Unter Barbaren. Ralph Ardnassak
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Название: Unter Barbaren

Автор: Ralph Ardnassak

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847617785

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СКАЧАТЬ kümmern. Den kleinen Ladeninhaber langweilen die komplizierten Formeln, die Kurven, die Zitate, die Thesen, die für Großunternehmen gemachten Beispiele. Und dann liest er ungeniert in der Bild-Zeitung oder er macht sein Kreuzworträtsel im Seminar, schwatzt laut mit dem Nachbarn, lacht oder schließt ganz einfach die Augen. Dann kann man zynisch werden oder laut, wie Herr Zeckert es tut, und man kann die Leute darauf hinweisen, dass sie Geld dafür bekommen, hier zuzuhören, viel Geld. Mehr Geld, als mancher draußen verdient. Auch das sagt Herr Zeckert, in den wenigen Seminaren, die er noch hält. Er sagt es den Leuten auf den Kopf zu, als wären es kleine Kinder und nicht erwachsene Leute. Er sagt zu ihnen: „Wenn es Ihnen nicht passt, dann gehen Sie bitte! Wir halten Sie nicht!“ So sagt es Herr Zeckert, wenn die Seminarteilnehmer nicht zuhören wollen oder Zeitung lesen oder Schwatzen. „Meine Damen und Herren!“, so sagt er es, „Gehen Sie doch bitte nach Hause, wenn Sie meine Ausführungen nicht interessieren!“ Desinteresse ist unhöflich, meint Herr Zeckert. Desinteresse kränkt ihn. Deshalb sagt er solche Worte. Aber damit kränkt er die Leute im Seminar. Sie schimpfen: „Der Zeckert kriegt ein festes Gehalt jeden Monat! Den Zeckert interessieren wir gar nicht! Der Zeckert hat längst vergessen, dass er unserer Anwesenheit sein Einkommen verdankt! Wenn wir wegbleiben, kann der Zeckert dichtmachen!“ So sagen sie. Klatt hört ihnen geduldig zu. Er weiß, sie haben in vielem Recht. Klatt kränkt es auch, wenn niemand zuhört, wenn geschwatzt und gelesen wird. Es untergräbt sein Selbstvertrauen. Er wird unsicher. Aber er braucht diese Leute. Und längst schon spult Klatt nicht mehr stur seinen Stoff herunter. Er achtet auf die Leute im Seminar. Er weiß, er muss mit ihnen ins Gespräch kommen. Sie sind keine Schulkinder und keine Studenten! Nein, es sind erwachsene Menschen mit Sorgen und Nöten. Es sind aus der beruflichen Bahn Geworfene, die ein bisschen Betreuung und Hilfe suchen – und natürlich zuallererst ein Einkommen! Das ist der Modus vivendi, den Klatt gefunden hat. Zuhören, wie schwer es auch fallen mag und auf die Leute eingehen. Dafür sind sie dankbar. Sie mögen Klatt, so hofft er.

      Man könnte es besser machen, weiß Klatt, viel besser. Aber niemand scheint ein Interesse daran zu haben. Alle sind zufrieden. Die Seminarteilnehmer sind zufrieden, wenn ihr Geld auf dem Konto ist und man sie in Ruhe lässt. Die Dozenten sind zufrieden, wenn ihr Gehalt auf dem Konto ist und die Seminarteilnehmer sie in Ruhe lassen. Keine Seite tut der anderen etwas zuleide! So arrangiert man sich scheinbar miteinander! Die Beiden haben das längst erkannt. Sie verschanzen sich in ihrem Büro hinter einem Berg von Verwaltungsarbeit. Es ist, als fürchten sie die Seminare, die Fragen, das Desinteresse. Sie gehen den Menschen aus dem Wege. Nie haben sie Zeit, immer sind sie beschäftigt hinter den Bildschirmen ihrer Computer. Die Neue, noch in der Probezeit und besorgt um ihr Einkommen, schirmt sie gegen alles ab.

