Название: Weihnacht von Karl May
Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742752215
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dem hochpoetischen Namen »Giftnudeln« zu bezeichnen pflegt. Als Carpio die seinige
anbrannte und den lächelnden Ausdruck bemerkte, mit welchem er dabei von rundumher
beobachtet wurde, machte er eine hoheitsvolle Handbewegung und sagte in geringschätzigem
Tone:
»Ich will Ihren Kaiserstaaten gewiß nicht zu nahe treten, aber was Cigarren betrifft, so sind
wir Ihnen in jeder Beziehung über. Diese hier zum Beispiel, welche von vorzüglicher Qualität
sein soll, würde mir für den täglichen Gebrauch viel zu schwach sein. Es giebt bei uns eben
ganz andere Raucher als hier bei Ihnen, meine Herren!«
Leider aber ließ er seine »Nudel« so oft ausgehen, daß er mit den Zündhölzern immer
zwischen ihr und dem Asbestgläschen unterwegs war – es stand nämlich ein sogenanntes
Tunkfeuerzeug auf dem Tische. Da ihm dabei der Geruch des Schwefels so oft in die Nase
fuhr, zog er, ohne daß ich weiter darauf achtete, ein Papier aus der Tasche, zerriß es in lange,
schmale Streifen, um Fidibus aus ihnen zu machen, und holte sich nun mit deren Hilfe das
zum Anbrennen nötige Feuer von der in seiner Nähe qualmenden Öllampe. Damals gab es
bekanntlich weder Gas- noch gar elektrisches Licht.
Trotz dieser immerwährenden Unterbrechungen war er, als ich die erste Cigarre geraucht
hatte, schon mit seiner zweiten fertig. Man bot uns neue an, und als ich da für uns beide
ablehnte, schlug Carpio diese Anmaßung in empörtem Tone zurück:
»Mische dich nicht in meine Angelegenheiten, Sappho! Eine Mondscheinnatur, wie die
deinige ist, kann freilich nichts vertragen; ich aber bin aus Stahl und Stein gebaut und möchte
die Cigarre kennen lernen, die meine Konstitution erschüttern könnte!«
»So ist es recht!« stimmte Franzl bei. »Ein guter Student muß ausgepicht und gegen Nikotin
und Spiritus unempfindlich sein. Nummus ubi loquitur, Tullius ipse tacet. Nehmen Sie also
immer noch eine!«
Und der Busenfreund nahm noch eine und hatte sie noch nicht aufgeraucht, als seine Fidibus
zu Ende waren. Ich sah, daß er, wie ein Orientale sich ausgedrückt hätte, die Morgenröte
seines Angesichts verlor, sagte aber nichts, weil ich ihn nicht beleidigen wollte.
Dann brachte die Wirtin das Abendessen herein. Es bestand in einer mächtigen Schüssel
Fisolen und einer ebenso großen Schüssel geräuchertem Schweinefleisch. Beim Anblicke der
großen, appetitlichen Fleischstücke lief mir, wie es später dem persischen Schah in London
ergangen sein soll, das »allerhöchste Wasser seiner Majestät« im Munde zusammen; den
Busenfreund aber schien die Lukullität dieses Nachtmahls kalt zu lassen; wenigstens lag,
während meine Augen höchst wahrscheinlich vor Freude leuchteten, in den seinen ein
entsagungsvoll nach innen gerichteter Blick und in seinen wehmutsvoll zusammengezogenen
Mundwinkeln der Ausdruck jener schmerzlichen Resignation, mit welcher ein sonst sehr
vernünftiger Bettler einst behauptet haben soll, daß es ihm niemals einfallen werde, einen
Hundertthalerschein anzunehmen.
Wenn man bedenkt, daß zu diesen Fisolen und zu diesem Fleische nicht Bier, sondern Wein
getrunken wurde, so wird man mir glauben, daß ich mich nicht allzu sehr nötigen ließ. Mein
guter Carpio aber wollte, wie Franzl sich auszudrücken beliebte, »gar nicht anbeißen« und
erklärte schließlich, als er sich durch teilnahmsvolle Fragen und Zusprüche in die Enge
getrieben sah, daß er leider heute mittag zuviel gespeist und infolgedessen jetzt noch gar
keinen Appetit habe. Dabei richtete er sein Auge mit der stummen Bitte um Verschwiegenheit
auf mich; ich gewährte sie ihm im stillen, wurde aber dafür von ihm mit dem grassesten
Undank belohnt, denn als man ihn darauf aufmerksam machte, daß doch ich nicht so ganz
appetitlos sei, antwortete er wie aus einer Wolke der Erhabenheit herab:
»Es sind nicht alle Menschen gleich besaitet. Während der eine den Genüssen des Geistes und
des Gemütes den Vorzug giebt, liebt es der andere, in materiellen Dingen zu schwelgen und
schreckt am Ende sogar nicht davor zurück, seine Seele in Fisolen und Selchfleisch zu
versenken. Weiter brauche ich wohl nichts zu sagen; Sie wissen ja: de gustibus non est
disputandum, wie der Lateiner sagt.«
»Ja, ja,« nickte der Wirt, erfreut über die Gelegenheit, wieder einen Beweis seines Wissens
geben zu können. »Es freut mich natürlich riesig, daß es Ihrem Kollegen so vortrefflich
schmeckt, doch weiß auch ich die Vorzüge des Geistes zu schätzen und sage mit den
Gelehrten des Altertums: Omne nimium nocet.«
O Franzl, Franzl, wüßtest du, was du mir soeben gesagt hast! So dachte ich, aß natürlich aber
trotzdem ruhig weiter, denn ich hatte mich nun einmal so tief in das Materielle versenkt, daß
man mir eine schnelle Umkehr aus dieser geistigen Verfisolung nicht zutrauen durfte. All
mein psychisches Können und Wollen war, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, in
diesem Augenblicke schon so verlottert, daß ich, wenn ich überhaupt beim Essen etwas sagte,
schon längst nicht mehr in Reimen sprach, kann aber zu meiner Ehrenrettung den sehr
moralischen Grund hinzufügen, daß ich den Wert des delikaten Geselchten weder durch
trockene Jamben und Trochäen noch durch ungeräucherte Amphibrachen und Daktylen
unvorteilhaft beeinflussen wollte.
Die Stube war bis zum Essen voller Gäste gewesen; nun ich mich aber mit solcher
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