Название: Die Bluthunde von Paris
Автор: Christina Geiselhart
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783737553322
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Die Vorstellung, in seinen Armen, an seiner Seite sein zu dürfen. Ein verwegener Traum, unrealisierbar, fast lächerlich, denn Welten trennten sie von diesem Menschen, der ihr täglich schöner vorkam.
„Ja, es gibt sehr viel zu berichten über unser armes, ausgeblutetes Land. Nicht Angst will ich dir machen, sondern die Augen über die so genannten königlichen Stellvertreter Gottes will ich dir öffnen. Die gottlose, im Namen einer Religion verordnete Bartholomäusnacht war das Komplott von Henri de Guise, der den Thron beanspruchte, und dieser Tochter der einflussreichen Medicis aus Florenz. Zur Hochzeit ihrer Tochter Margot mit Henri von Navarra, einem Calvinisten, kamen Hugenotten aus dem ganzen Land. Wie hätten sie auch ahnen sollen, dass sie in eine Falle laufen. Keiner der Gäste entkam lebend dem Blutbad.“
Er machte eine Pause, sah das Mädchen ernst an. Dieses lauschte mit halbgeöffnetem Mund und großen Augen.
„Mit Henri von Navarra kamen die Bourbonen auf den Thron! Machtgierige und hin und wieder unfähige Herrscher. Ludwig XIII brauchte einen fähigen Minister für die Staatsgeschäfte und überließ Kardinal Richelieu die Zügel. Dieser bestimmte über die Finanzen und über Kriege. Er war ein schrecklicher, mit allen Wassern gewaschener Stratege und Menschenkenner. Kaum war Ludwig XIV auf der Welt, nahm er dessen Erziehung in die Hand. Und er erzog ihn nach seinem Ebenbild. Zum einen fand das Kind Nutzen darin, denn der Kardinal war gebildet, belesen und klug. Aber er war auch machtgierig, gerissen, unerbittlich. Die Protestanten wollte er politisch entmachten und vernichtete ihre Hochburg bei La Rochelle. Dem Hochadel nahm er Schlösser, Burgen Landgüter weg. Alle Macht der Krone, das war sein Leitgedanke. Ihm haben wir den Absolutismus zu verdanken.“ Maxence’ Augen funkelten wütend. Fast gleichzeitig schauten die beiden jungen Menschen auf den Schlitz im Vorhang, der ein Stück Himmel durchblicken ließ. Die Dämmerung ging schon in die Nacht über. Sie hatten es im Eifer der Erzählung nicht bemerkt. Maxence schoss hoch.
„Schon wieder Zeit für dich zu gehen. Mit dir vergehen die Tage wahrhaftig schnell. Der Himmel verdunkelt sich und es ist lausig kalt.“ Er half Philippine aus dem Sessel und bevor sie es richtig begriff, hatte er sie auf den Armen und trug sie hinaus. Vraem stand schon da. Die Stute wollte nach Hause in den warmen Stall.
„Beim nächsten Mal bringen wir sie im Anbau unter. Lade Stroh und Hafer, dann machen wir es ihr dort gemütlich.“ Mit dem Kinn wies er auf den Teil des Hauses, den sie bisher nicht benutzt hatten.
Die rabenschwarze Nacht flößte dem Mädchen Angst ein. Tief mummelte es sich in seinen Umhang und ritt zügig mit lockerem Zügel, denn alleine hätte sie den Weg zurück nicht gefunden.
*
Verzaubert saugte Philippine in den kommenden Wochen alles auf, was Maxence berichtete, aber oft entschlüpfte ihr der Inhalt, zu tief geriet sie in den Bann seines Wesens und seines Aussehens. Wenn er, heftig bewegt von seinen Worten, die schlanken Hände durch die Luft sausen ließ, wenn er hochschnellte und wie ein unruhiges Tier hin und her schritt, wenn er den Kopf ungestüm herumwarf, wenn dies alles geschah, dann dachte Philippine nicht mehr, dann fühlte sie nur noch. Fühlte die schönen Hände in ihren Haaren, seinen Kopf an den ihren geschmiegt. Fühlte seine Arme um ihren Körper.
Ihrer Mutter und Frieda begegnete sie beim morgendlichen Verspeisen der Milchsuppe, in der Brot schwamm. Hin und wieder gab es Eier und Speck zum Frühstück, es hing von Leas Laune ab. War sie guter Dinge, füllten sich die Regale im Kellerraum mit Käse, Butter, Fleisch und Eiern. War sie schlechter Laune, gab es morgens und abends nur Kartoffeln. Diese wuchsen tief in der Erde in einer Rabatte im Garten. In letzter Zeit war Lea bester Laune. Sie trug Ketten und Armbänder, die sie auf dem Markt erworben hatte, schmückte ihr Haar mit Spangen und vergaß auch Philippine nicht. Als diese sagte, sie möge ihr lieber Butter und Brot für die arme Frau und die verwahrlosten sieben Kinder in einer Höhle im Wald geben, lobte Lea ihre Tochter.