      Klatt hat die Hauptlast der Seminare zu tragen. Wieder und wieder muss er einspringen, Unterrichtstage übernehmen. Tag um Tag steht er vor den Teilnehmern. Seine Wissensbestände sind ausgequetscht wie ein trockener Schwamm. Die Beiden, in ihrem Büro, haben längst den Kontakt zu den Leuten im Seminarraum verloren. Klatt, bemüht, sich um jeden Einzelnen zu kümmern, wird verheizt. Groll darüber sammelt sich in ihm. Aber er schweigt. Er weiß, dass es gefährlich sein kann, zu reden, deshalb schweigt er. Zu schnell wäre Ersatz zur Stelle. Die Beiden wissen, dass er das weiß. So herrscht Schweigen. Und Klatt, verunsichert, überlastet, versucht, seine Arbeit zu tun, so gut, als eben möglich. Uli wusste um diese Dinge. Aber Uli ist jetzt weit weg und sehr erfolgreich. Uli hat ihn vergessen. Und er hat nun niemanden mehr, der ihn versteht. Nein, er muss schweigen und es geschehen lassen. Auch hier, im Institut muss er schweigen und es geschehen lassen, ebenso, wie daheim. Klatt ist schwach. Ganz besonders, seit Uli nicht mehr da ist! Er ist schwach und wehrlos! Ein Mensch, der irgendwann einmal auf der Strecke bleiben muss, weil es naturgesetzlich eben einmal so ist, dass Menschen wie er auf der Strecke bleiben. Leute wie Uli hätten es vielleicht nicht aufhalten können, aber doch ein wenig hinauszögern können. Jetzt aber, würde alles viel schneller gehen.

      „Es hilft ja alles nichts!“, sagt Klatt in das Schwatzen und Rauchen und Kaffeetrinken hinein: „Ein Bisschen müssen wir machen!“ Es klingt beinahe entschuldigend, so, als tut es Klatt leid, dass er so wenig für die Seminarteilnehmer tun kann. Und so ist es gemeint. So fühlt sich Klatt! Er weiß, dass nur sehr wenige seiner Existenzgründer am Markt auf Dauer ein akzeptables Einkommen erzielen können. Viele werden sich mehr schlecht als recht durchschlagen. Nicht wenige werden wieder aufgeben und in die Arbeitslosigkeit zurückkehren. Tatsachen, die kein Institut gern zugibt. Jeder fürchtet um seine Existenzberechtigung! Jeder fürchtet um sein Einkommen! Keiner traut dem Andern!

      Hinten, in dem muffigen Seminarraum, in den, der Bäume vor dem Haus wegen, kaum Tageslicht fällt, nehmen die Seminarteilnehmer auf den fleckigen Stühlen Platz. Es sind nicht für alle Stühle da. Klatt kennt die Misere.

      Er beginnt, über Absatzwege zu sprechen: Direktvertrieb, Großhandel, Einzelhandel, Makler, Kommissionär. Klatt schreibt die Tafel voll, legt seine Folien auf. Zwei Frauen schreiben mit. Klatt weiß, dass sie in einigen Wochen nicht mehr mitschreiben werden. Einige zwingt ihr schlechtes Gewissen, Aufmerksamkeit zur Schau zu stellen. Dreht Klatt sich zur Tafel, sind die Gesichter in den Illustrierten verschwunden. Halbunterdrücktes Gemurmel füllt den Raum.

      Klatt redet sich in Fahrt, erklärt, gestikuliert, läuft auf und ab.

      Hinten, am Fenster, schaut man auf die Uhr: noch eine Stunde bis zum Frühstück. Vielleicht macht der ja schon früher Pause?! Der Klatt ist da ganz in Ordnung! Anders als die Honorardozenten, die Korinthenscheißer! Kann einem eigentlich leid tun, der Klatt, mit welcher Lammsgeduld der vor so einer Horde hier redet, egal, ob einer zuhört oder nicht! Der Zeckert hätte schon wieder losgemeckert. War ja egal: der Klatt kriegte sein Geld dafür, und sie kriegten ihr Geld dafür! Konnte sich also keiner beschweren! Die ganze Wissenschaft hier brauchten sie nicht! Was sie brauchten, war Kohle, Pinke, Geld! Nur mit Geld konnte man etwas anfangen in dieser beschissenen Welt! Wissen zählte einen Scheißdreck! Für Wissen konnte man sich nichts kaufen! Liefen so viele Doktoren aufs Arbeitsamt rum! Sah man ja dauernd und hörte sowas im Fernsehen! Sollten einen also in Ruhe lassen und lieber mehr Kohle geben!

      Klatt spürte die Unruhe im Seminarraum. Sein Blick streifte die Armbanduhr. Halbe Stunde noch: „Dieses Thema schaffen wir noch, dann machen wir Frühstück!“

      Beifälliges Gemurmel. War doch ganz in Ordnung, der kleene Klatt!

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