Berliner Miniaturen. Attila Schauschitz
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Название: Berliner Miniaturen

Автор: Attila Schauschitz

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия:

isbn: 9783844295528

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СКАЧАТЬ Heinrich von Kleist-Herme, 1899

       Viktoriapark, Achse der Monumentenstraße

      Hart am Kleinen Wannsee

      Wären die Lauben nicht da, und es wäre ein Wintertag vielleicht, dachte der Schriftsteller aus Ungarn, ein Staropramen vor sich, obwohl er lieber ein Guinness gewollt hätte, hätte ich sie sehen können, dort, vor dem Stimmingschen Kruge, sie scherzten im Hofe mancherley Art, er sprang über die Bretter in der Kegelbahn, komm, Henriette, mach mir nach, und dann laufen die beiden, wie der Wirt es vom Wirtshaus sieht, auf dem gegenüberliegenden Ufer des Kleinen Wannsees herum, werfen Steine in den See, wie Verliebte, denkt er, und sie schicken die Frau vom Tagelöhner Riebisch hin und her, bestellen zuerst Kaffee, dann Tisch und Stühle, einen Bleistift wollen die Herrschaften auch noch, murmelt die Frau, die nicht weiß, dass der abgedeckte Korb neben ihnen voll ist mit Pistolen, na gut, es waren nur drei, und als sie sich entfernt, zuckt sie zusammen, weil sie einen Schuss hört, läuft noch fünfzig oder sechzig Schritte, als der zweite Schuss fällt, sie treiben einen Scherz, die Herrschaften, mutmaßt sie.

      Dies alles hätte ich gesehen, im Jahre 1811, obwohl ich es auch jetzt vor mir sehe mit den Augen des Wirtes und mit denen der Frau des Tagelöhners, sehe es jedoch nur mit den Augen des Heinrich von Kleist, dem die neuere ungarische Literatur, deren Vertreter hier in der Nähe als Stipendiaten des Literarischen Colloquiums von Zeit zu Zeit im kleinen Schloss weilen, soviel zu verdanken hat, dass ich die Pistole auf Henriette Vogels Brust richte, abdrücke und dann neu lade, bevor ich mir den Pistolenlauf in den Mund halte, um ein zweites Mal zu schießen, während Frau Riebisch noch fünfzig oder sechzig Schritte läuft, ich schaue also mindestens eine halbe Minute lang Henriette an, sehe sie sterben, dann kippe ich nach vorne und bleibe in einer fast knienden Stellung vor ihr, natürlich nicht ich, sondern Kleist, an dessen Brüsten ..., o weh, dafür muss ich noch ein besseres Bild finden, mehrere Größen der neuen ungarischen Literatur schlossen sich jedenfalls den Rhythmus der nicht gerade kurzen, aber mit Satzzeichen kurz gegliederten, bisweilen falschen Sätze, die Rhetorik ist manchmal wichtiger als die Grammatik!, ins Herz, dachte er in einem Satz, den er gleich zu Papier hätte bringen können, was er aber nicht tat, nur das Staropramen auf dem Tisch, das gut schmeckte, auch wenn er lieber ein Guinness getrunken hätte, wobei es ihm noch einfiel, dass sie in einer kleinen Grube lagen, auf einem Hügel hart am Kleinen Wannsee, nicht dort, wo der Grabstein, den man seitdem hin und her versetzt hat, sich jetzt befindet, und dass sie als Selbstmörder am Tatort, nicht auf dem Friedhof bestattet wurden. Da erhob er sich, um zu gehen und, sobald er in seine Unterkunft zurückgekehrt war, diesen Satz zu vergessen – ob vorläufig, sei endgültig dahingestellt.

      Ayse Erkmen

       Evde – Am Haus, 1994

       Heinrichplatz

      Hauskonjugation

      Es ist offenkundig, dass in den 70ern und 80ern kaum einen geheimnisvolleren Ort auf der Welt gab als Kreuzberg. Nur noch eine Frau im reiferen Alter ist in der Lage, so viele Rätsel aufzugeben.

      Die Stadt lebt in ihren Kneipen, sagt das Sprichwort und wenn nicht, dann sollte es ein solches geben. Sie bildeten das Gewebe Kreuzbergs, das man Nacht für Nacht wie besessen aufzuräufeln versuchte.