Doch in ihrem Lob schwang ein spöttischer Unterton.
„Das ist ein guter Zug von dir, mein Kind. Frieda und ich kümmern uns darum, dass es manchem Kerl besser geht und du hilfst den Elenden.“
„Was soll das heißen: dass es manchem Kerl besser geht?“ Karl ließ den Löffel sinken. Es war ein schäbiger Löffel, an dem der Geschmack nach fauligem Holz haftete. So empfand es jedenfalls Philippine, denn sie verzog das Gesicht, als sie ihren Löffel im Mund hatte. Sie saßen zu viert am Tisch und aßen von der Suppe. Es war Abendzeit.
„Bist du taub, oder was? Habe ich es dir nicht schon tausendmal erklärt? Frieda und ich arbeiten in feinen Häusern und pflegen sieche Grafen, Herzöge und Edelmänner. Sie können sich kaum noch rühren und sind auf ihre alten Tage sehr spendabel, weil wir adrette Weiber sind und nicht flachbrüstige Hühner mit Glotzaugen wie die christlichen Pflegerinnen.“
„Ich kann nur hoffen, ihr pflegt nicht mit euren Hintern.“ Karls Augen hatten einen glasigen Schimmer. Träge tauchte er den Löffel wieder in die Suppe. Lea antwortete mit einem schmutzigen Lachen, das Philippine in die Glieder fuhr. Vergeblich versuchte sie, das Bild zu verscheuchen, das sich vor ihrem geistigen Auge abzeichnete: Ihre Mutter und Frieda pflegten mit entblößten Brüsten. Lüsternheit loderte in ihren Gesichtern.
„Warum eigentlich nicht, lieber Mann?“
Lea stand auf. Sie ging um den Tisch herum und lehnte sich von hinten an ihren sitzenden Mann. Entgeistert sah dieser auf.
„Manchmal habe ich darüber nachgedacht, wie schön es in unserer Kasse klingen würde, könnten wir unseren Hintern einsetzen. Aber natürlich nur mit deiner Erlaubnis.“
„Niemals!“ Karls Rücken wurde steif. Er zuckte nach hinten und stieß dabei seine Frau von sich. Zum Glück sah er nicht den Ausdruck, der ihr Gesicht plötzlich verzerrte. Eiskalt lief es Philippine den Rücken hinunter. Etwas Mörderisches, Diabolisches drückte sich dort aus und unerwartet kam dem Mädchen die Schwester Alberta in den Sinn. Wochenlang hatte sie kaum an die arme Tote gedacht, da ihr Denken und Fühlen von Monsieur Maxence erfüllt war. Warum fiel sie ihr jetzt ein? Im Angesicht des grausamen Ausdrucks ihrer Mutter? Eine schmerzliche Leere breitete sich in dem Mädchen aus. Trauer und Verlorenheit quälten ihre Seele. Sie hätte weinen mögen, aber die schadenfrohe Lüsternheit, die geballt und aggressiv von Lea ausging und sich in Schwester Frieda widerspiegelte, verkrusteten Philippines Tränen. Nein, nein!, echote es in ihrem Innern. Nicht Tränen sind sie wert, die Verirrten. Auch nicht Mitleid oder Verzeihen. Verstoße sie aus deinem Herzen.
„Nur über meine Leiche! Du bist meine Frau, dein Hintern gehört mir allein. Ich habe ihn befruchtet und dir viele Kinder geschenkt. Entweihe ihn nicht!“, bellte der Vater. Er hatte sich umgedreht, Lea sein Gesicht zugewandt. Und nun betrachtete Philippine seinen Ausdruck, ebenso entstellt und niedrig wie der seiner Frau und doch so anders. Zerfurcht, ergraut, von Warzen gezeichnet. Alles Leiden spiegelte sich darin, vermutlich auch das seiner Opfer in der Folterkammer. Und das Mädchen erinnerte sich an den Tag in der Morgue, als sie Alberta identifizieren mussten. Gekrümmt, niedergeschlagen, fassungslos, so sah ihr Vater nach dem grässlichen Besuch aus. Sie dachte: Ja, der Pfarrer von Saint-Ouen hat Recht: Vater ist ein bedauernswerter Tropf, der sein Brot auf schändliche Weise verdient, aber er hat einen guten Kern.
Dann wurde ihr plötzlich schlecht. Der Löffel in ihrer Hand zitterte, sie starrte auf die Kuhle, in der die Suppe schwamm und meinte Schimmel und tote Ameisen zu entdecken. Doch es war nur ihre Phantasie. Leas Gemüsesuppe war tadellos. Dafür sorgte die Hausherrin schon um ihrer eigenen Gesundheit willen. Schwankend stand die Jüngste auf.
„Entweihe ihn nicht!“, höhnte Lea. „Hältst СКАЧАТЬ