Название: Die Bluthunde von Paris
Автор: Christina Geiselhart
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737553322
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„Du hast zu viel Blut verloren. Dein Verstand liegt brach wie ein Acker im Winter. Es ist wahrhaftig ein Kreuz mit euch. Mein Enkel Charlerie ist Henker, Karl ist ein Wüstling, deine Kinder sind hässlich, aber das hier ist der Gipfel. Das Ding ist doch nichts wert.“ Bei diesen Worten fing Philippine aus Leibeskräften an zu schreien und schnell wickelte sie Marthe wieder in die Tücher. Lea bäumte sich auf, doch fiel alsbald ins Laken zurück.
„Du bist böse, Großmutter! Es ist der Verstand deines Enkels, der zu mir spricht und nicht dein Herz. Schau dir das Gesicht des Mädchens an. Seine Augen, das goldene Haar. Es sieht aus wie ein Engel.“
„Pahh, Engel. Könnte es fliegen, wäre die Sache gewonnen, aber so ...“. Seufzend legte Marthe das kleine Wesen in die Wiege zurück. Eine Weile betrachtete sie es, dann traten ihr Tränen in die Augen und erstickt flüsterte sie: „Ja, deine Mutter hat recht. Du hast das Gesicht eines Engels, in deinen Augen strahlt die Sonne, doch was nützt uns das, wenn dir dein Körper nicht gehorchen wird? Du kannst keine Wassereimer tragen, keine Wäsche aufhängen, kein Holz holen und aufschichten. Wozu wirst du gut sein? Zum Angucken?“
Ihr Blick, der zärtlich auf Philippines Gesicht geruht hatte, streifte hinunter zu den Beinen und blieb dort mit Schaudern hängen. „Ach was, sag ich? Ein Mannsbild guckt dir nicht nur ins Gesicht und wenn du zum Arbeiten nicht taugst, hält er sich an deinem Hintern schadlos. Oh, Kind. Welche Zukunft!“
„Schweig, Marthe! Bring mir lieber Suppe, statt düstere Zukunftsbilder zu malen. Ich fühle mich schon etwas besser.“
Vorsichtig richtete sich die junge Mutter im Bett auf. Marthe schüttelte ihr das Kissen zurecht und Lea lehnte sich gegen die hölzerne Kopfleiste des Bettes. Die beiden Frauen musterten einander, ohne ein weiteres Wort. Im nervösen Spiel der zerrupften Brauen, an den zuckenden Lippen, den funkelnden Augen konnte man ahnen, was hinter Marthes runzeliger Stirn vorging.
Es war allerdings nicht nötig, die Zeit mit Ahnungen zu verschwenden, denn die Alte tat sich keinen Zwang an und sagte rundheraus was sie dachte. Lea indessen verbarg ihre wahren Gedanken. In den ersten Jahren nach ihrer Hochzeit hatte sie klaglos neben einem rohen Mann dahinvegetiert, seine blutverkrusteten Kleider gewaschen, die er nachlässig trug, hatte für ihn gekocht, geputzt, genäht, gestrickt. Sie hatte erduldet, wenn er sie bestieg, und sie ertrug den Anblick seiner Kinder, die sie ebenso hasste wie den Mann. Ihre Energie, ihre Kraft wurde von diesen vier Menschen aufgesogen und ihr Körper rächte sich dafür mit glanzlosem Haar, fahler Gesichtshaut, stumpfen Augen. Sie hatte dies alles zugelassen, bis sie eines Tages eine überirdische Begegnung hatte. Sie saß am Bach nahe der Hütte, in der sie damals hausten, und sah im brackigen Wasser die Augen ihrer Mutter.
Fest blickten sie Lea an, ließen sie nicht mehr los, zogen sie an sich. Und da plötzlich erhob sich vor Lea die ganze Gestalt der Mutter. Aufrecht, schön, stolz und selbstbewusst wuchs sie in die Höhe. Dies war nicht derselbe Mensch, den Lea aus ihrer Kindheit kannte. Dieser Mensch erstand aus dem morastigen Gewässer als käme er nochmals zur Welt. Ihre Mutter war nackt. Eine Hand lag auf ihrer Scham, die andere zeigte zu Lea und eine hohle Stimme rief: „Wir sind keine Mähren, die man zu Tode reitet! Wir sind Prachtpferde und Prachtpferde werden von guten Reitern bestiegen und nicht von Ochsen. Merke dir das, mein Kind und setze deine Pracht richtig ein. Liebe deinen Hintern, liebe deine Scham und lass ihnen nur Gutes zukommen. Pflege deine Haut, dein Haar, deine Zähne und wenn dich dein Mann daran hindert, tritt ihm kräftig in die Stelle, die ihm besonders teuer ist. Fürchte ihn nicht. Er ist ein Quäler. Er ist ein Schwächling. Viel schwächer als du!“
Von diesem Tag an hatte Lea ihrem Körper viel Gutes getan und dazu brauchte sie andere Männer. Sie war nicht wählerisch. Schönheit interessierte sie nicht, aber jung musste er sein und er musste sein Geschäft verstehen. Schon nach wenigen Monaten erblühte ihr Körper von neuem und bekam ihr Haar frische Farbe.
