Название: Unter Barbaren
Автор: Ralph Ardnassak
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847617785
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Besonders Corinna versteht es, die Beiden um den Finger zu wickeln. Sie lässt sie in dem Glauben, zwei tolle Kerle zu sein. Man muss seinen Job sichern, heutzutage! So oder so! Wenn hier mal das große Entlassen losgeht, will Corinna nicht die erste sein! Sie muss ein Haus abbezahlen! Sie kann schäkern, dass es einem die Sprache verschlägt.
Klara denkt ähnlich. Zum Schäkern ist sie zu alt. Aber auch sie muss ihren Job sichern. Sie findet keine andere Arbeit mehr in ihrem Alter. Sie geht den Beiden um den Mund und versucht, ihre Arbeit ordentlich zu machen. Hin und wieder richtet sie ein schönes Frühstück aus, für die Beiden: belegte Brötchen, saure Gurken - es ist so einfach, Menschen zu beeinflussen! Nie würde sie klagen! Überschütten die Beiden sie mit Arbeit, verliert sie kein Wort. Sie geht auf die Damentoilette und weint. Danach geht es ihr besser.
Die Beiden ziehen sich in ihr Büro zurück, wo sie einander gegenübersitzen. Klatt weiß, dass Frau Bunge, die neue Sekretärin, ihnen jetzt Kaffee servieren und Komplimente über ihre Krawatten machen wird. Die Beiden haben längst die Fähigkeit verloren, Schmeicheleien zu erkennen.
Klara schließt die gepolsterte Verbindungstür zwischen Buchhaltung und Sekretariat, damit niemand hört, was hier gesprochen wird.
„Haste jeseh’n, Klärchen: widder derselbe Knitteranzug!“, spielt Corinna auf Schlaumann an.
„Und gestunken hat er widder!“, ergänzt Klara: „Wer stinkt, ist hier gut angesehen!“
Beide kichern in sich hinein. Die Frauen nippen an ihren Kaffeetassen und blättern dabei in Katalogen. Sollte die Verbindungstür geöffnet werden, wären sie in Sekundenschnelle mit ihren Computern beschäftigt. Darin haben sie ein erstaunliches Maß an Geschick entwickelt. Sie kichern und lästern über die Beiden, die jetzt ganz hinten, in ihrem Büro sitzen, Kaffee trinken und sich von der Neuen Komplimente machen lassen.
Die Neue ist der wunde Punkt: sie versteht es zu gut, die Beiden um den Finger zu wickeln. Sie versteht das besser, als Corinna. Dabei ist sie mordshässlich: knüppeldürre Beine, Brille, immer gekleidet, wie eine Achtzigjährige! Kein Wunder, ist ja bei ihrer Oma aufgewachsen! Ist mit achtundzwanzig Jahren schon eine richtige Oma!
Die Frauen kichern!
Aber die Neue ist gefährlich! Sie wickelt die Beiden um den Finger! Sie hat schon einen Stein im Brett bei den Beiden! Und sie ist faul! Sitzt nur im Vorzimmer und schäkert mit den Beiden! Wird sie, die langjährigen Mitarbeiterinnen, hier noch wegbeißen!
Klatt sieht auf die Uhr: noch zehn Minuten bis zum Seminar!
Sein Blick fällt auf Klaras Hände. Sie spielt mit einem länglichen Radiergummi. Klatts Augen werden weit. Er kennt den Radiergummi.
„Uli, mein kleines Uli!“, entfährt es Klatt.
Die Frauen hören es und halten inne. Dann sehen sie den Radiergummi und haben verstanden.
„Hör endlich damit auf!“, sagt Klara gereizt. Sie zieht die Augenbrauen hinter ihrer Brille hoch und sieht Klatt streng an. Ihr rotgeschminkter Mund ist dabei hämisch, so dass die Falten am Kinn deutlich hervortreten.
„Hör endlich mit Uli auf!“, sagt sie noch einmal: „Ich kann das nicht mehr hören! Uli hat uns verlassen! Sie ist jetzt was Besseres! Und Du hast eine Familie!“
„Uli, Uli..., immerzu Uli! Die blöde Kuh!“, äfft Corinna. Und zu Klatt gewandt: „Hättest’ se’ doch mal richtig durchjebumst, anstatt se’ immer bloß anzuhimmeln, Deine Uli!“
Corinnas Becken ahmt dabei die rhythmische Bewegung der Kopulation nach.
Klara lacht kreischend und presst wie ertappt beide Hände vor den Mund.
Klatt weiß, dass es jetzt unmöglich ist, mit den Frauen noch ein vernünftiges Wort zu wechseln.
