Название: Berliner Miniaturen
Автор: Attila Schauschitz
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783844295528
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Ansonsten liegen auf der Straße ungewöhnlich viele Menschen auf den Knien. Die Stadt pocht von Hammerschlägen. Der Berliner Straßenarbeiter wird nicht in den Dampf von Teer gehüllt, sondern passt winzige Katzenkopfsteine in hoffnungslosem Eifer einander an.
Es gilt auch noch jener Gehweg als genehm, in dessen Mitte sich ein Streifen von großen und breiten oder kleineren und quadratischen Steinplatten befindet. Wichtiges Kriterium ist, dass der Belag holprig und uneben ist, sodass das Stolpern wahrscheinlich wird. Schuhe mit spitzem Absatz sind hier fehl am Platz. Straßen mit betoniertem Gehsteig sind sofort zu verlassen, sie haben in dieser Landschaft keine Daseinsberechtigung.
Auf dem Gehweg können auch das persönliche Gewissen und das nationale Selbstbewusstsein stolpern, wenn sie durch die Zeit zu sauber gefegt wurden. Vor den Hauseingängen liegen zehnmal zehn Zentimeter große Kupferplatten. Auf ihnen Namen und Jahreszahlen: geboren, gewohnt, verschleppt, ermordet. Viele kleine Grabmale für die Opfer des Nationalsozialismus vor ihrem letzten Wohnsitz.
Der Initiator des Projektes, Gunter Demnig, erhielt im Jahr 2000 in Köln die erste offizielle Genehmigung, auf öffentlichem Boden Stolpersteine verlegen zu dürfen. Diese Steine in deutschen Städten, besonders in Berlin, wo es inzwischen etwa viertausend gibt, sind nur denjenigen nicht bekannt, die niemals vor ihre Füße blicken. Ein Sonderfall ist München, wo dank dem Widerstand des Stadtrates und der jüdischen Gemeinde solche Erinnerungssteine nur auf privaten Grundstücken liegen dürfen. Die Entscheidung geht wohl auf das nicht sehr tiefsinnige Argument Charlotte Knoblochs, der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, zurück, die es »unerträglich« fand, dass auf den Namen ermordeter Juden mit Füßen »herumgetreten« werde.
Die Stolpersteine fanden inzwischen in ganz Europa Verbreitung, von Norwegen bis Ukraine, und ihre Zahl hat sich auf siebenunddreißigtausend erhöht. Damit wurden sie zum größten dezentralen Denkmal für die Verfolgten des Nationalsozialismus. In dieser Hinsicht gibt es auch etwas Erfreuliches aus Ungarn zu berichten – wenngleich es auch länger zurückdatiert. Die erste Ausstellung über das Projekt wurde in Budapest 2007 unter der damaligen sozialliberalen Regierung eröffnet. Ungarn, das sonst abgeneigt ist, sich seiner Vergangenheit in der Zeit der Judenverfolgung zu stellen, gehörte mit Österreich zu den ersten Ländern nach Deutschland, in denen Stolpersteine verlegt wurden.
Adam und Sigisbert Michel
Karl Christoph Graf von Schwerin, 1769
Zietenplatz
Johann David d.J. und Lorenz Wilhelm Röntz
Hans Karl von Winterfeldt, 1777
Zietenplatz
Jean Pierre Antoine Tassaert
Friedrich Wilhelm von Seydlitz, 1781
Zietenplatz
Jean Pierre Antoine Tassaert
Jakob von Keith, 1786
Zietenplatz
Zeitgetreue Generäle
Nach Schlüters Reiterstandbild des Großen Kurfürsten geschah fast achtzig Jahre lang nichts Erwähnenswertes in der Bildhauerei des öffentlichen Raums der preußischen Hauptstadt. Friedrich der Große bemühte sich vor allem seine Potsdamer Residenz zu verschönern, bis er, in der zweiten Hälfte seiner Herrschaft, plötzlich vier preußische Generäle, die Helden der schlesischen Kriege, auf den heute kaum mehr existierenden Wilhelmplatz beorderte.