      Gegen die roh verputzten Wände der alternativen Kneipen setzten weiß getünchte türkische Imbisse Kontrapunkte, ihre Theken dekorierten noch keine farbig leuchtenden Speisekarten, höchstens abstoßende und zugleich anziehende Bilder von der Brücke am Bosporus. Kreuzberg von damals war eine Subkultur, in der man es wenigstens zeitweise versuchte, das Leben selber zu gestalten. Und zweifellos tranken alle Becks aus der kleinen Flasche.

      Der Heinrichplatz im Herzen von Kreuzberg war deshalb wichtig, weil in der Roten Harphe ein gewisser Max Haschisch verkaufte, und ihm gegenüber, in der Ecke, immer einer saß, der wie Solschenizyn aussah, als ob sich dieser als Rasputin getarnt hätte.

      Die Erscheinungsformen der dortigen türkischen Kultur beschränkten sich meistens auf alltägliche Utensilien: Kopftuch, Rolltüte und gigantischer Kinderwagen. 1994 geschah jedoch, dass Ayse Erkmen an der Ecke des Heinrichplatzes mit den Suffixen einer besonderen Modalform der türkischen Sprache eine Hausfassade schmückte. Als ob die wispernden Endungen der Gespräche unter den Wänden aus dem Haus herausklingen würden – ohne vollständige Bedeutung, obwohl ihrem Ursprung nach unverwechselbar.

      In Kreuzberg ist es ansonsten einfach, auch solche türkische Überschriften zu finden, die ganz bestimmt einen Sinn haben. Es würde allerdings nur den Genuss verderben, wenn man die wunderschönen Wörter über einem Lebensmittelgeschäft entschlüsseln wollte: GIDA PAZARI!

      Karl-Friedrich Schinkel

       Denkmal der Befreiungskriege, 1821

       Viktoriapark

      Patriotisches Eisen

      Die Grundsteinlegung für das nationale Denkmal der preußischen Befreiungskriege gegen Napoleon im Jahre 1818 muss man sich so vorstellen, dass Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander I. auf einem kahlen Hügel stehen. Südlich schauen sie auf einen Exerzierplatz, nördlich auf Berlin in der Ferne, ansonsten sehen sie nur Agrarwirtschaft in der Gegend. Es gibt also noch kein Anzeichen dafür, dass diese Erhebung sich später zu jenem gemütlichen und frivolen Ort entwickeln würde, wie er an anderer Stelle unter dem Namen Viktoriapark beschrieben wird.

      Nach Vorstellung des Königs mussten hier nicht, wie nach dem dritten Schlesischen bzw. Siebenjährigen Krieg, einfach die siegreichen Generäle gefeiert werden, sondern das Gesamte, die Reihe der Schlachten, die zum Sieg führten. Was könnte jedoch einen ganzen Feldzug symbolisieren? Man entschied sich dafür, die einzelnen Kämpfe zu personifizieren; so entstanden die in den Nischen posierenden zwölf Genien, diese bewundernswerten, aus heutigem Blick durchaus komischen Gestalten.

      Die Gesichter erinnern zwar manchmal an die der Generäle, manchmal jedoch nur an – in zwei Fällen sogar weibliche – Mitglieder der Hohenzollern, die mit den Ereignissen entfernt zu tun hatten. Zur Erklärung ist unter jeder Figur der Ortsname der jeweiligen Schlacht zu lesen.

      Es dürfte kaum überraschen, dass das Denkmal im Zeichen des Patriotismus steht. Merkwürdig sind die Stilmittel und das Material, durch die man dieses Ziel erreichen wollte. Zunächst die Architektur, die auf das Mittelalter verweisende Neugotik, die man für den ursprünglichen und unverfälschten deutschen Stil hielt, und dann die Genien mit Lanze, Schwert und Zepter in Tunika, Landwehr-Uniform oder aber in griechischen oder nordischen Harnischen, dazu eine Menge Lorbeerkränze. Das zweifellos mit größter Sorgfalt geschaffene und wohl durchdachte Denkmal ist damit von einem einzigartigen, konfusen Stil geprägt.

      Damals hätte man es gewöhnlich aus Bronze gießen müssen, wofür es jedoch in Preußen seit Schlüters Reiterdenkmal keine Werkstatt gab. Die Not machte man zur Tugend, sofern das Gusseisen zugleich das Material des Befreiungskrieges war und deshalb – technische Schwierigkeiten hin, künstlerische Nachteile her – als etwas durchaus Patriotisches verstanden werden konnte.

      Und schließlich der Grundriss und der Abschluss: die kreuzförmige Grundform und oben der vom König einige Jahre davor gestiftete Orden, das Eiserne Kreuz. Man darf es sich aussuchen, auf welchen der spätere Name СКАЧАТЬ