Er sieht geschäftig auf seine Uhr: „Ich muss ins Seminar!“
„Ja, ja! Geh nur! Bist wieder beleidigt!“, ruft Klara hinterher. Aber Klatt hat die Tür schon hinter sich geschlossen. Und er geht den Gang hinunter, in sein Büro, holt seine Folien und Stifte und Schwamm. Das alles braucht er für sein Seminar.
Er geht den Gang hinunter, und er denkt an Uli. Er weiß, dass mit Uli alle Freude verschwunden ist. Uli ist jetzt fern, weit weg ist Uli, erfolgreich und stark. Und sie ist nicht mehr sein kleines Uli. Sie braucht ihn nicht oder sie gibt es nicht zu! Er hat es nie erfahren. Er weiß nur, das hat Uli ihm gesagt, dass sie Angst hat, verletzt zu werden. Mehr weiß Klatt nicht. Und damit muss er zurechtkommen, wie mit vielem!
Uli war eine Kollegin. Klatt vermisst sie. Uli hat ihm gegeben, was er sonst nirgends bekam. Uli hatte immer Zeit für ihn. Uli hat ihm zugehört. Uli hat ihn bewundert. Er war ihr strahlender Held, ihr Ritter. War es da verwunderlich, dass er sie zu mögen begann?
Ulis Schönheit erschloss sich nicht auf den ersten Blick. Uli fiel nur auf, durch ihre Freundlichkeit, durch den Eifer, mit dem sie alle Dinge erledigte. Wer längere Zeit mit ihr Umgang hatte, musste sie mögen, ihre krause, kaum zu bändigende Lockenpracht, die sie „meine Schweinekringel“ nannte. Ihr Lachen, die immer strahlenden Bergseen ihrer großen hellen Augen, in denen man ertrank. Klatt hatte mit Uli zusammengearbeitet, monatelang. Wann immer er Zeit hatte, saß Klatt Uli gegenüber, an ihrem Schreibtisch, trank mit ihr Kaffee, hörte ihr zu. Uli lebte allein. Nach einigen Enttäuschungen, hatte sie sich verletzt zurückgezogen und lebte nur noch für ihre Arbeit und ihre Hobbys. Uli war einsam, und sie hielt es für Schwäche, diese Einsamkeit anderen einzugestehen. Dieses Eingeständnis hätte sie verwundbar gemacht. Verwundbarkeit zählte zu denjenigen Dingen, die Uli am meisten fürchtete. Sie war einsam, ebenso einsam, wie Klatt. Sie war eine Weile lang sein kleines Uli gewesen, für das er da sein konnte, das er beschützen konnte. Mehr hatte Uli nicht geduldet. Klatt hatte Familie. Familie war Uli etwas Heiliges, das stärkste Band zwischen Menschen!
Dann war Uli eines Tages gegangen. In eine andere Stadt. Sie hatte ein Angebot bekommen. Ein höheres Einkommen. Für Klatt war eine Welt zusammengebrochen.
„Pass auf Dich auf!“, hatte sie gesagt, ehe sie gegangen war, ohne sich umzusehen. Sie hatte die große Glastür hinter sich geschlossen, wie die Tür zu einem Lebensabschnitt. Und Klatt sah sie den Weg zum Parkplatz hinuntergehen. Er sah ihre Locken wehen, die blaue Schleife in ihrem Nacken. Und er war versucht, ihr nachzulaufen. Aber er wusste, dass es zwecklos war. Uli war stark. Sie würde ihre Unverletzbarkeit wahren. Klatt blieb zurück. Er liebte Uli. Ob sie seine Gefühle erwiderte, hat er nie erfahren. Er wusste nur, dass er einen Menschen verloren hatte, der einen wichtigen Platz in seinem Leben ausgefüllt hatte. Er ließ Uli gehen, wie ein Kind, das sich freigeschwommen hatte. Er ließ Uli gehen, in ihr neues Leben, fern von ihm. Und er wusste, dass sie all das schaffen würde, was immer vor ihr stand. Klatt hatte Uli verloren.
Klatt ging den langen, frisch gebohnerten Gang hinunter, auf dessen schadhaftem Linoleum man leicht ausrutschen konnte. Er ging den Gang hinunter, an dessen Ende, im Vorraum des Seminargebäudes, ihn Stimmen erwarteten und das Geräusch von klimpernden Münzen, das laute Getöse des Kaffeeautomaten. Klatt geht den Gang hinunter, seine Seminar-unterlagen unter den Arm geklemmt. Er denkt dabei an Uli. Sieht sie im Büro sitzen, ihr Profil gegen das Sonnenlicht. Die dunkelblonden Locken von Sonne durchflutet. Das Gesicht
gesenkt, in die Computerarbeit vertieft, aufschauend СКАЧАТЬ