Den Platz und die Gegend, die Friedrichstadt, ein hübsches barockes Viertel im 18. Jahrhundert und ein klassizistisches Regierungsviertel im 19. Jahrhundert, prägen seit dem 20. Jahrhundert nationalsozialistische Regierungsgebäude und volksdemokratische Wohnhäuser. Die Generäle kehrten nach 2000 auf den Zietenplatz zurück, in die unmittelbare Nähe des mit Wohnhäusern bebauten Wilhelmplatzes – auf einen topografisch nahezu richtigen, aber angesichts des architektonischen Hintergrunds, wie zum Beispiel des brutal anmutenden Gebäudes der tschechischen Botschaft, völlig falschen Standort.
Die Bedeutung der Denkmäler für die Befehlshaber der schlesischen Kriege besteht heutzutage freilich nicht so sehr in der Erinnerung an die erfolgreichen Überfälle auf die österreichische Armee, sondern vielmehr in kunstgeschichtlichen Aspekten.
Mit ihnen stellte man das erste Mal keinen Herrscher, sondern Untertanen auf den Sockel. Wie Peter Bloch schreibt, »hier beginnt die Emanzipation der Persönlichkeit und ihrer individuellen Leistung«. Ein anderer Punkt ist die Frage der Bekleidung, die Befreiung von der antiken Tradition. Deren Anfang ist gerade hier, an diesen Generälen nachvollziehbar: Ursprünglich standen Schwerin und Winterfeldt in ziemlich seltsamen Posen und römischen Klamotten, während im nächsten Jahrzehnt, 1781 und 1786, Seydlitz und Keith bereits in zeitgetreuen Gewändern ihres Regimentes da. Die letzteren, die Statuen von Jean Pierre Antoine Tassaert, eröffneten die etwa fünfzig Jahre andauernde Debatte über die richtige Bekleidung der Denkmäler, den sogenannten Kostümstreit.
Dies könnte man sehen, wenn August Kiss, der 1862 die Marmorstatuen durch Bronzeversionen ersetzte, nicht auch Schwerin und Winterfeldt den anderen angepasst hätte. Und trotzdem kann man dem Spaziergang etwas Kunstgeschichtliches abgewinnen, denn zu den Generälen im zeitgemäßen Gewand, aber noch in leicht barocker Haltung, gesellte sich im Jahre 1794 Generalfeldmarschall Zieten, den wir im Weiteren vorstellen werden.
Sein Schöpfer Johann Gottfried Schadow, ein Schüler von Tassaert, gehörte zu einer neuen Generation. An der Statue Zietens merkt man bereits seine Vorstellung über die richtige, nämlich naturalistische Wiedergabe der Wirklichkeit. Das ist der Anfang der Berliner Bildhauerschule, deren insgesamt nicht weniger als vierhundert Mitglieder im 19. Jahrhundert die bis dahin leeren öffentlichen Räume in Berlin und in ganz Deutschland mit ihren Werken überschwemmten.
Markus Lüpertz
Das Urteil des Paris, 2002
Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße
Ewige Suche
Durch sein Schicksal sei »Berlin dazu verdammt: immerfort zu werden und niemals zu sein«, heißt es im berühmten Schlusswort des Buchs »Berlin – ein Stadtschicksal« von Karl Scheffler aus dem Jahre 1910. Da Scheffler vom für Berlin typischen Gesetz, der erzwungenen, künstlichen Stadtentwicklung, ausging, erwies sich seine tiefe und gnadenlose Analyse gleichsam als visionär. Die Tendenz, aus Berlin auch nach dem Verschwinden der preußischen Herrscher etwas Neues und Besseres machen zu wollen, ist geblieben: in den Dreißigern Reichshauptstadt, in den Sechzigern soziale Wohnsiedlung, СКАЧАТЬ