs Haus befand. Ihm war der russische Brief eingefallen, den er sich übersetzen lassen wollte. Aber als er das Haus betrat, grüßte ihn ein junger Mann, der sich vor dem Papierwarengeschäft im Erdgeschoß aufgepflanzt hatte. Es war Gustave Sédille, der Sohn eines Seidenfabrikanten aus der Rue des Jeûneurs; sein Vater hatte ihn bei Mazaud untergebracht, damit er dort den Mechanismus der Finanzoperationen kennenlernte. Saccard lächelte diesem eleganten großen Burschen väterlich zu, denn er ahnte sehr wohl, weshalb Sédille hier auf Posten stand. Die Papierwarenhandlung Conin belieferte die ganze Börse mit Handbüchern, seitdem die СКАЧАТЬ