Heute nun, am Geburtstag der jüngsten Tochter, war sie noch schöner geworden. Wieder war ein Stück von der alten Haut abgeblättert. Philippines Geburt hatte sie zwar viel Blut gekostet, aber keinen einzigen Zahn. Ihre Augen flammten auf, als habe das Kind, dem sie das Leben schenkte, auch ihr Lebenslicht neu entzündet. Während ihr düsterer Ehemann, die gute Großmutter und die einfältigen Kinder glaubten, ihr Herz höre bald auf zu schlagen, regte sich überschäumende Energie in ihr. Damit wollte sie Frankreich erobern, alle Männer auf die Knie zwingen, ihnen soviel Geld abnehmen, um eines Tages mit der schönen Tochter in einem Schloss zu wohnen. Niemand, auch sie selbst nicht, konnte ahnen, welch zerstörerische Kraft dieser Energie innewohnte.
2. Kapitel
1781
Im Frühjahr dieses Jahres saß Karl neben seinem Bruder Charles-Henri, dem ältesten der zehn Kinder des alten Charles-Jean-Baptist Sanson und starrte dumpf auf den leeren Teller, den er vor sich hatte. Die beiden Männer erwarteten ihre vier Brüder, die aus Blois, Tours, Toulouse und Reims zum monatlichen Brudertreff in der rue Neuve-Saint-Jean der Vorstadt Poissonière kommen wollten. Dort bewohnte Charles-Henri ein geräumiges Haus und war von seinem Arbeitsplatz weit genug entfernt, um das Blut nicht zu riechen und gleichzeitig nah genug, auf dem Weg dorthin nicht allzu viel Zeit zu verlieren. Besonders schätzte er es, von seinen Nachbarn respektiert zu werden, was nicht selbstverständlich war, wenn man sein Geld mit dem Tod anderer verdiente. Mit Ausnahme von Karl übten alle das Amt des Scharfrichters aus, und da jeder auf den Namen Charles getauft worden waren – Charles-Herni, Charles-Baptiste, Charles-Martin – redeten sie sich kurzerhand beim Namen der Stadt an, in der sie arbeiteten. Charles-Henri wirkte nicht nur in der königlichen Stadt Paris, er hatte auch den besten Ruf und wurde schaudernd mit „der Herr von Paris“ angesprochen.
Mittlerweile lebte Großmutter Marthe wieder beim Herrn von Paris, da Lea vor Gesundheit strotzte und behauptete, Marthes Hilfe nicht mehr nötig zu haben. Sie konnte ja nicht ahnen, dass Lea sie einfach nur loswerden wollte. Seit Rosel von der Tollwut dahingerafft worden war, gab es für Lea deutlich weniger Arbeit, denn das Mädchen mit der Hasenscharte hatte beim Essen Tisch und Kleider beschmutzt, beim Sprechen Speichel gespuckt und sich häufig übergeben, weil sie wie ein hungriges Tier alles unzerkaut hinuntergeschlungen hatte. Lea trauerte nicht lange. Schon nach wenigen Tagen fühlte sie den Verlust als ungeheure Erleichterung. Nun konnte sie sich mehr ihrem Lieblingskind widmen, das sie aufgrund seiner Verkrüppelung sehr in Anspruch nahm. Aber nie klagte Lea, nie beschwerte sie sich, wenn die tapsige Philippine den Vorhang herunterriss, an dem sie sich hielt, um ihr Gleichgewicht zu halten. Wenn sie gegen den Tisch stieß, dass dabei Milchkannen umkippten und Teller zerschlugen. Marthe war froh, nicht mehr mit anhören zu müssen, wie Alberta und Frieda für allen Schaden verantwortlich gemacht wurden, den Philippine anrichtete. Der wütende Vater verdrosch jeden Tag ein anderes Mädchen, wagte es aber niemals, Philippine anzurühren. Einerseits war Marthe froh, das Haus verlassen zu können, aber sie ging voller Unruhe, denn sie fürchtete den Hass, der langsam in den Herzen der älteren Mädchen keimte. Wenn er ausgereift ist, wird er Philippine darunter begraben, dachte Marthe und erschauderte bei dem Gedanken, wie leicht es sein würde, den schönen Krüppel zu ertränken oder einen Abhang hinab zu stürzen.
Vor sechs Monaten hatte sie ihre Urenkelinnen zuletzt besucht und vom Hass nichts bemerkt. Die Mädchen schienen gutmütige Geschöpfe zu sein. Sie schienen Philippine zu lieben und der Mutter ihr ungerechtes Verhalten zu verzeihen. Deshalb dachte Marthe heute, im Frühjahr des Jahres 1781, nicht mehr an Philippine, sondern daran, die Herren von Tours, Toulouse, Reims und Blois mit ihren Kochkünsten zufrieden zu stellen. Brot und Wein wurden von Charles-Henris Gehilfen serviert und die Alte wachte darüber, dass diese sich sorgfältig gewaschen hatten und keine Blutspuren an Waden, Armen oder im Gesicht vorwiesen. Sie saß am oberen Ende des Tisches und hörte unkonzentriert der Unterhaltung der beiden Männer СКАЧАТЬ